Interview: Dr. Martin Glimpel von RWE über die Risiken bei der Erdgasbeschaffung
21.01.2013 -
Der Erdgasmarkt wird komplexer. Risiken bei der Erdgasbeschaffung nehmen zu. Rund 400 Unternehmen gehören zum Kundenkreis von RWE Key Account. Rund die Hälfte der 22 TWh Erdgas, die die Tochter des Essener RWE-Konzerns umsetzt, geht an die chemische Industrie. Im Interview mit CHEManager erläutert Geschäftsführer Dr. Martin Glimpel, welche Einflussmöglichkeiten die industriellen Großkunden in einem globalisierten Erdgasmarkt haben und gibt eine Einschätzung der mittel- und langfristigen Versorgungssicherheit. Die Fragen stellte Maria Knissel.
CHEManager: Herr Dr. Glimpel, welche Aufgaben hat RWE Key Account beim Erdgas?
Dr. Martin Glimpel: Die RWE Key Account bündelt sämtliche Aktivitäten innerhalb des RWE Konzerns rund um die industriellen Großkunden europaweit. Nach der Integration des Gasgeschäftes der RWE Gas und Thyssengas in den RWE Konzern und Übernahme des Industriekundensegmentes im Jahr 2003 ist die RWE Key Account angetreten, die im Stromgeschäft traditionelle Unternehmensphilosophie ebenfalls im Gasgeschäft zu etablieren. Mit einem jährlichen Gasabsatz von ca. 22 TWh erheben wir den Anspruch, durch Produktentwicklung im liberalisierten und liquiden Marktumfeld Mehrwert für unsere industriellen Großkunden zu schaffen.
Um welche Produkte und Dienstleistungen handelt es sich dabei? Wie unterstützen Sie Unternehmen aus der Chemie- und Pharmaindustrie bei der Erdgasbeschaffung?
Dr. Martin Glimpel: Die RWE Key Account bietet ihren Kunden natürlich die klassische Vollversorgung mit Ölpreisbindung an, wobei der Preis an verschiedene Ölpreisnotierungen gebunden werden kann. Alternativ dazu kann der Kunde sich aber auch für eine Vollversorgung mit modernen Bindungsstrukturen, etwa an Drittlandskohle, entscheiden. Darüber hinaus haben die Kunden die Möglichkeit, Erdgas zu einem Festpreis zu kaufen oder im Rahmen eines bestehenden Liefervertrages Teilmengen, auch unterjährig, preislich zu fixieren. Eine weitere Produktvariante sind Teilmengenlieferungen in Zwei- oder Mehrlieferantenmodellen. In diesen Fällen würde die RWE Key Account dem Kunden z. B. eine Bandmenge und ein zweiter Lieferant die Strukturmenge liefern oder eben umgekehrt, der eine Lieferant liefert das Band an den Kunden und wir die Struktur.
Für unsere Größtkunden können wir auch Teiltransaktionen am virtuellen Handelspunkt im jeweiligen Marktgebiet durchführen. Wir wickeln die Lieferungen für den Kunden am virtuellen Handelspunkt ab und der Kunde kann die erforderlichen Ausspeisekapazitäten selbst beim Netzbetreiber buchen. Seit kurzem bietet die RWE Key Account ihren Kunden auch ein echtes Gasportfoliomanagement an, das heißt, die Beschaffung von wahlfreien Tranchen zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Größen und unterschiedlichen Laufzeiten. Maximalen Komfort und Transparenz bietet dem Kunden hierbei unser bereits in der Strombeschaffung bewährtes Web-Portal VIEW.
Seit 2002 sind Sie bei RWE in unterschiedlichen Positionen für die chemische Industrie zuständig. Was unterscheidet aus Ihrer Sicht die Chemiebranche von anderen?
Dr. Martin Glimpel: Der wesentliche Unterschied ist der kontinuierliche Bedarf: Die Unternehmen haben also einen geringeren Strukturierungsbedarf als andere Branchen. Sie ist dadurch prädestiniert, auch bei der Gasbeschaffung mit modernen und flexiblen Vertragsstrukturen eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Da die Chemieindustrie gleichzeitig einen großen Bedarf an Strom, aber auch an Dampf und Wärme hat, ist die Kraft-Wärme-Kopplung für Unternehmen dieser Branche besonders geeignet. Hier kann RWE Key Account interessierte Industriekunden bei der Projektentwicklung, dem Bau und dem Betrieb von KWK-Anlagen unterstützen – unser Beitrag zu Energieeffizienz und Umweltschutz.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der Preise für Erdgas in den nächsten Jahren ein?
