Mehr Transparenz in der Lobbyarbeit fördert Vertrauen
VCI und LobbyControl fordern ein verbindliches Lobbyregister
Interessenvertretung gehört zum Wesen der parlamentarischen Demokratie. Doch die derzeitige Intransparenz der beteiligten Akteure und ihres Einflusses auf politische Entscheidungen führt zum Vertrauensverlust in der Gesellschaft. Wie wirkt Lobbyismus und wann wird er zum Problem? Darüber diskutierten Imke Dierßen, politische Geschäftsführerin bei LobbyControl, und Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). Das Gespräch in Berlin moderierte Andrea Gruß.
CHEManager: Frau Dierßen, was verstehen Sie unter Lobbyismus?
Imke Dierßen: Das allgemeine Verständnis von Lobbyismus ist der direkte Kontakt zu Entscheidungsträgern mit dem Ziel, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Auch wir von LobbyControl sind Lobbyisten und suchen das Gespräch mit Politikern, um unsere Anliegen in Sachen Transparenz und Lobbyregulierung voranzubringen.
Darüber hinaus verstehen wir Lobbyismus umfassender und sprechen zum Beispiel auch davon, wenn Interessensgruppen versuchen, die Öffentlichkeit zu beeinflussen, um dann über diesen Weg indirekt auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen. Das reicht bis zum Deep Lobbying, eine erweiterte Lobbyarbeit, bei der die öffentliche Meinung stark und langfristig beeinflusst werden soll. So versuchen bestimmte Interessensgruppen, durch Lobbyismus an Schulen ihre politische Auffassung frühzeitig an Kinder heranzubringen, wie zum Beispiel der RWE-Konzern in Nordrhein-Westfalen, der durch Schulkooperationen, Sponsoring und Unterrichtsmaterialien eine positive Haltung zur Braunkohle fördern will.
Deckt sich dies mit Ihrer Definition von Lobbyismus, Herr Tillmann?
Utz Tillmann: Lobbyismus ist die Interessenvertretung eines Verbands, einer Organisation gegenüber der Politik. Hier sind wir auf einer Linie. Gesetzgebung ist komplex, deshalb ist es legitim und wichtig, dass Lobbyisten Politiker darüber informieren, welchen Einfluss eine Entscheidung haben kann. Was Sie zuletzt ausführten, Frau Dierßen, die Unterstützung von Schulen und die Information von Schülern, würde ich nicht als Lobbyismus bezeichnen. Auch der Fonds der Chemischen Industrie stellt Unterrichtsmaterialien und Lehrmittel zur Verfügung. Unser Anliegen dabei ist, über komplexe naturwissenschaftliche Themen zu informieren, das Interesse junger Menschen an Naturwissenschaften und Technik zu wecken und ihre MINT-Kenntnisse zu stärken. Dies ist von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse.
Wie wirken Digitalisierung und soziale Medien auf die Lobbyarbeit von heute?
I. Dierßen: Das Internet hat Lobbyismus stark verändert. Es gibt zusätzliche Kanäle, über die zu konkreten Anliegen informiert wird, und über Social Media können Politiker direkt angesprochen werden. Mittlerweile wird sogar künstliche Intelligenz genutzt, um die Wirkung von Botschaften zu testen oder zum Monitoring verschiedener Kanäle. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass die politische Kommunikation als wesentlicher Bestandteil des Lobbyismus sehr viel kostenintensiver geworden ist. Einige zivilgesellschaftliche Akteure können sich dies – anders als die Wirtschaft und wirtschaftsnahe Verbände – nicht mehr leisten. Dadurch werden Machtungleichgewichte verstärkt, durch die Lobbyismus ohnehin schon geprägt wird.
