Strategie & Management

Klimaschutz als Wettbewerbschance

Die wachsende Weltbevölkerung macht energieeffiziente Produkte immer wichtiger

29.01.2010 -

Die europäische Chemieindustrie gehört zu den „Early Movers" beim Klimaschutz. Sie produziert im weltweiten Vergleich am energieeffizientesten. Vor allem aber kann sie mit ihren Produkten wesentlich dazu beitragen, dass jeder Einzelne weniger Energie verbraucht und somit weniger CO2 ausstößt. Nun müssten auf dem Klimagipfel in Kopenhagen die Weichen dafür gestellt werden, dass dieses Potential auch genutzt werde, sagt Dr. Utz Tillmann, Geschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie im Interview mit CHEManager. Das Gespräch führte Maria Knissel.
CHEManager: Herr Dr. Tillmann, erstmalig hat ein Industrieverband die Klimarelevanz der Produktion der Klimarelevanz der Produkte gegenübergestellt. Was war der Anlass für den Internationalen Dachverband der chemischen Industrie, ICCA, diese Studie in Auftrag zu geben?

Dr. U. Tillmann: Der Klimagipfel in Kopenhagen steht vor der Tür. Vor diesem Hintergrund ist es uns besonders wichtig zu zeigen, wie die chemische Indus-trie mit dem Thema Klimaschutz proaktiv umgeht. Die Studie macht deutlich, wie sehr viele Chemieprodukte zum Klimaschutz beitragen.

Zum Beispiel?
Dr. U. Tillmann: Zum Beispiel Dämmstoffe. Sie sind dazu bestimmt, den Verlust von Wärme aus Gebäuden zu reduzieren und sorgen also direkt für Energieeinsparung. Es gibt aber viele andere Produkte, die auch indirekt in den gesamten Wertschöpfungsketten wirken. Beispiel Auto: Dort reduzieren Kunststoffe das Gewicht des Fahrzeugs und damit auch den Kraftstoffverbrauch und damit den CO2-Ausstoß. Ein weiteres Beispiel sind Waschmittel. Man braucht heute nicht mehr mit 90 oder 60 Grad zu waschen, die ganz normale Wassertemperatur reicht aus. Das spart Strom.

Sie wollen CO2-Einsparung im Wesentlichen über die Endverbraucher erreichen?

Dr. U. Tillmann: Die Industrie hat mit ihren eigenen Anlagen angefangen und dort ihre Hausaufgaben gemacht. Bei einer stark wachsenden Weltbevölkerung wird es aber natürlich immer wichtiger, dass auch jeder Einzelne „effizienter" haushält, damit letztendlich weniger CO2 pro Kopf ausgestoßen wird. Das ist das Ziel, und dazu tragen wir mit unseren Produkten bei. Wo am besten eingespart werden kann, ist eine Frage der Kosten: Wo kann mit begrenzten Mitteln am meisten erreicht werden? Nehmen wir noch einmal die Gebäude: Wenn ich mir anschaue, wie viel CO2 auf der Welt durch schlecht gedämmte Gebäude entsteht, sehe ich ein enormes Einsparpotential. Dieses Potential könnte man mit relativ einfachen Maßnahmen heben - und zu entsprechend geringen Kosten.

Es wäre also teurer, den Hebel bei der Produktion anzusetzen, sprich: die Produktion noch energieeffizienter zu machen?

Dr. U. Tillmann: Die Einsparmöglichkeiten in der chemischen Produktion - zumindest in Deutschland und Westeuropa - sind heute weit geringer als in der Gesamtgesellschaft. Weil Westeuropa eine rohstoffarme und energiearme Region ist und wir Rohstoffe und Energie daher immer importieren mussten, haben sich die energieintensiven Chemieunternehmen schon relativ früh gefragt: Wie können wir mit dem Kostentreiber Energie umgehen? Bereits in den 70er Jahren hat man mit die Wärmeintegration in den Chemiewerken vorangetrieben. Dann kam der technologische Fortschritt in den Anlagen, die mit weniger Strom auskamen. Schließlich hat man Kraftwerke mit großen Anlagen kombiniert und durch diese Kraft-Wärme-Kopplung Wirkungsgrade von über 90 % erreicht - bis dahin unvorstellbar! All das hat letztendlich zu einer Entkopplung von Produktionsmenge und verbrauchter Energie geführt: Während wir die Chemieproduktion zwischen 1990 und 2007 um fast 60 % steigern konnten, haben wir unseren Energieverbrauch in diesem Zeitraum um 19 % verringert.

Die westeuropäischen Chemieunternehmen sind also „Early Movers", d. h. sie haben sich frühzeitig um Energieeffizienz gekümmert. Jetzt gibt es Bedenken, dass in den internationalen Klimaschutzabkommen dies sogar zum Nachteil werden könnte ...

