Medikamente aus dem 3D-Drucker
ISPE-Experten diskutieren Trends und Herausforderungen für die Pharmaproduktion der Zukunft
Die International Society for Pharmaceutical Engineering (ISPE) vertritt weltweit die Anliegen der Pharmaproduktion. Auf ihrer jährlichen Europakonferenz, die dieses Mal in Barcelona stattfand, diskutierten die Fachleute Themen wie Qualität, Compliance, Kosten, Liefersicherheit und die digitale Verknüpfung von Produktionsprozessen. Dr. Thomas Zimmer, Vice President of European Operations bei der ISPE, sprach mit Dr. Michael Reubold über die aktuellen Herausforderungen und die Zukunftsvisionen für die Pharmafertigung.
CHEManager: Herr Dr. Zimmer, die ISPE vergibt jedes Jahr in mehreren Kategorien Preise für die Fabrik des Jahres – Facility of the Year, kurz: FOYA. Was leiten Sie daraus an Trends ab?
Dr. T. Zimmer: Die Pharmafabrik der Zukunft muss sich stärker als bisher den Erfordernissen eines ständig wechselnden Produktportfolios anpassen. Fusionen und Übernahmen von Unternehmen führen immer häufiger zu Produkttransfers und Fabrikschließungen. Marktschwankungen und kürzere Produktlebenszyklen machen auch große Produktvolumina kleiner, und umgekehrt. Blockbuster werden seltener, die Produktpalette nimmt bei steigendem Marktwachstum zu, die Folge ist eine höhere Komplexität in Mehrzweck-, also Vielprodukte-Anlagen.
Für die Fabriken heißt das, sie müssen flexibler sein und eine kürzere Reaktionszeit auf Veränderungen erlauben. Reinigungs- und Produktwechselzeiten müssen drastisch reduziert werden, ohne dass Qualität, Sicherheit oder Compliance darunter leiden. Single-use-Technologien kommen hier zum Einsatz. Investitionen müssen sorgfältiger und so spät wie möglich geplant werden. Das erfordert ausgezeichnete Projektmanagementfähigkeiten. Die Pharmafabrik der Zukunft muss zudem modular aufgebaut sein, um bei Veränderungen im einen Teil die fortlaufende Produktion im anderen Teil nicht zu stören.
Was bedeuten diese Fertigungstrends für die Innovation im Produktbereich, also bei den Arzneimitteln?
Dr. T. Zimmer: Produktinnovation wird in der pharmazeutischen Industrie weiterhin von der medizinischen Forschung getrieben. Auf der Ebene der Technologieplattformen kommen die Elemente von Industrie 4.0 zum Tragen: End-to-end-Integration von computerisierten Systemen entlang der Wettschöpfungskette, Digitalisierung und Automation. Voraussetzung dafür ist Datenintegrität, das heißt „GMP für Daten“. Vernetzte Systeme erlauben es, Effizienzpotentiale zu erschließen, die bisher nicht erreichbar waren. Allerdings werden Teile des Altportfolios diesen Entwicklungssprung nicht mitmachen können, da das Produktdesign und die Produktionsprozesse nicht „ready for automation“ – also: automatisierbar – sind, weil sie unter komplett anderen Zielsetzungen entwickelt worden waren.
Was bedeuten diese Fortschritte in der Fertigungstechnologie für die Regulierungs- oder Zulassungsbehörden?
Dr. T. Zimmer: Die kontinuierliche Fertigung scheint einer der innovativsten Ansätze für die Behörden zu sein, insbesondere wenn es um biotechnologische Produktionsprozesse oder die Herstellung von Wirksubstanzen auf Basis kleiner Moleküle geht, also: small molecule active pharmaceutical ingredients. Mit der kontinuierlichen Produktion können gegenüber der Chargen-Produktion Prozesse verkürzt werden, was die Verfügbarkeit von Medikamenten am Markt erhöht. Dies ist ein grundsätzliches Interesse von Gesundheitsbehörden.
Ein weiteres Gebiet sind die Technologieansätze zur personalisierten Medizin, was im Technologiesektor eine Hinwendung zu kleinen und Kleinstchargen bedeutet. Noch sehr früh in der Technologiereife sind hier erste Versuche zur Herstellung von Einzeldosen im 3D-Druck. Hier müssen die galenischen Grundzüge noch entwickelt werden, zum Beispiel die Prinzipien der Wirkstofffreisetzung aus 3D-Matrizes.
Weiter fortgeschritten sind die Single-use-Technologien, die aufwändige Reinigungsvalidierungen eliminieren, welche, nicht richtig ausgeführt, eine Hauptquelle für Mängelbescheide bei GMP-Inspektionen sind.
Das klingt nach einer Reihe von Vorteilen, aber auch Herausforderungen für die behörden.
