Interview mit Professor Carsten Suntrop zum Erscheinen seines Buches Chemiestandorte.
04.05.2016 -
Prof. Carsten Suntrop, Managementberater für Strategieentwicklung und Organisationsperformance für die chemische Industrie, hat ein Buch über Chemiestandorte herausgegeben. Die praktisch orientierte Publikation präsentiert neue und aktuelle Konzepte für Standorte. Geschrieben von einem renommierten Autorenteam aus Wissenschaft, Beratung & Praxis gibt das Buch Einblicke in die Trends in der Entwicklung von Chemieparks und die Industriedienstleistungen im Umfeld der Industrieparks. Für Sites & Services sprach Oliver Pruys mit Carsten Suntrop über Herausforderungen und Geschäftsmodelle.
Sites & Services: Herr Professor, das Thema Chemieparks ist unseren Lesern hinlänglich bekannt. Warum jetzt ein neues Buch, gibt es denn Neuigkeiten, die es lohnt zu lesen?
Professor Suntrop: Die Chemiestandorte sind nach 15 Jahren Entwicklungsphase in Deutschland und Europa zu einem strategischen Innehalten bereit. Dabei ist der Rückblick über das eigene Tun und die Reflexion, was gut und was weniger gut gelaufen ist, notwendig. Auch der Blick zur Seite zu den Mitbewerbern und den Kunden und Lieferanten ist hilfreich, um eigene Verhaltensweisen an erfolgreichen Konzepten Anderer zu spiegeln. Letztendlich ist es der Blick nach vorne, was muss ein Chemiestandort in der Zukunft beachten und welche Themen (wie z. B. Effizienzsteigerung) müssen als selbstverständliche unternehmerische Verhaltensweise verankert werden. Hier hält das Buch zahlreiche konkrete Beispiele und Lerneffekte für den Leser bereit.
Was sind denn aus Sicht des Buches Lerneffekte der Vergangenheit?
Professor Suntrop: Die Entwicklung der letzten 15 Jahre zeigt sehr viel Positives. Wenn man bedenkt, dass es damals nicht möglich war, das Produktergebnis einer Pumpenreparatur oder die Verbrennung einer Tonne hochgradig verschmutzten Abfalls zu beziffern, sind wir heute schon sehr viel weiter. Die Schnittstelle zu den Kunden ist viel klarer geworden, damit musste sich auch auf Seiten der Kunden viel ändern, indem die Anforderungen und Ansprüche klarer formuliert wurden. Die resultierenden vertraglichen Streits haben die Chemiestandorte zwar stimmungsmäßig belastet, inhaltlich ist dort jedoch eine Weiterentwicklung entstanden. Das Verhalten der Standortdienstleister hat sich mit der Etablierung von wettbewerbsfähigen Einheiten auch zu mehr Kunden- und Serviceorientierung entwickelt. Viele der Chemiestandorte haben die Schmerzen der massiven Kostenreduktion verarbeitet und viele sind in der Lage, Kostensenkung als notwendige Maßnahme zur Sicherung der Überlebensfähigkeit über die Faktorkostenkompensation zu sehen. Auf der anderen Seite kämpfen die Unternehmen weiterhin mit unklaren bzw. ungünstigen Eigentümerstrukturen, wo das Standort-Geschäft nicht Kerngeschäft ist. Die Chemiestandorte kämpfen mit der Heterogenität ihres Leistungsportfolios. Für die Kunden bedeutet es ein extreme, positive Komplexitätsreduktion, das gesamte Portfolio aus einer Hand zu erhalten. Für den Dienstleister ist es natürlich eine Herausforderung, dieses Portfolio von Besucherausweis bis Dampfversorgung zu managen. Hier haben noch nicht alle Chemiestandorte geeignete Organisations-, Produkt- und Vertriebsmodelle gefunden. Wir zeigen im Buch mögliche Modelle auf.
Wie fit ist der Chemiestandort Deutschland für die Zukunft?
