Ideologische Mauern in den Köpfen einreißen
Die Probleme unserer Zeit erfordern ein neues Miteinander von Industrie und Zivilgesellschaft
Es ist eine Binsenweisheit, dass eine Demokratie in Ordnung ist, wenn die Medien frei arbeiten und die Menschen sich über die Regierung streiten dürfen. Aber können wir mit Streiten wirklich die großen Probleme dieser Welt lösen? Beseitigen wir damit den Hunger in der Welt? Verhelfen wir der Energiewende zum Erfolg? Retten wir damit das Klima? Die Antwort lautet nein, wenn es nur darum geht, ideologische Mauern zu zementieren. Denn dann wäre der Streit zum Selbstzweck verkommen, zur Zeitverschwendung. Das sagt Ekkehard Seegers, der fast 10 Jahre die Public Affairs des Chemieparkbetreibers Currenta geleitet hat und heute Mitglied im Vorstand des KlimaDiskurs.NRW ist. Im CHEManager-Interview erläutert er wie eine neue Streitkultur aussehen könnte.
CHEManager: Herr Seegers, Streit ist ein Wesensmerkmal der Demokratie. Seit der Bundestagswahl 2017 fragen sich aber viele Bürger, ob unsere politische Streitkultur noch zielführend ist.
E. Seegers: Das kann ich gut nachvollziehen. Vor der Wahl sei zu wenig gestritten worden, nach der Wahl zu viel. Die Sondierungsverhandlungen sind wegen der Unvereinbarkeit von Positionen gescheitert. Dies, obwohl der neue Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eine sachliche Streitkultur angemahnt hat. Was bleibt: Insbesondere über den Streit wird gestritten. Die großen Probleme dieser Welt können wir aber nur lösen, wenn der Streit in das Ziel einer optimalen Lösung einzahlt; wenn es um das Ringen um die beste Alternative geht.
Davon sind wir aber in vielen Bereichen noch weit entfernt. Stehen nicht die Eigeninteressen der konträren Lager meist im Vordergrund?
E. Seegers: Ja! Als Beispiel sei hier das Nebeneinander von Industrie und Zivilgesellschaft genannt. Das Verhältnis von Zivilgesellschaft – also Umweltorganisationen, Kirchen und andere gesellschaftlich relevante Gruppen – auf der einen Seite sowie Wirtschaft und Industrie auf der anderen ist seit vielen Jahren von einer „Miss-Kommunikation“ gekennzeichnet. Sie kommt zum Ausdruck in gegenseitigem Misstrauen und in einer Art der Auseinandersetzung, die nicht nur inhaltlich motiviert, sondern vor allem ideologisch geprägt ist. Zweifellos gibt es auf beiden Seiten hoffnungsvolle Ansätze dies zu ändern, aber die Gräben sind tief und es bedarf beiderseitiger Anstrengungen, diese zuzuschütten. Dabei sind beide Seiten wertvolle Teile unserer Gesellschaft und haben ihr viel zu bieten.
Beide Seiten könnten mit ein wenig gutem Willen und gegenseitigem Verständnis gemeinsam Lösungen erarbeiten?
E. Seegers: Genau. Beispielhaft sei hier eines der wohl größten Probleme unserer Zeit genannt, das im Spannungsfeld von Industrie und Zivilgesellschaft angesiedelt ist, der Klimawandel: Umweltorganisationen und andere zivilgesellschaftliche Gruppen verstehen sich exzellent auf die Folgenabschätzung des Klimawandels und haben Kompetenzen im Hinblick auf alternative Lösungen und alternative Energien. Die Industrie kann mit innovativen Produkten – wie Dämmstoffen oder leichten Kunststoffen – erheblich zur Energieeinsparung beitragen. Da müssten doch Kompromisse möglich sein, und zwar zum Wohle des Klimas und der Menschen. Sind sie auch, wenn da nicht diese gewachsenen ideologischen Barrieren wären. Auf Misstrauen basierende Kommunikation und ideologischer Streit kosten die Zeit, die zur Lösung dieser Probleme so dringend gebraucht wird.
Wie könnte ein Ausweg aus diesem kommunikativen Dilemma aussehen?