Dr. T. Zimmer: Behördenvertreter begrüßen Innovationen im Technologiebereich grundsätzlich, wenn sie die Basisanforderungen an Qualität und Sicherheit erfüllen oder stabilisierend für Qualität und Compliance wirken. Nicht selten führen neue Technologieansätze aber zu vielen Fragen seitens der Behörden, was oft als „bremsend“ missverstanden wird. Der Innovator im Pharmasektor muss deshalb auch an die verständliche Vermittlung und Erklärung seiner Neuerungen denken, damit sie für Nicht-Experten nachvollziehbar und plausibel sind.
Wird die kontinuierliche Fertigung zum Standardverfahren für die Herstellung von pharmazeutischen Produkten werden?
Dr. T. Zimmer: Dort, wo die kontinuierliche Herstellung klare Vorteile bringt, ist ein Trend erkennbar. Dies ist heute schon bei Großprodukten der Fall, die die teils erheblichen Investitionen für die Konti-Herstellung tragen können. Für Kleinprodukte müssen Ansätze über die Miniaturisierung von Herstelleinrichtungen noch zur Produktionsreife entwickelt werden.
Ein genereller Vorteil der Konti-Herstellung liegt vor allem in der Vermeidung jeglicher Scale-up-Problematik, also der Veränderung physikalischer Rahmenbedingungen in unterschiedlichen Ansatzgrößen zwischen Entwicklung und Produktionsbetrieb.
Sie haben die Datenintegrität erwähnt und den Term „GMP für Daten“ verwendet. Was verstehen Sie darunter?
Dr. T. Zimmer: Datenintegrität ist gegenwärtig ein intensiv diskutiertes Thema, einerseits wegen neuer Regularien der WHO, der amerikanischen FDA und der britischen MHRA (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, Anm. d. Red.), sondern auch deshalb, weil viele Firmen realisieren, dass der Scope „Compliance relevanter Daten“ die gesamte Wertschöpfungskette und damit fast alle Funktionen eines pharmazeutischen Unternehmers umfasst. Die Richtigkeit, Vollständigkeit und Unverwechselbarkeit von Daten sind Parameter, die Grundpfeiler der Good Manufacturing Practice sind. Deshalb kann man auch von „GMP für Daten“ sprechen.
Angestoßen durch diese Betrachtungen werden in vielen Firmen auch Standardisierungen von Data Warehouses vorgenommen und Rahmenwerke für das Master Data Management geschaffen. Diese Voraussetzungen sind notwendig, um auch eine Datenintegrität sicherstellen zu können.
Ein weiteres intensiv diskutiertes Thema ist die Echtheitsprüfung von Medikamenten. Sind wir mit der Serialisierung durch das Kennzeichnen mit Datamatrix-Codes am Ziel angekommen, die Rückverfolgbarkeit verschreibungspflichtiger Arzneimittel in der kompletten Lieferkette von der Produktion über den Großhandel bis hin zu Apotheke und Patient sicherzustellen?
Dr. T. Zimmer: Die Implementierung der 2D-Barcodes auf Pharmaverpackungen ist im Prinzip keine neue Technologie. Die Herausforderungen technischer Art liegen mehr in der Komplettvernetzung der computerisierten Systeme entlang der gesamten Wertschöpfungskette zwischen Ausgangsstoff und Fertigprodukt in der Apotheke, da diese Kette auch die „Verifizierungsstrecke“ von Codes umfasst. Das bedeutet, dass der Apotheker im Moment der Arzneimittelabgabe verifiziert, ob es sich um eine Fälschung oder ein korrektes Arzneimittel handelt.
Die Vernetzung erfordert technische Kommunikationsstandards, nicht nur standardisierte Prüfnummern und Codes. Solche Standards müssen auch berücksichtigen, welche Teile der Sicherungsnummer welchen Eigentümer haben. Eine Global Trade Identification Number, kurz: GTIN hat andere Dateneigentümer als zum Beispiel eine zusätzliche nationale Pharmazentralnummer in Deutschland. Zur Lösung dieser Fragen haben sich einige Industriekonsortien gegründet.
Ein Tagungsteil während der diesjährigen ISPE-Europakonferenz war dem Thema Advanced Aseptic Processing gewidmet. Was waren die wichtigsten Ergebnisse dieser Diskussionen?
Dr. T. Zimmer: Die pharmazeutische Industrie wartet gegenwärtig noch auf den ersten Entwurf der Komplettüberarbeitung des Annex 1 des EC GMP Guides. Er soll nun im Spätjahr 2017 erscheinen. Deshalb konzentrieren sich die Diskussionen weiter auf den Fortschritt bei bekannten Themen. Wann ist der Einsatz von Isolatoren möglich und sinnvoll? Wie weit können manuelle Interventionen als potentielles mikrobiologisches Produktionsrisiko ausgeschlossen werden? Welche Einsatzmöglichkeiten für Roboter gibt es? Welchen Vorteil bringt der Einsatz von Single-use-Technologien? Wie können Multi-purpose-Fabriken mit der RABS-Technologie (RABS = Restricted Access Barrier System, Anm. d. Red.), die dazu dient, Produkt und Prozess physisch von der Produktionsumgebung und dem Anwender zu trennen, effizient und sicher betrieben werden? Hier wird weiter Diskussionsbedarf bestehen.
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