Dr. U. Tillmann: Richtig. Es gibt ja den Vorschlag, alle CO2-Reduktionsziele auf das Jahr 2005 zu beziehen und nicht, wie die Unterzeichner des Kyoto-Protokolls es handhaben, auf 1990. Wir Europäer wären damit im Nachteil, weil wir die technischen Möglichkeiten, energieeffizient zu produzieren, schon viel früher entwickelt und genutzt haben als alle anderen auf der Welt.

Worin liegt die Gefahr, wenn „nach Kyoto" keine global gültigen Regeln für den Klimaschutz verabschiedet werden?

Dr. U. Tillmann: Es geht keineswegs darum, den Klimaschutz zu torpedieren oder zurückzudrehen. Aber die internationale Wettbewerbssituation wird verzerrt, wenn in anderen Regionen mit weniger Klimaschutzauflagen günstiger produziert werden kann als bei uns. Wir sprechen dann von „Carbon Leakage". Unsere Produktion wird teurer, und wir können uns aus dem europäischen Markt heraus nicht mehr am Wettbewerb beteiligen.
Es besteht die Gefahr, dass Unternehmen abwandern. Das ist schlecht für das globale Klima. Auch wenn unsere Unternehmen im Ausland strenge Umweltstandards einhalten, gilt das noch lange nicht für den Rest der Wertschöpfungskette. Wenn man allein an die niedrigen Wirkungsgrade und den hohen CO2-Ausstoß, denkt, mit denen Strom beispielsweise in vielen Ländern Asiens produziert wird. Eine Abwanderung der Industrie wäre für den Klimaschutz eine Katastrophe. Und für die Mitarbeiter, die ihren Arbeitsplatz in Deutschland ver-lieren. Carbon Leakage bedeutet auch „Job Leakage", das dürfen wir nicht vergessen. Es geht dar-um, dass wir hier am Standort Deutschland unsere Ar-beitsplätze und das starke Forschungsstandbein erhalten können.

Was sind Ihre Forderungen an die Politik, um diese Katastrophe zu verhindern?

Dr. U. Tillmann: Eine gerechte Lösung sähe so aus, dass die Lasten verteilt werden. Wir brauchen eine globale Gleichbehandlung der Industrie: Wenn wir über einen Zertifikatehandel reden, dann bitte über einen, der global für alle Wettbewerber die gleichen Rahmenbedingungen setzt. Außerdem muss der Gesetzgeber erkennen, dass die Klimaziele nicht allein von der Industrie zu stemmen sind, sondern nur von der gesamten Gesellschaft. Hier kommen wir wieder zum Anfangspunkt: Jeder Einzelne muss effizienter haushalten - beim Wohnen, in der Mobilität, beim Konsumieren. Im Verkehr und in den privaten Haushalten schlummert ein erhebliches Potential zum CO2-Einsparen. Das zu heben, gelingt nur mit innovativen Produkten, die wir als Chemie zusammen mit anderen Industriebranchen entwickeln und anbieten.

Wie kann der Staat dies unterstützen?

Dr. U. Tillmann: Zum Beispiel durch steuerfinanzierte Forschungsförderung und durch Marktanreize. Aber nicht durch Dauersubventionierung, denn die wiederum führt zu keinem marktgängigen Erfolg. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Wir wollen dem Wettbewerb nicht aus dem Weg gehen. Wir sagen nicht: Nur weil da Chemie drinsteckt, muss der Staat dafür sorgen, dass dieses Produkt verkauft wird. Wir sagen: Der Gesetzgeber muss den Rahmen dafür setzen, dass Klimaschutz in den verschiedenen Bereichen betrieben wird, aber der Markt muss entschieden, welche Produkte sich durchsetzen. Wir sind überzeugt, dass sich unsere effizienten Chemieprodukte dabei behaupten werden.

In welchen innovativen Chemieprodukten sehen Sie ein besonders großes Potential für die Zukunft?

Dr. U. Tillmann: Die Studie belegt, dass in der Gebäudesanierung wirklich ein riesiges Potential steckt. Aber auch im Bereich Transport und Verkehr ist noch viel machbar: Die diesjährige Internationale Automobilausstellung hat gezeigt, dass alle großen Hersteller jetzt versuchen, effiziente Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Wenn wir Autos mit Strom fahren lassen wollen, brauchen wir leistungsfähige Batterien, die man nicht alle 100 km neu aufladen muss. Ein drittes Beispiel ist die Energieerzeugung und -speicherung: Wir versuchen beispielsweise, die organische Fotovoltaik weiterzuentwickeln. Und Nanotubes ermöglichen den Einsatz noch größerer Rotoren in Windkraftanlagen. Mancher Fortschritt steckt noch in den Kinderschuhen. Es gibt aber viele und vielversprechende Möglichkeiten, durch innovative chemische Produkte mehr Klimaschutz zu erreichen.

 

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