Klinische Studien mit Risiken und Nebenwirkungen
Westliche Pharmakonzerne können Medikamententests in Schwellenländern nicht ausreichend kontrollieren
Pharmaunternehmen testen ihre neuen Wirkstoffe und Medikamente oftmals weltweit. Während in entwickelten Staaten hohe Standards an solche klinischen Studien gelegt werden, wird dies in Schwellenländern teilweise laxer gehandhabt.
Die europäische Arzneimittelbehörde (European Medicines Agency, EMA) hat kürzlich das Ruhen der Zulassungen von 700 europäischen Nachahmermedikamenten - sogenannte Generika - empfohlen, da diese auf Tests des indischen Studienbetreibers GVK Biosciences basieren. Der hat nachweislich Daten manipuliert. Eine Gefahr für Patienten besteht offenbar nicht, doch die Dimension des Falls zeigt, dass klinische Studien in Drittländern ein erhebliches Risiko in sich bergen.
Unzuverlässige Daten
Bevor die europäische Arzneimittelbehörde EMA Anfang des Jahres empfahl, 700 Medikamenten, die Zulassung bei GVK Biosciences getestet worden waren, in Europa die bereits erteilte Zulassung zu entziehen, hatte das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) das Ruhen der Zulassungen von 80 generischen Arzneimitteln verfügt, bei denen GVK Studien durchgeführt hatte. Einige deutsche Pharmaunternehmen, die dieses Verbot betraf, legten Rechtsmittel ein und erreichten damit, dass das Ruhen der Zulassung in manchen Fällen wieder aufgehoben wurde.
Was war passiert? GVK Biosciences aus Hyderabad hatte im Auftrag deutscher und europäischer Pharmaunternehmen klinische Tests in Indien durchgeführt. Dabei handelte sich um Bioäquivalenzstudien bei Generika. Das sind relativ kleine Studien mit nur wenigen Patienten. Dabei wird untersucht, ob bestimmte pharmakokinetische Parameter gleich beschaffen sind wie bei den Originalpräparaten - bspw. wie gut der Wirkstoff vom Körper aufgenommen, verstoffwechselt und wieder ausgeschieden wird.
Die französische Arzneimittelaufsicht ANSM hatte bei einer Kontrolle im vergangenen Jahr festgestellt, dass GVK Elektrokardiogramm-Daten in Studien mit generischen Arzneimitteln gefälscht hat. Nach Angaben der EMA fanden diese Manipulationen offenbar über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren statt. Aufgrund des systematischen Vorgehens, der langen Dauer der Fälschungen sowie der großen Zahl beteiligter Mitarbeiter gebe es grundsätzliche Zweifel an der Integrität der GVK-Studien und der Zuverlässigkeit der dabei gewonnenen Daten, so die europäische Behörde. Das Problem: Die indischen Studienunterlagen dieser Medikamente sind auch in Deutschland Teil der Zulassungspapiere. Ein, wenn auch kleiner, Teil dieser Unterlagen stützt sich also auf manipulierte Tests.
Das BfArM und anschließend auch die EMA zogen die Reißleine. Maik Pommer, BfArM-Sprecher: „Im Mittelpunkt dieser Maßnahme steht der vorbeugende Patientenschutz. Das Ruhen der betroffenen Zulassungen wurde angeordnet, weil die Bioäquivalenzstudien aufgrund der erheblichen Mängel bei der Studiendurchführung und der Datenvalidität nicht als Zulassungsgrundlage akzeptiert werden können."