Dr. Martin Glimpel: Der Energiemarkt – ehemals regional begrenzt – ist komplexer geworden und unterliegt heute den Einflüssen der gesamten Weltwirtschaft. Ebenso sind die Volatilitäten gestiegen. Der Preisabstand zwischen den Marktsegmenten wird zunehmend abschmelzen und im Wesentlichen nur noch von individuellen Transportund Strukturierungskosten gekennzeichnet sein. An virtuellen Handelspunkten wird es innerhalb eines Marktgebietes keine spürbaren Preisdifferenzierungen der Commodity mehr geben. Es wird zu stärkeren, saisonalen und konjunkturellen Preisunterschieden und damit zu höheren kurzfristigen Volatilitäten kommen. Kurzum: Die Beschaffungsrisiken aus Sicht der Gaskunden werden zunehmen.
Welche Einflussmöglichkeiten haben Unternehmen, um die Beschaffungskosten für Erdgas zu senken?
Dr. Martin Glimpel: Unserer Einschätzung nach wird Energie in überschaubarer Zeit nicht deutlich im Preis verfallen, da weltweit eine große Nachfrage besteht und sie dadurch einfach nachhaltig einen hohen Wert hat. Chancen für Industrieunternehmen, Kosten zu sparen bestehen zum einen durch Effizienzsteigerungen bei der Energieumwandlung, z. B. durch die Anwendung der Kraft-Wärme- Kopplung und die konsequente Realisierung von Einsparungspotentialen beim Energieeinsatz in der Produktion.
Zum anderen bestehen Möglichkeiten durch ein aktives Lastmanagement und die Beobachtung der Entwicklungen auf den Erdgasmärkten. Hier ergeben sich Chancen zur Kostensenkung durch die Bedarfseindeckung zu unterschiedlichen Zeitpunkten und die Ausnutzung der Preisvolatilitäten. Letzteres wird ähnlich wie beim Strombezug in Kürze auch im Tages- und Wochenzyklus sinnvoll sein.
Welche Beschaffungsstrategie empfehlen Sie unter den jetzigen Rahmenbedingungen energieintensiven Chemie- oder Pharmaunternehmen?
Dr. Martin Glimpel: Die optimale Beschaffungsstrategie sieht für jeden Kunden anders aus, da die individuellen Ansprüche und Gegebenheiten des Kunden mit einfließen müssen. Trotzdem ist die strukturierte Beschaffung, also der Einkauf des Energiebedarfs zu verschiedenen Zeitpunkten eine gute Möglichkeit. Eine weitere Variante ist auch die Bezugsdiversifizierung, also nicht alles bei einem, sondern durchaus bei mehreren Lieferanten einzukaufen. Wichtig ist hierbei auch, auf Kundenseite Netznutzung und Gasbeschaffung konsequent voneinander zu trennen.
Die Bundesnetzagentur hat das Grundmodell der Ausgleichsleistungs- und Bilanzierungsregeln im Gassektor (GABi) beschlossen, das seit dem 1. Oktober 2008 von den Bilanzkreisnetzbetreibern angewendet werden muss. Wie wird sich GABi auf den Gasmarkt auswirken?
Dr. Martin Glimpel: Ein großer Vorteil dieses Modells ist die Tatsache, dass mit Inkrafttreten bei allen Netzbetreibern eine einheitliche und verbindliche Regelung zu den Rahmenbedingungen der Bilanzierung und für die Bepreisung der Ausgleichsenergie vorliegt. Damit ist ein weiterer Schritt in Richtung Transparenz im Gasmarkt gemacht.
Ist unsere Gasversorgung mittelund langfristig sicher?
Dr. Martin Glimpel: Bis 2012 und auch darüberhinaus ist in Deutschland eine stabile und gesicherte Versorgung durch Eigenförderung sowie langfristige Importverträge, im Wesentlichen mit den größten Förderstaaten Norwegen und Russland, gesichert. Dabei ist bereits berücksichtigt, dass der Einsatz von Erdgas in der Industrie und der Kraftwirtschaft in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird.