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Kohleverflüssigung: die chemische Industrie Südafrikas

18.03.2013 -

Die chemische Industrie Südafrikas blickt auf eine ganz besondere Geschichte zurück. Im Gegensatz zur Chemiebranche andernorts hat sie sich nicht aus dem Gründergeist von Chemie-Unternehmerpersönlichkeiten wie Friedrich Bayer, Friedrich Engelhorn, Henry Dow oder den Brüdern Albert und Ernest Solvay heraus entwickelt. Stattdessen wurde sie weitgehend staatlich aufgebaut und mit dem strategischen Ziel entwickelt, Südafrika wirtschaftlich unabhängig zu machen. Da das Land aufgrund der Apartheid-Politik weitgehend isoliert agierte, galt es, eigene Produktionskapazitäten mit vorhandenen Mitteln und Fähigkeiten aufzubauen, um den nationalen Bedarf zu decken. Entsprechend konzentrierte man sich zuerst auf die Industrie für Explosivstoffe und Düngemittel, um die Bergbauaktivitäten und Landwirtschaft zu unterstützen. Außerdem wurde mit dem Ziel der Autarkie und aus Ermangelung geeigneter Ölreserven die Gewinnung von Öl aus Kohle aufgebaut und gefördert.

Heute steuert Südafrika mit einem Umsatzvolumen in Höhe von 18,2 Mrd. US-$ (2004) etwa 1% zur weltweiten Chemieproduktion bei. Damit ist es ein kleiner Produzent, bewegt sich aber in der gleichen Größenordnung wie Mexiko, Taiwan oder Schweden. Das durchschnittliche Wachstum von 2000 bis 2004 betrug 3,8% pro Jahr. Dieses stetige Wachstum wird bis in das Jahr 2009 prognostiziert. Mit einem Anteil von 56 % an Grundchemikalien ist der Commodity-Bereich wesentlich stärker entwickelt als die Spezialchemie – eine langfristige Folge der historisch bedingten Notwendigkeit, eine starke Industrie zur Sicherung petrochemischer Grundstoffe zu schaffen.

Exportschlager Kohleverflüssigung

Die quasi aus der Not heraus entwickelte Kohleverflüssigung (ein Verfahren zur Überführung von Kohle in flüssige Kohlenwasserstoffe zur Gewinnung von Benzin, Diesel und petrochemischen Grundstoffen) hat sich mittlerweile zum Exportschlager Südafrikas entwickelt. Sasol, das ursprünglich staatliche, mittlerweile private Unternehmen, konnte sich als einer der weltweit führenden Spezialisten für Coalto- Liquid- sowie Gas-to-Liquid- Technologie etablieren.

Besonders China ist aufgrund seiner riesigen Kohlevorkommen an diesen Verfahren zur Kohleverflüssigung interessiert. Etwa 25 Kohleverflüssigungsanlagen befinden sich im Planungsstadium oder sogar bereits im Bau.

Erst kürzlich traf der chinesischen Kohlekonzern Shenhua Group mit Sasol ein Abkommen über die Errichtung zweier Coal-to-Liquid-Anlagen (Produktionskapazität je über 80.000 Barrel pro Tag; Investitionsvolumen je 5 Mrd. US-$; geplante Inbetriebnahme in 2012) in den Provinzen Shaanxi und Ningxia Hui. Auch die Indian Oil Corp. plant, mit Hilfe von Sasols Technologie die erste Kohleverflüssigungsanlage in Indien zur Produktion von 4 Mio. t synthetischem Rohöl zu errichten.

Sasol hat ganz klar den Sprung in den internationalen Markt geschafft und bietet nun auf dem Gebiet der Kohlekonversion neben Weltkonzernen wie Royal Dutch Shell, General Electric, Lurgi oder Uhde mit. Aufgrund seines hohen Innovationsgeistes ist es Sasol gelungen, die ursprünglich in Deutschland entwickelte Fischer- Tropsch-Synthese technisch zu perfektionieren und wirtschaftlich konkurrenzfähig zu machen.

Gute Prognosen für die Spezialchemie

Die Rahmenbedingungen zur Entwicklung des Spezialchemie- Segments und des Konsumgüterbereiches scheinen gut. Die EIU prognostiziert für Südafrika jährliche Wachstumsraten für das Bruttoinlandsprodukt zwischen 4,6 und 5,3% bis zum Jahr 2009. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die erwartete Verbesserung des Lebensstandards der wirtschaftlich und sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen: Die Gesetze zum Black Economic Empowerment (BEE) haben zum Ziel, sie für das während der Apartheid erfahrene Unrecht zu entschädigen und wirtschaftlich zu stärken. Die ergriffenen Maßnahmen, wie Arbeitsplatzquotierungen oder Fortbildungen, erfüllen jedoch nicht nur moralische Ansprüche. Sie sollen zugleich das Wirtschaftswachstum Südafrikas insgesamt ankurbeln.

Entsprechend nehmen die Ausgaben für den privaten Konsum zu, wovon z. B. die Kosmetik- und die Automobilindustrie profitieren. Die Erholung auf dem Immobilienmarkt hat für einen Bau-Boom gesorgt, der aufgrund vieler geplanter Großprojekte, wie etwa die Errichtung der Gautrain-Bahnlinie zwischen Johannesburg und Pretoria oder Stadienbauten und Infrastrukturprojekte in Vorbereitung auf die Fußballweltmeisterschaft 2010 noch am Anfang stehen sollte. Hiervon werden insbesondere Produzenten von Anstrichfarben und Beschichtungen profitieren.

Ausblick

Mit Sasol verfügt Südafrika über einen echten Global Player, der durch konsequentes Innovationsmanagement eine als veraltet geltende Technologie wieder zum Markterfolg geführt hat. Die Kohleverflüssigung wird als Alternative zu petrochemischen Verfahren auch zunehmend für die Gewinnung chemischer Grundstoffe interessant – besonders vor dem Hintergrund explodierender Rohöl- und Erdgaspreise.

Der Spezialchemiesektor hingegen steht noch vor der Herausforderung, sein Innovationspotential zu entfalten und sich die guten Wachstumsaussichten für Generika, technische Kunststoffe sowie Chemikalien zur Wasseraufbereitung, Oberflächenbeschichtung und Nahrungsmittelherstellung zunutze zu machen. Auch die Erschließung lokaler Märkte und die Qualifizierung von Fachpersonal stellen die Unternehmen vor große Aufgaben.

Südafrika bietet bei anhaltend stabilem Wachstum und sehr guter Positionierung als Tor zu den afrikanischen Märkten einen der besten Investitionsräume auf dem Kontinent. Während westliche Produzenten sich noch voll und ganz auf China und Indien als zukünftige Wachstumsmärkte konzentrieren, stärken China und Indien dagegen bereits ihre Handelsbeziehungen mit Südafrika.

Gute Gründe, eine Eintrittsstrategie für den afrikanischen Markt zu entwerfen. Allerdings sind ein langer Atem und ein gewisser Pioniergeist gefragt, um hier zu reüssieren. Noch ist der Anteil der armen und arbeitslosen Bevölkerung hoch. Mehr als die laufenden Programme zur Förderung des wirtschaftlichen Aufschwungs ist gefordert, um die lokale Nachfrage nachhaltig zu stabilisieren. Um das kurz- und mittelfristige Erfolgspotential der afrikanischen Märkte auszuloten und zu erschließen, können zunächst Technologiepartnerschaften und die Nutzung lokaler Distributoren Strategien zum eigenen Engagement darstellen.

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