Kein Einzelfall
Experten verweisen darauf, dass es zwar nicht die Regel sei, dass Probleme dieses Ausmaßes bei Studien in Schwellenländern auftreten. Andererseits habe es auch noch nie einen so deutlichen Fall gegeben wie bei GVK Biosciences. Zudem ist es nicht das erste Mal, dass die indische Pharmaindustrie in der Kritik steht - so bei einem Impfskandals der gemeinnützigen Organisation Path. Die hatte 2009 eine Beobachtungsstudie gestartet, bei der Tausende Mädchen gegen Gebärmutterhalskrebs geimpft wurden. Sieben Probandinnen starben. Obwohl kein direkter Zusammenhang zu der Impfung hergestellt werden konnte, stellte sich heraus, dass Ärzte und Behörden ethische Richtlinien missachtet hatten.
In einem anderen Fall sollen zwischen 2007 und 2010 rund 1725 Inder während ihrer Teilnahme an einer Arzneimittelstudie oder danach gestorben sein. Wenngleich auch diese Todesfälle nicht zwangsläufig etwas mit den getesteten Medikamenten zu tun gehabt haben müssen, gab es dennoch Kritik am Vorgehen westlicher Pharmakonzerne und den Umgang mit Patienten in Indien, die oft nicht ausreichend aufgeklärt würden.
Auch bei der Produktion von Arzneimitteln ist Indien bereits negativ aufgefallen. So hat der Generikahersteller Ranbaxy Unterlagen manipuliert und Produktionsstandards nicht eingehalten. Das bekam der japanische Pharmakonzern Daiichi Sankyo schmerzlich zu spüren, der 2008 für 4,6 Mrd. USD knapp 65% der Ranbaxy-Anteile kaufte. Kurz darauf verfügte die US-Arzneimittelbehörde FDA einen Importstopp von Medikamenten aus zwei indischen Ranbaxy-Fertigungsstätten. 2013 und 2014 belegte die FDA zwei weitere Ranbaxy-Standorte aufgrund massiver Mängel mit einem US-Import-Bann. 2014 trennten sich die Japaner mit Verlust wieder von einem Großteil ihrer Ranbaxy-Anteile.
Pharmabranche ist alarmiert
Dr. Karl Broich, Präsident des BfArM, trifft der jüngste Arzneimittel-Skandal nicht unerwartet: „Wir sind schon seit längerem besorgt, und sehen jetzt: Die Sorgen sind berechtigt."
Nach Einschätzung von Wolfgang Becker-Brüser, Herausgeber der medizinischen Fachzeitschrift Arznei-Telegramm, ist der GVK-Fall gar ein Weckruf für ein Problem an sich: „Wer Studien in Schwellenländern machen lässt nimmt billigend in Kauf, dass sie nicht so sorgfältig durchgeführt werden wie in Industrienationen."
Auch die deutsche Pharmaindustrie ist alarmiert. Verbandsvertreter sprechen sich für eine lückenlose Aufklärung aus. „Es ist unser ureigenstes Interesse, dass die Zulassung von Arzneien auf sauberen Studien basiert", sagt Joachim Odenbach, Sprecher des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie (BPI). Und Rolf Hömke, Sprecher des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), stellt fest: „Wenn es sich bestätigt, dass die Studienergebnisse gefälscht wurden, handelt es sich um ein schweres kriminelles Vergehen."
Nebenbei gibt es Kritik an der Vorgehensweise des BfArM im Fall GVK, so von Arznei-Telegramm-Herausgeber Becker-Brüser: „Die Veröffentlichung der Liste durch das BfArM war grundsätzlich richtig, aber schlecht umgesetzt Das BfArM wollte schnell sein. Dabei blieb jedoch die praktikable Information der Fachkreise wie Apotheker auf der Strecke."
Nicht nur ein indisches Problem
Der Fall GVK lenkt den Blick auch auf andere Schwellenländer, in denen klinische Studien durchgeführt werden. So weist Becker-Brüser darauf hin, dass China, Mexiko, Costa Rica, Thailand oder Russland ebenfalls als Risikostaaten einzustufen seien. Wenngleich diese Länder „nicht über einen Kamm geschert" werden könnten, bestehe hier doch ein erhöhtes Risiko für Manipulationen bei klinischen Studien.