U. Tillmann: Wir nutzen Social Media, wie Twitter und LinkedIn, weil wir dort auf Informationen und Positionen auch entsprechend schnell reagieren wollen. Wenn unsere Interessen dort tangiert oder attackiert werden, nehmen wir dazu Stellung. Zudem setzen wir selbst Botschaften über diese Medien ab. Hier widerspreche ich Ihnen nicht. Was das Ungleichgewicht zwischen unterschiedlichen Lobbybeteiligten durch Social-Media-Aktivitäten angeht, bin ich anderer Meinung. Aus meiner Sicht wird dieses – wenn überhaupt ein Ungleichgewicht besteht – eher reduziert als verstärkt. Denn letztlich sind diese Aktivitäten in sozialen Netzwerken deutlich günstiger und einfacher zu gestalten als über Printmedien erzeugte Botschaften. Ich sehe im Wesentlichen zwei positive Effekte der Digitalisierung auf die Lobbyarbeit: Man erreicht zum einen eine größere Zielgruppe und dadurch mehr Transparenz und kann zweitens zeitnah auf Ereignisse reagieren.
I. Dierßen: Ja, natürlich haben Social Media Vorteile, von denen auch wir als kleiner Verein profitieren. Dass wir über das Internet alle unsere wesentlichen Zielgruppen erreichen können, ist eine große Chance. Dahinter steckt jedoch ein hoher finanzieller und personeller Aufwand. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht.
Sie haben es beide bereits angesprochen, Transparenz in der Lobbyarbeit ist Ihnen ein wesentliches Anliegen. Welche Forderungen stellen Sie konkret?
I. Dierßen: Unsere zentrale Forderung ist die Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters, in das sich wirklich alle Interessengruppen eintragen müssen, Nichtregierungsorganisationen wie wir, Unternehmen, Wirtschaftsverbände, aber auch Anwaltskanzleien, die Lobbyarbeit leisten, oder Lobbyagenturen. Weitere wichtige Transparenzmaßnahmen sind eine legislative Fußspur – das heißt, dass im Anhang zu einem Gesetzentwurf ersichtlich wird, welche Lobbyinteressen darin berücksichtigt wurden und welche nicht – und die Offenlegung und Begrenzung von Parteienfinanzierung.
U. Tillmann: Die gemeinsamen Forderungen des VCI mit unserem Kooperationspartner Transparency International und den vier Bündnispartnern der „Allianz für Lobbytransparenz“ sind nahezu identisch. Auch wir fordern, dass alle Lobbyisten offenlegen, wer sie sind, was sie machen und mit welchen Finanzmitteln sie arbeiten. Hierzu zählen, wie Sie bereits erwähnten, auch Anwaltskanzleien. Nur so lässt sich der Eindruck vermeiden, dass es Hinterzimmer-Absprachen gibt. Über das verpflichtende Lobbyregister hinaus fordern auch wir einen legislativen Fußabdruck, einen verbindlichen Verhaltenskodex und die Installation eines überparteilichen Lobbybeauftragten – und das noch in dieser Legislaturperiode.
I. Dierßen: Was die Transparenz in Bezug auf Finanzmittel angeht, unterscheiden sich unsere Forderungen. Wir halten es für wichtig, dass man auch eine Vorstellung von der Größenordnung der Lobbyausgaben bekommt. Ihr Bündnispapier sieht jedoch nur eine namentliche Offenlegung der Beiträge ab 50.000 EUR vor, ohne Angabe des Betrags. Dann wäre nicht sichtbar, ob ein Geldgeber 51.000 EUR oder 5 Mio. EUR investiert hat. Wir halten das für unzureichend.
U. Tillmann: Wir wollen den bürokratischen Aufwand soweit wie möglich reduzieren. Der VCI hat seine Satzung im Internet veröffentlicht. Darin steht auch, wie der Beitrag der Mitgliedsunternehmen berechnet wird. Wer möchte, kann sich die Beiträge unserer Mitgliedsunternehmen selbst ausrechnen. Ich kann Ihnen versichern, 5 Mio. EUR zahlt keiner.
Welche Motivation steckt hinter Ihrem Engagement für Transparenz im Lobbyismus?
