Märkte & Unternehmen

Kunststoffen zu jedem Zeitpunkt einen Wert geben

Ganzheitliche Kreislaufwirtschaft – dazu zählt auch das chemische Recycling – fördert Umweltschutz und sichert Wettbewerbsfähigkeit

13.09.2023 - Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft ist von grundlegender Bedeutung, um die Entsorgung von Kunststoffabfällen auf Deponien, ihre Verbrennung und vor allem ihre Einträge in die Umwelt und die Ozeane zu verhindern. Plastics Europe, der Verband der Kunststofferzeuger mit fast 100 Mitgliedsunternehmen, die für mehr als 90 % der Kunststoffproduktion in Europa stehen, will den Wandel der Branche hin zu mehr Nachhaltigkeit vorantreiben.

Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft ist von grundlegender Bedeutung, um die Entsorgung von Kunststoffabfällen auf Deponien, ihre Verbrennung und vor allem ihre Einträge in die Umwelt und die Ozeane zu verhindern. Plastics Europe, der Verband der Kunststofferzeuger mit fast 100 Mitgliedsunternehmen, die für mehr als 90 % der Kunststoffproduktion in Europa stehen, will den Wandel der Branche hin zu mehr Nachhaltigkeit vorantreiben. Der Verband versteht Kunststoff als wertvolle Ressource, die konsequent im Kreislauf geführt werden muss, um die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu reduzieren und stattdessen alternative und erneuerbare Rohstoffe für ihre Produktion einzusetzen. Auf dem noch weiten Weg zu einer kohlenstoffneutralen Kreislaufwirtschaft spielen gesetzliche Vorgaben, wie sie derzeit auf nationaler und internationaler Ebene vorbereitet werden, eine maßgebliche Rolle. Michael Reubold sprach mit Ralf Düssel, dem Vorsitzenden von PlasticsEurope Deutschland. Er erläutert, welchen Einfluss Richtlinien und Verordnungen auf die Verwirklichung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft in Deutschland, aber auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen haben können.

CHEManager: Herr Düssel, die Bundesregierung arbeitet derzeit an einer Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie, bei der Kunststoffe eine zentrale Rolle spielen werden, und global wird ein bindendes UN-Plastikabkommen verhandelt. Wie beurteilen Sie diese Initiativen und welche Vorstellung einer zirkulären und nachhaltigen Wirtschaft mit Kunststoffen bringt ihre Industrie ein?

Ralf Düssel: Auf globaler Ebene geht es noch sehr um Grundsätzliches, etwa um den Aufbau von Sammel- und Sortiersystemen für Kunststoffabfälle, damit Plastik nicht mehr unsere Ökosysteme belastet. In der EU und in Deutschland sind wir gefordert, eine ganzheitliche Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe aufzubauen. Dabei geht es darum, die Herstellung von Kunststoff von fossilen Ressourcen zu entkoppeln und Kunststoffe konsequent im Kreis zu führen. So schonen wir Ressourcen und das Klima und geben Kunststoffen zu jedem Zeitpunkt einen Wert. Und neben dem ökologischen Aspekt können Unternehmen mit effizienter Ressourcennutzung auch eine Menge Wertschöpfung generieren, die bislang verloren geht.

Können Sie das etwas präzisieren – wie genau soll eine Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen aussehen? 

R. Düssel: Erstens braucht es ein zirkuläres Produktdesign. Unsere Branche arbeitet daran, Materialeinsätze zu verringern, die Langlebigkeit von Produkten zu erhöhen und ihre Komplexität zu reduzieren. Überall, wo es technisch möglich und ökologisch sinnvoll ist, setzt die Branche für bessere Rezyklierbarkeit auf Monomaterialien sowie auf Mehrweg statt Einweg. Zugleich gilt es, beim Design einen möglichst hohen Einsatz von Rezyklaten mitzudenken. Zweitens passt die Nutzung fossiler Rohstoffe nicht zur Logik der Kreislaufwirtschaft. Sie schadet dem Klima und erhöht unsere geopolitischen Abhängigkeiten. Wir werden Kunststoffe mehr und mehr aus Bioabfällen und CO2 herstellen und große Fortschritte im Recycling machen. Das Nova-Institut rechnet für 2050 mit 20 % biobasierten, 25 % CO2-basierten und 55 % recycelten Kunststoffen.

„Die Nutzung fossiler Rohstoffe passt nicht zur Logik der Kreislaufwirtschaft.“


Das Recycling wird also auch in einer Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen zentral bleiben?