Auch BfArM-Präsident Broich ist beunruhigt: „Wir sehen mit Blick auf unsere hohen Standards bei Patienten- und Probandensicherheit mit Sorge, dass immer mehr Studien in Schwellenländer außerhalb von Europa verlagert werden." Absolut gesehen ist deren Zahl jedoch noch relativ gering, wie eine Untersuchung des VFA ergab. Demnach stehen die USA mit weitem Abstand an der Spitze, gefolgt von Deutschland. Schwellenländer wie China, Brasilien oder Indien belegen derzeit noch die hinteren Ränge (siehe Grafik).
Dennoch wollen viele Pharmaunternehmen auf Studien in Schwellenländern nicht verzichten. So gewährt Indien nur solchen Medikamenten Zugang zum eigenen Markt, die ihre klinische Testphase auch in Indien durchlaufen haben. Angesichts von mehr als 1,2 Milliarden Einwohnern machen Pharmakonzerne nur ungern einen Bogen um diesen Megamarkt.
Hinzu kommt: „Studien in diesen Ländern sind für Pharmaunternehmen toll, weil sie billiger und schneller sind", stellt Becker-Brüser fest. Je eher eine Studie beendet ist, umso früher kann das Unternehmen die Zulassung beantragen und bei einem positiven Bescheid mit der Vermarktung beginnen.
Ethische Herausforderungen
Um die Studien durchzuführen bedienen sich Pharmaunternehmen vor Ort in der Regel lokaler Partner, sogenannter Contract Research Organisations (CROs). Wie die und deren Partner arbeiten können westliche Pharmakonzerne nur bedingt kontrollieren. So weist Becker-Brüser darauf hin, dass Ärzte in diesen Ländern oft deutlich weniger verdienen als in Westeuropa. Damit seien sie empfänglicher für finanzielle Zuwendungen und motiviert, gute Studienergebnisse zu liefern. Hinzu komme, dass die Ethikkommissionen in diesen Ländern oft geringere Standards anlegten als in westlichen Staaten.
Um Manipulationen in Drittländern vorzubeugen fordern Experten eine noch bessere Kontrolle von Studienzentren und Ärzten. BfArM-Präsident Broich: „Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir dort, wo Studien durch Auftragsforschungsunternehmen durchgeführt werden, im Netzwerk der europäischen Behörden vor Ort präsent sind, damit sich diese Fehlleistungen und Qualitätsmängel für die Unternehmen einfach nicht mehr lohnen."
Lückenlose Kontrolle: eine Illusion
Doch eine lückenlose Kontrolle ist Illusion. Becker-Brüser weist darauf hin, dass die Möglichkeiten und Kapazitäten der Behörden begrenzt sind: „Sie haben nicht genug Personal, um die Studienzentren im Ausland ausreichend zu kontrollieren."
Stattdessen fordert er, in den Zulassungsunterlagen für neue Arzneimittel deutlich zu machen, in welchem Ausmaß klinische Tests in Schwellenländern durchgeführt worden sind. Ferner plädiert er, Studien nur dort zu machen, wo die Arzneien auch vermarktet werden sollen. Zulassungsbehörden sollten zudem keine Studien akzeptieren von Firmen beziehungsweise aus Ländern, auf denen der Verdacht der Manipulation lastet.
Folgen für GVK Biosciences
Für GVK Biosciences dürften die Manipulationen jedenfalls spürbare Folgen haben. So mahnt BPI-Sprecher Odenbach: „Wenn es Unstimmigkeiten mit einem Studienpartner in Indien gibt, lässt man prinzipiell die Finger davon, um Studienteilnehmer nicht zu gefährden und die Qualität der Daten zu wahren." Noch deutlicher wird Sprecherkollege Hömke vom VFA: „Jedes Pharmaunternehmen wird sich künftig überlegen müssen, mit welchen Abteilungen von GVK es sich noch eine Zusammenarbeit vorstellen kann."