I. Dierßen: Transparenz in der politischen Willensbildung ist ein wesentlicher Baustein in einer Demokratie. Sie ermöglicht erst demokratische Kontrolle. Zudem braucht es mehr Ausgewogenheit im Lobbyismus. Unsere Analysen zeigen, dass Lobbyismus in Deutschland vor dem Hintergrund verfestigter Machtstrukturen und Machtungleichheiten stattfindet. Es gibt Akteure mit privilegierten Zugängen zur Politik. Hier sehen wir auf der einen Seite Unternehmen und wirtschaftsnahe Verbände, wie auch den VCI, die erhebliche Mittel einsetzen können, deren Interessen aber gerichtet sind auf ein bestimmtes Geschäftsmodell oder ein Partikularinteresse ihrer Branche, während es auf der anderen Seite Interessen gibt, die eher das Gemeinwohl im Blick haben.
U. Tillmann: Damit Demokratie funktioniert, ist der Austausch zwischen Politik und Interessenvertretern notwendig. Lobbyisten bringen ihren Sachverstand in den Gesetzgebungsprozess ein. Aus unserer Sicht stehen wir hier sehr wohl im Einklang mit dem Gemeinwohl. Denn der Wohlstand unserer Gesellschaft ist wesentlich dadurch geprägt, dass wir industrielle Aktivitäten haben, die Arbeitsplätze bieten und Wertschöpfung ermöglichen. Es ist richtig, dass wir für die wirtschaftlichen Interessen unserer Branche eintreten. Aber es ist falsch zu glauben, wir würden dabei gegen gesellschaftliche Interessen arbeiten.
I. Dierßen: Es ist absolut legitim, dass Sie das wirtschaftliche Interesse ihrer Mitgliedsunternehmen vertreten. Das ist aber nicht mit gesellschaftlichen Interessen gleichzusetzen. Uns geht es um strukturelle Gegebenheiten bei der politischen Willensbildung. Gemeinwohl ist nicht per se existent. In einer Gesellschaft wird ausgehandelt, was als Gemeinwohl gesehen wird. Sie als Chemieverband haben zum Beispiel ein hohes Interesse an der Wiederzulassung von Glyphosat. Umweltschutz- und Verbraucherschutzverbände vertreten hier eine andere Auffassung. Uns interessiert: Haben wirklich alle Stimmen, die sich zu diesem Thema äußern wollen, die gleichen Zugänge zur Politik? Haben sie die gleichen Mittel? Ich sage: nein. Der Verband der Europäischen Chemischen Industrie, CEFIC, ist mit 12 Mio. EUR Lobbybudget der größte Lobbyakteur in Brüssel. Für den VCI sind 84 verschiedene Personen in Brüssel aktiv. Sie verfügen über Zugang zu EU-Expertengruppen, in denen wichtige Regeln erarbeitet werden. Dies gilt für Umwelt- oder Verbraucherschutzverbände nicht gleichermaßen. Wir wollen, dass es hier mehr Ausgewogenheit gibt.
U. Tillmann: Hierzu möchte ich anmerken: Der VCI ist mit acht Mitarbeitern in Brüssel vertreten. Die übrigen 76 Personen sind im EU-Transparenzregister mit jeweils 25 % gemeldet, da sie nur zeitweise EU-relevante Themen bearbeiten. Zu dem genannten Beispiel Glyphosat möchte ich erwidern: Als Verband vertreten wir grundsätzlich nicht Interessen zu einzelnen Produkten. Wir klinken uns jedoch ein, wenn die Anschuldigungen aufgrund formaler Aspekte nicht richtig und Entscheidungen rein emotional getrieben sind. Unser Ziel ist eine faktenbasierte Entscheidungsfindung auf der politischen Ebene. Wenn wir erkennen, ein Stoff ist für Mensch und Umwelt schädlich, dann setzen wir uns nicht für dessen Zulassung ein.
Welche Rolle spielen Emotionen bei politischen Entscheidungen?
I. Dierßen: Ich wehre mich dagegen, in Auseinandersetzungen oder wenn ein Akteur unter Kritik gerät, zu sagen, die Gegenseite agiert nur emotional und nicht faktenbasiert. Das ist diskreditierend. In der Debatte um Glyphosat oder TTIP gründet die Kritik von Nichtregierungsorganisationen auf umfangreichen Analysen. Nichtsdestotrotz spielen Emotionen in der Politik eine Rolle. Wir nehmen wahr, dass Bürger zunehmend empfinden, dass ihre Stimme von der Politik nicht gehört wird. Das ist eine Gefahr für die Demokratie und untergräbt die Integrität der politischen Entscheidungsfindung.