E. Seegers: Ideologische Mauern müssen fallen, gegenseitiges Vertrauen muss her, um gemeinsam Lösungen zu formulieren. Einfacher gesagt als getan, aber beide Seiten können dazu beitragen:
- Die Zivilgesellschaft sollte erkennen und akzeptieren, dass auch die Industrie ihre Daseinsberechtigung hat; dass sie ist nicht Teil des Problems, sondern auch und vor allem Teil der Lösung ist. Folglich ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit Industrie-Vertretern kein Zeichen der Kapitulation, im Gegenteil.
- Die Industrie sollte ebenfalls offen sein für die Argumente der Zivilgesellschaft, sie ernst nehmen und sich ehrlich mit ihnen auseinandersetzen. Und auch wenn ökologische Forderungen im Raum stehen, die unter Umständen nicht kompatibel sind mit industriellen Zielen: Hinweise auf eine mögliche Gefahr für bestehende Arbeitsplätze, wie sie in Einzelfällen geäußert werden, sind einer vernünftigen Lösung meist nicht dienlich.
Und wie könnte das in der Praxis funktionieren?
E. Seegers: Kommunikation zwischen Industrie und Zivilgesellschaft sollte auf beiden Seiten zur Chefsache werden. Repräsentanten aus beiden Bereichen sollten sich als Partner auf Augenhöhe akzeptieren. Mit anderen Worten: Der Fall ideologischer Mauern in den Köpfen wäre zumindest ein Anfang, ein Fundament, auf dem sich Vertrauen aufbauen ließe. Und das ist ja bekanntlich der Anfang von allem.
Ein Modellprojekt für einen vielversprechenden Weg dorthin ist der KlimaDiskurs.NRW. Der politisch unabhängige gemeinnützige Verein verfolgt das Ziel, den Klimaschutz in NRW bei gleichzeitiger Stärkung des Industriestandortes zu fördern – durch gemeinsames Handeln der zentralen Akteure: Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Unternehmen, Politik. Der KlimaDiskurs.NRW bietet somit eine Plattform, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Eine Plattform alleine reicht aber noch nicht aus, um konträre Standpunkte zu überwinden.
E. Seegers: Gegensätzliche Auffassungen und Interessen innerhalb der Mitglieder sind kein Hindernis, im Gegenteil: Um gemeinsames Handeln zu ermöglichen, werden Gegensätze thematisiert. Sie sind damit Grundlage für Gespräche untereinander – und bilden so die Basis für Verständnis und Respekt. Inzwischen hat KlimaDiskurs.NRW mehr als 60 Mitglieder aus allen genannten Bereichen, darunter auch international operierende Unternehmen.
Und wie sieht die Praxis aus?
E. Seegers: Im Vorstand des Gremiums sitzen zum Beispiel Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von Umweltorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen Seite an Seite mit Vertreterinnen und Vertretern von Chemieunternehmen. Und streiten die sich jetzt die ganze Zeit? Das kommt vor, ist aber nicht die Regel. Auch in solchen Konstellationen spielt die Beziehungsebene eine wichtige Rolle: Da finden sich plötzlich Menschen sympathisch, von denen man dies aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen gar nicht erwartet hätte. Die Folge: Es wächst Vertrauen, wenn erst mal die ideologischen Barrieren gefallen sind. Das ist der Stoff, aus dem die Lösung der großen Probleme gemacht wird!
Das klingt gut. Sie sind also optimistisch?
E. Seegers: Bei allem Optimismus: Die Väter und Macher des KlimaDiskurs.NRW haben (noch) kein Allheilmittel für die Realisierung der Energiewende in einem Industrieland gefunden. Sie stehen schließlich noch ganz am Anfang eines Prozesses. Aber Zuversicht ist erlaubt: Denn hier wird der Streit als Wesensmerkmal der Demokratie gepflegt, ohne ideologische Mauern. Im Sinne einer Lösung betätigen sich alle Beteiligten als Brückenbauer, ohne sich selbst dabei aufzugeben.
KlimaDiskurs.NRW e.V.
Der KlimaDiskurs.NRW e.V. ist ein parteipolitisch unabhängiger Verein, der eine Politik unterstützt, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzt. Die Mitglieder des KlimaDiskurs.NRW - Unternehmen, Verbände und Vereine, Kommunen, wissenschaftliche Einrichtungen, Kirchen und Gewerkschaften sowie Einzelpersonen - verstehen sich als Bestandteil eines Netzwerks, das den Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen befördert und die Basis für ein gemeinsames Handeln zur Umsetzung der entsprechenden Ziele verbreitert.