R. Düssel: Das wird es. Auch deshalb weisen wir als Branche immer wieder darauf hin, wie wichtig Innovationen beim mechanischen Recycling und die Skalierung chemischer Recyclingverfahren sind. 2021 wurden in Deutschland nur gut ein Drittel aller Kunststoffabfälle dem Recycling zugeführt, Produkte aus Kunststoff bestanden nur zu etwa 16 % aus Rezyklaten. Das ist viel zu wenig. Wir werden nur dann erfolgreich sein, wenn wir alle Technologien nutzen, die uns zur Verfügung stehen – auch das chemische Recycling.

Kritiker bezeichnen das chemische Recycling als „Umweltwahnsinn“, die Technologie benötige zu viel Energie und sei ineffizient. Was entgegen Sie dem?

R. Düssel: Wir sind uns einig, dass wir einen ausreichend großen Feedstock für Kunststoffe benötigen, zugleich Klima und Ressourcen schützen und deshalb weniger fossile Rohstoffe aus der Erde holen wollen. Und was machen wir dann mit all den Anwendungen aus Kunststoff, die nicht mechanisch recycelt werden können? Wir verbrennen sie! Mit Verlaub, aber das ist der eigentliche Umweltwahnsinn. Ja, es wird mehr Energie benötigt als beim mechanischen Recycling, aber zu diesem steht das chemische Recycling auch nicht in Konkurrenz, sondern zur Verbrennung. Zahlreiche Studien, zuletzt ein JRC-Report der EU-Kommission, haben gezeigt, dass chemisches Recycling ökologisch um Meilen besser ist als die Verbrennung und dabei wertvollen Feedstock zurückgewinnt.

In Sachen Effizienz hat das Karls­ruher Institut für Technologie gezeigt, dass aus Rezyklaten schon jetzt zwischen 50 % und 80 % des Kohlenstoffs zurückgewonnen werden, Tendenz steigend. Die Frage der Ausbeute ist durchaus zufriedenstellend. Und beim Thema Energie-Input kommt es darauf an, wo der Vergleich ansetzt: Der Energieeinsatz von chemischen Recyclingprozessen wie der Pyrolyse ist mit dem des mechanischen Recyclings vergleichbar. Aber: Beim chemischen Recycling entstehen jedoch zunächst keine Regranulate, sondern Sekundärrohstoffe wie Pyrolyseöl. Für die Verarbeitung zu Regranulaten muss tatsächlich zusätzliche Energie eingesetzt werden. Dadurch ist der Energieaufwand größer. Jedoch: Die chemisch recycelten Regranulate haben Neuwarequalität und sind sogar für Lebensmittelverpackungen geeignet, in denen bislang kaum Rezyklate eingesetzt werden können.

„Mit effizienter Ressourcennutzung können Unternehmen eine Menge Wertschöpfung generieren.“


Wenn alle Erfolgsfaktoren auf Seiten des chemischen Recyclings sind, warum ist es dann noch eine Nischentechnologie?

R. Düssel: Die Skalierung hängt derzeit vor allem von der Anerkennung geeigneter Massenbilanzen durch die Politik ab. Das klingt sehr technisch, ist im Grunde aber einfach zu verstehen: Derzeit sind Sekundärrohstoffe aus chemischem Recycling noch nicht in genügend großen Mengen verfügbar, um bestehende Großanlagen zur Herstellung von Kunststoff damit auszulasten. Deshalb müssen die Anlagen mit einem Gemisch gespeist werden, das sowohl chemisch recycelte Rohstoffe als auch fossile Rohstoffe enthält. 

Machen wir es einmal konkret: Nehmen wir beispielhaft an, dass 3 % Pyrolyseöl aus dem chemischen Recycling zur Herstellung neuer Kunststoffe in einen Cracker der Industrie gehen. Wenn anschließend lediglich diese 3 % allen Kunststoffprodukten zugeordnet werden, die aus dem Cracker hervorgehen, dann liegt der Rezyklatanteil jedes einzelnen Produkts bei 3 %. Das ist zu gering, um die Zielvorgaben der EU von 30 % Rezyklateinsatz zu erfüllen. Wenn aber beispielhaft neun von zehn Produkten aus diesem Cracker kein Rezyklatanteil und dafür einem dieser zehn Produkte ein Rezyklatanteil von 30 % zugeordnet werden, erfüllt das Produkt die EU-Vorgaben und wir haben einen belastbaren Business Case, in den die Unternehmen investieren können. Genau dafür braucht es Massenbilanzen.

Das ist unterm Strich rechnerisch korrekt, aber letztlich ist diesem einen Produkt dann ein größerer Rezyklatanteil zugeordnet als es tatsächlich enthält. Ist das kein „Greenwashing“?