Professor Suntrop: Die größte Herausforderung der Vergangenheit und damit auch Aufgabe für die Zukunft ist die langfristige Überlebensfähigkeit des Geschäftsmodells eines Chemiestandortes. Derzeit haben nur wenige Standorte erfolgreiche Wachstumswege eingeschlagen, denn Tot-Sparen ist kein Zukunftsmodell – über die Auslastung des eigenen Standortes haben sich nur wenige Chemiestandorte weiter entwickelt. Innovation an sich und insbesondere innovative Geschäftsmodelle sind noch nicht zu einem Selbstverständnis in dieser Branche geworden. Wir benötigen in Deutschland und Europa viel mehr Aufmerksamkeit in Form von Veranstaltungen, Erfahrungsaustauschen, Transparenz zu Kennzahlen und Vergleiche sowie Medienpräsenz.
Die Fitness der einzelnen Chemiestandorte ist recht gut, aber auch sehr unterschiedlich. Wenn man zur Fitness insbesondere Unternehmergeist im Rahmen von restriktiven gesetzlichen Anforderungen und auch Erneuerungskraft versteht, bedarf es einer verstärkten Arbeit an dem unternehmerischen Verhalten der Chemiestandorte. Um zukünftige Generationen und damit auch den Chemiestandort Deutschland langfristig wettbewerbsfähig zu halten, müssen auch Innovatoren, Unternehmer und Kundenversteher zu den führenden Verantwortlichen eines Chemiestandortes werden.
Was macht die Standorte innovativ und was hemmt ggfs. die Innovationsfähigkeit?
Professor Suntrop: Der Innovationstreiber im Dienstleistungsgeschäft ist der Mitarbeiter, sein Verhalten, seine Einstellung, seine Fähigkeiten. Natürlich kann die Innovationsfähigkeit mit einer geeigneten Aufbau- und Ablauforganisation unterstützt werden, Ziel- und Belohnungssysteme steuern maßgeblich die Zusammenarbeit heterogener Leistungsbereiche. Sind jedoch ausschließlich reaktiv- und strukturorientierte Mitarbeiter im Portfolio des Chemiestandortes, hilft auch die beste Organisation oder das beste Zielsystem nichts. Die Digitalisierung hat noch ein großes Potenzial und die nächsten 10 Jahre werden wir viele radikale Veränderungen am Chemiestandort erleben – mehr Transparenz, mehr Durchlässigkeit, mehr Abstimmung zwischen den Beteiligten. Die digitalen Techniken geben uns spannende Anreize und Möglichkeiten.
Was darf der Leser von Ihrem Buch außerdem erwarten?
Professor Suntrop: Das Buch ist ein Verbundprojekt mit vielen Akteuren, die in dieser Branche zuhause sind. Wir haben uns bemüht, den Markt des Chemiestandortes zu strukturieren und verschiedene Perspektiven einzunehmen. Aus Sicht der Chemiecluster wagen wir den Blick nach vorne und erläutern Trends und formulieren mögliche Handlungsmuster. Es werden sowohl Herausforderungen und Erfolgsfaktoren der Industriedienstleistungen, der Eigentümer und Investoren als auch des Managements definiert. Erfolgskritische Themen wie Service-Outsourcing, Energiemanagement und Infrastruktur-Modelle werden tiefergehend beschrieben. Abschließend gibt es zahlreiche Strukturierungsmodelle, Werkzeuge und Vorgehensweisen, die zur Entwicklung von Chemiestandort-Strategien und –Organisationsmodellen vom Leser genutzt werden können. Wir freuen uns, wenn neben dem Praktiker auch der Geschäftsführer und Unternehmensentwickler konkrete Hilfestellungen erhält, die ihm einen echten Nutzen für sein Tagesgeschäft bieten. Oft ist es ja nur die eine Idee, die einem die Augen öffnet, um einen neuen, erfolgreichen Weg einzuschlagen.