U. Tillmann: Sie sagen, Bürger fühlen sich nicht ernst genommen von der Politik. Meine tagtägliche Erfahrung in den Diskussionen mit Politikern ist eine andere. Die Politik ist heute viel stärker daran interessiert zu wissen, was der Wähler denkt. Umfrageergebnisse steuern heute politische Aktivitäten stärker als fachliche Auseinandersetzungen zu einem Thema. Denn Politiker möchten wiedergewählt werden.
Die Emotionalisierung, die ich kritisiere, findet auf einer anderen Ebene statt. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die EU hat in der Vergangenheit viele Handelsabkommen mit unterschiedlichen Regionen abgeschlossen. Als jedoch bei der Diskussion um TTIP das Chlorhuhn das Licht der Welt erblickt hat, erzeugte das ein so überzogenes Bild in der Öffentlichkeit, dass niemand mehr das Thema unterstützen wollte. Die Debatte war durch das Bild so emotionalisiert, dass wir und vielleicht auch die Politik nicht mehr adressieren konnten, worin der wirkliche Vorteil dieses Freihandelsabkommens gelegen hätte. Ich behaupte, wenn wir damals TTIP verabschiedet hätten, wären wir heute sehr froh, weil wir eine Reihe an aktuellen Problemen mit den USA nicht hätten.
Frau Dierßen, Sie fordern mehr Ausgewogenheit beim Zugang zur Politik. Wie kann das gelingen?
I. Dierßen: Zusätzlich zur Transparenz braucht es weitere Regeln. Expertengruppen in der Europäischen Union, in denen sehr viel über die Regulierung einzelner Branchen gesprochen wird, sollten ausgewogener besetzt sein. Politiker sollten sich sehr viel häufiger mit zivilgesellschaftlichen Organisationen treffen. Durch die Kontakttransparenz, die es zum Teil in der Europäischen Union gibt, wissen wir, dass Gespräche zu wichtigen Politikvorhaben zu großen Teilen mit Vertretern aus Großunternehmen und wirtschaftsnahen Verbänden geführt werden. Bei dem Handelsabkommen mit Japan hat die Kommission zum Beispiel überhaupt nicht mit kleinen und mittelständischen Unternehmen gesprochen, obwohl diese maßgeblich davon betroffen sind.
U. Tillmann: Es wäre in der Tat sträflicher Leichtsinn, KMU bei diesem Thema außer Acht zu lassen. Wann immer wir mit der Kommission reden, sprechen wir nicht allein für einige große DAX-notierte Unternehmen, sondern vertreten die Interessen der gesamten Chemiebranche und damit auch maßgeblich die kleiner und mittelständischer Chemieunternehmen. Sie sind entscheidend für die Innovationskraft unserer Industrie, denn sie übernehmen unter anderem die Weiterverarbeitung der Produkte großer Konzerne.
Die Einbindung der Zivilgesellschaft, die Sie einfordern, halte ich auf dieser politischen Entscheidungsebene für schwierig umsetzbar. Wir sehen es daher als unsere Aufgabe, die Öffentlichkeit im Vorfeld politischer Entscheidungen mit in unsere Diskussion einzubinden. So haben wir zum Beispiel zum Thema Klimaschutz Dialoge mit unterschiedlichen Stakeholdern aus der Gesellschaft geführt und die Öffentlichkeit frühzeitig in unsere Diskussionen mit eingebunden.
I. Dierßen: Wenn einzelne Branchen den Dialog mit denjenigen suchen, die gegebenenfalls eine andere Auffassung vertreten, ist das durchaus positiv. Aber es entlastet die Politik nicht davon, auch den Dialog mit Zivilgesellschaften zu führen. Dies anders zu sehen wäre ein fatales demokratisches Verständnis. Es ist Aufgabe der Politik, für mehr Ausgewogenheit zwischen allen Lobbyakteuren zu sorgen. Hier gibt es noch viel zu tun.
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