Kennzeichnungspflichten vor Gericht
Warum seit Inkrafttreten der CLP-Verordnung viele Prozesse geführt werden
Die Anwaltskanzlei Arnecke Sibeth hat eine besondere Expertise im Chemie- und Prozessrecht. Seit Einführung der CLP-Verordnung (Regulation on Classification, Labelling and Packaging of Substances and Mixtures) im Juni 2015 hat die Kanzlei erfolgreich eine Vielzahl grundlegender Verfahren geführt. CHEManager befragte aus der Kanzlei Dr. Thomas C. Körber, Partner und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, und Dr. Tudor Vlah, Associate, zu ihren Erfahrungen mit der neuen Verordnung. Die Fragen stellte Dr. Birgit Megges.
CHEManager: Bevor ein chemischer Stoff oder ein Gemisch in Verkehr gebracht wird, muss eine Einstufung und entsprechende Kennzeichnung nach der CLP-Verordnung erfolgen. Wird die Einstufung vor dem Inverkehrbringen durch unabhängige Dritte kontrolliert?
Dr. T. Vlah: Nein, eine solche Kontrolle findet nicht statt, die Hersteller tragen selbst die Verantwortung für die Bewertung der Daten. Hierin liegt die Freiheit der Unternehmen, aber auch die Gefahr einer – nicht notwendigerweise bewussten – Fehleinstufung und damit einhergehender Gefahren für Anwender, die nicht gewarnt werden.
Wie wird dann sichergestellt, dass die Einstufung korrekt ist?
Dr. T. C. Körber: Nach dem Inverkehrbringen können die Gemische durch Dritte kontrolliert werden. Wettbewerber und Überwachungsbehörden, die eine falsche Einstufung bemerken, können dagegen vorgehen.
Warum steht ausgerechnet Wettbewerbern dieses Recht zu?
Dr. T. C. Körber: Weil sich ansonsten Hersteller von chemischen Produkten durch Verstoß gegen geltende Gesetze einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber denjenigen verschaffen könnten, die ihre Produkte gemäß den Vorgaben kennzeichnen. Durch die fehlerhafte Einstufung entstehen Wettbewerbern, die der Norm entsprechend handeln, erhebliche Schäden, weil Kunden leistungsstarke und als ungefährlich beworbene Produkte eher kaufen als solche, die mit einem Gefahrensymbol gekennzeichnet sind.
Warum kaufen Verwender lieber kennzeichnungsfreie Produkte?
Dr. T. Vlah: Warnhinweise führen zu erheblichen Mehrkosten und -aufwand für professionelle Anwender, da diese unter anderem Schutzkleidung erwerben und zusätzliche Schulungen anbieten müssen. Anwender nicht gekennzeichneter Produkte können diese Kosten vermeiden – jedoch auf Kosten der menschlichen Gesundheit, wenn die Produkte gefährlich sind.
Welche Handlungsmöglichkeiten stehen Wettbewerbern zur Verfügung?
Dr. T. C. Körber: Wenn sie keine Umsatzeinbußen riskieren wollen, haben sie im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie gehen genauso vor wie manche Wettbewerber und stufen ihre gefährlichen Produkte ebenfalls als ungefährlich ein oder sie gehen gegen solche Wettbewerber vor. Im ersten Fall verstoßen sie gegen das Gesetz und riskieren Gerichtsverfahren – auch wegen Produkthaftung. Deshalb bleibt ihnen nur die zweite Lösung.
Wie läuft das in der Praxis ab?
Dr. T. C. Körber: Zunächst mahnt der Wettbewerber denjenigen, der falsch einstuft, ab. Er fordert ihn auf, diese Gesetzesverletzung zu unterlassen. Der Abgemahnte hat die Gelegenheit, seine Einstufungsentscheidung zu überprüfen. Korrigiert er seine Einschätzung und gibt eine übliche strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, ist die Sache für ihn kostengünstig erledigt.
Was passiert, wenn der Wettbewerber bei seiner fehlerhaften Einstufung bleibt?
Dr. T. C. Körber: Dann muss sich der verletzte Wettbewerber gerichtlicher Hilfe bedienen. Durch eine einstweilige Verfügung kann er binnen weniger Tage eine vorläufige Entscheidung und bereits einen vollstreckbaren Titel erwirken. Dieser kann in der Regel auch ohne mündliche Verhandlung ergehen. Bei jedem weiteren schuldhaften Verstoß droht dem „Verletzer“ dann ein Ordnungsgeld oder sogar Ordnungshaft. Auch in diesem Stadium kann ein Unternehmen weitere Kosten und Prozesse vermeiden, indem es die Entscheidung anerkennt. Wenn dies nicht geschieht, kann der Wettbewerber klagen, um eine endgültige Entscheidung zu erreichen.