R. Düssel: Nein, denn es werden insgesamt ja keine größeren Mengen chemisch recycelter Kunststoffe ausgewiesen, als tatsächlich auf dem Markt sind. Dafür wird anderen Produkten ein geringerer oder gar kein Rezyklatanteil zugewiesen. Es ist dasselbe Prinzip wie beim Ökostrombezug. Verbraucher, die einen Ökostromliefervertrag abgeschlossen haben, bekommen erzeugten Grünstrom aus Solar, Wind- oder Wasserkraft bilanziell zugeordnet. Physikalisch erhalten sie häufig einen Mix aus Grün- und Graustrom. Trotzdem ist der eingekaufte Grünstrom nur einmal dem Verbraucher und niemand anderem zugeordnet worden. Die bezahlten Grünstrommengen wurden produziert und der Verbraucher hat zur Deckung von Investitionen in die Grünstromerzeugung beigetragen. Das wäre auch beim chemischen Recycling der Fall, das somit einen ganz anderen Rückenwind für die weitere Skalierung bekommt. Das macht aus unserer Sicht Sinn: Denn erstens hätten Unternehmen Investitionssicherheit und mit dem weiteren Ausbau des chemischen Recyclings stiegen auch die Mengen, die in Produktionsanlagen eingesetzt werden. Zweitens können Politik und Regulatoren durch die Massenbilanzierung den stetigen Fortschritt bei der Materialherstellung nachvollziehen. Und drittens erhalten Verbraucher so Transparenz über die Berechnungsmethode.

Wie bewerten Sie die Chancen, dass es in der Thematik Massenbilanzierung vorangeht?

R. Düssel: Die EU-Kommission will voraussichtlich im Oktober eine Entscheidung für ihre Position zur Massenbilanzierung vorbereiten. Diese könnte die Grundlage für nachfolgende Rechtsakte sein, bei denen es auch um Quoten für Rezyklateinsatz geht, wie etwa bei der Verpackungsverordnung oder der Verordnung über Altfahrzeuge. Die Position der Bundesregierung ist bei der Entscheidungsfindung sehr wichtig. Die Bundesregierung muss Chancen wie diese besser nutzen, damit wir in der EU und in Deutschland in Sachen Klimaschutz, Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft vorankommen und im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss verlieren.

Bundeswirtschaftsminister Habeck wiegelte bei Warnungen wie dieser unlängst ab. Er sehe keinen Grund für „German Angst“. Zumal in Deutschland nach wie vor viele Innovationen gerade auch bei nachhaltigen Technologien entwickelt werden.

R. Düssel: Es ist richtig, dass ein Großteil der Technologien für die Kreislaufwirtschaft in Deutschland erfunden und entwickelt wird. Aber: Die schwierigen Standortfaktoren führen dazu, dass diese Innovationen nicht hier, sondern anderswo umgesetzt werden – und das in zunehmendem Maß. Derzeit werden von der Politik zentrale strategische Entscheidungen – auch in der Chemie – gegen Deutschland getroffen. Das ist keine German Angst, sondern Realität. Bezogen auf das Thema Recycling heißt das: Es geht in Sachen Wettbewerbsfähigkeit auch um Geschwindigkeit. Für die Unternehmen unserer Branche stellt sich nicht mehr die Frage, ob sie in das chemische Recycling investieren wollen, sondern darum, wo sie es machen werden. 

Das Zeitfenster für Innovationen am Standort Deutschland beginnt sich zu schließen. Wer jetzt den Anschluss verpasst, verkauft Kunststoffabfälle in Zukunft ins Ausland, wo dann die Anlagen für das chemische Recycling stehen werden, welche diese Abfälle verwerten. Die Technologievorsprünge und Wertschöpfung, die wir verlieren, werden kaum zurückkommen. Dazu darf es aus meiner Sicht nicht kommen. Deshalb unser Appell als Kunststoffhersteller: Lasst uns als Industrie ebenso wie als gesamte Gesellschaft geschlossener als bislang vorangehen. Denn es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dafür zu sorgen, dass wir nachhaltig werden und ein Industrieland bleiben – und damit ein gutes Leben im Wohlstand und Einklang mit planetaren Grenzen für die kommenden Generationen sichern.

www.plasticseurope.org

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Zur Person

Ralf Düssel ist seit Mai 2022 Vorsitzender von PlasticsEurope Deutschland. Düssel verantwortet bei Evonik seit Februar 2018 als Senior Vice President und General Manager High Performance Polymers das globale Geschäft der Hochleistungspolymere. Er studierte Chemieingenieurwesen an der TU München und begann seine berufliche Laufbahn nach der Promotion 1996 bei Degussa in Marl und Hanau. 2001 wurde er Standortleiter bei Degussa Waterford in den USA, ehe er 2005 nach Essen wechselte und vor seiner aktuellen Position mehrere Führungspositionen in verschiedenen Geschäftsfeldern innerhalb des Evonik-Konzerns innehatte. 

Kontakt

PlasticsEurope Deutschland e.V.

Mainzer Landstr. 55
60329 Frankfurt