Was verbirgt sich hinter den von Ihnen federführend betriebenen aktuellen Verfahren rund um die CLP-Verordnung?
Dr. T. C. Körber: Seit dem Inkrafttreten der CLP-Verordnung führen wir für die Tana-Chemie Verfahren gegen einige Wettbewerber. Diese haben Reinigungsmittel als ungefährlich gekennzeichnet und die angebliche Kennzeichnungsfreiheit in der Werbung in den Vordergrund gestellt. Die Verfahren betreffen einen kleinen Bereich der einzustufenden Gemische – Putzmittel mit einem extremen pH-Wert von unter 2.
Wie regelt die CLP-Verordnung dieses Problem?
Dr. T. Vlah: Die Verordnung legt als Grundsatz fest, dass im Fall eines extremen pH-Werts von unter 2,0 oder über 11,5 die Kennzeichnung als „schwere Augenschäden verursachend und hautätzend“ vorgeschrieben ist. Das Gesetz ermöglicht aber auch, von dieser gesetzlich vorgegebenen Einstufungsentscheidung abzuweichen. Dazu müssen definierte Prüfungen des Gemisches durchgeführt werden, die die Gefährlichkeit durch Ätz- und Reizwirkung widerlegen.
Wenn die Reinigungsmittel vermeintlich ungefährlich sind – wurde dies dann durch Prüfungen nicht nachgewiesen?
Dr. T. Vlah: Nein – interessanterweise wurden in keinem durchgeführten Verfahren von den Gegnern Prüfungen der konkreten Produkte, die die fehlende Haut-/Augenreizung nachweisen, als Beweis angeboten.
Wie ist denn die Prozessstrategie der Wettbewerber, eine Kennzeichnung zu verhindern?
Dr. T. C. Körber: Statt das konkrete Mittel zu prüfen, werden andere Reiniger oder nur Bestandteile des entsprechenden Mittels getestet. Man sucht also ein ungefährliches Produkt. Anschließend findet man vermeintliche Experten – teilweise eigene Mitarbeiter –, die die Auffassung vertreten, dass das ungefährliche Produkt dem eigentlich zu prüfenden, gefährlichen ähnlich ist.
Ist so etwas denn zulässig?
Dr. T. C. Körber: Meines Erachtens nicht. Die CLP-Verordnung sieht eine klare Rangordnung vor: Zu bewerten sind erstens die Daten zum Gemisch selbst. Zweitens gilt: Nur wenn keine solchen Daten vorhanden sind, sind Daten über ähnliche Gemische zu bewerten. Wenn selbst solche Daten nicht vorhanden sind, sind drittens Daten über einzelne Bestandteile des Gemisches zu bewerten. Wenn der extreme pH-Wert des Gemischs selbst also feststeht, schreibt die CLP-Verordnung grundsätzlich eine Einstufung vor. Für Expertenmeinungen oder Übertragungsgrundsätze ist dann kein Raum mehr. Für eine Nichteinstufung muss das Gemisch selbst geprüft werden.
Sehen das die Gerichte auch so?
Dr. T. C. Körber: Mittlerweile haben alle auf Wettbewerbsrecht spezialisierten Kammern des Landgerichts Frankfurt, das Oberlandesgericht Frankfurt sowie das Landgericht Düsseldorf unsere Auffassung bestätigt und die Kennzeichnung der gefährlichen Wettbewerbsprodukte vorgeschrieben.
Wohin geht die Reise?
Dr. T. C. Körber: Anfang Juli wurde die achte Überarbeitung der CLP-Verordnung erlassen. Sie wird zwar erst ab Februar 2018 verbindlich, dennoch gebe ich gerne einen kurzen Ausblick: Inhaltliche Änderungen in der Einstufung waren ausdrücklich nicht bezweckt – lediglich redaktionelle Änderungen und Klarstellungen. So wurde beispielsweise klargestellt, was ohnehin schon denknotwendig galt, dass die Vermutung einer ätzenden und erst recht reizenden Wirkung nur durch Vorlage entgegenstehender geeigneter, zuverlässiger und wissenschaftlich fundierter Daten zum konkreten Mittel widerlegt werden kann. Die Anordnung „weiterer Prüfungen“ wurde in „weitere Daten, insbesondere … Prüfungen“ umformuliert, denn genau genommen kommt es auf die Daten an, die in diesen Prüfungen gewonnen wurden. Auch dadurch ändert sich vom Ergebnis her nichts, denn die Verordnung schreibt die Erhebung weiterer Daten durch Prüfungen ohnehin vor.
Festzuhalten ist, dass auch die neue Fassung die Einstufung von pH-extremen Gemischen vorschreibt und hiervon nur abgewichen werden darf, wenn eine Prüfung des konkreten Gemischs belegt, dass dieses nicht gefährlich ist.