Gesetzesfolgekosten schwächen Wasch- und Reinigungsmittelindustrie
Branche befürchtet Gefährdung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit
Eine Studie der EU-Kommission, die die finanzielle Belastung der chemischen Industrie durch Erfüllung von Rechtsvorgaben in Europa untersucht hat, bestätigt die Sorgen der Branche: Insbesondere die europäische Chemikaliengesetzgebung hat enorme Auswirkungen auf die Kosten der produktherstellenden Unternehmen für gewerbliche Nutzung. Der Industrieverband Hygiene und Oberflächenschutz (IHO) sieht damit eine Gefährdung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Wasch- und Reinigungsmittelindustrie in Deutschland. Alfred Stöhr, Vorsitzender des IHO-Vorstands, äußerte sich in einem Interview zu den Befürchtungen des Verbands. Die Fragen stellte Dr. Birgit Megges.
CHEManager: Herr Stöhr, in welchen Bereichen spüren die Wasch- und Reinigungsmittelhersteller die negativen Auswirkungen der Rechtsvorgaben?
A. Stöhr: Die Firmen im IHO bewegen sich allesamt im Bereich der professionellen Anwendungen. Das betrifft etwa die Bereiche Großküchengastronomie, Gebäudereinigung, Lebensmittel- und Getränkeherstellung sowie Krankenhäuser und Schulen oder die Metallindustrie. Dort wo der Einsatz der Produkte notwendig ist, können Fehler zu drastischen Folgen führen und ein Risiko für Verbraucher bedeuten. Unsere Kunden nehmen Hygiene enorm ernst, weil sich niemand einen Skandal leisten kann und will. In den letzten Jahren fand in der EU eine zunehmende Reglementierung durch Gesetze und Verordnungen statt, um ein einheitliches Chemikalienrecht über Europa hinweg zu schaffen. Schwerpunktmäßig waren dies die CLP-, REACh- und Biozidprodukte-Verordnung. Die Zielsetzung dieser Verordnungen, den Schutz der Anwender sowie der Umwelt zu gewährleisten, unterstützen wir und halten sie für absolut richtig; um beide Aspekte haben wir uns auch in der Vergangenheit bereits intensiv gekümmert. Doch bei der Umsetzung zeigen sich gravierende Auswirkungen: Konnten wir in der Vergangenheit nach länderspezifischen Regeln ein Desinfektionsmittel entwickeln und dessen Wirksamkeit durch externe Gutachten nachweisen, konnte dies auf den Markt gebracht werden. Ganz anders in der Zukunft: Für bestehende und neue Desinfektionsmittel müssen extrem aufwändige Dossiers erstellt werden, die einen Aufwand für jeden Wirkstoff zwischen 200.000 und 500.000 EUR bedeuten. Die Studie der Europäischen Kommission beziffert den Anteil des reinen Verwaltungsaufwands an den Gesetzesfolgekosten mit nahezu 28%. Nehmen Sie die chemische Industrie als Ganzes sind es übrigens nur 10%.
Sind es auch in dieser Branche die kleinen und mittleren Unternehmen, die am meisten unter den Vorgaben leiden?
A. Stöhr: Es sind tatsächlich vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Und dies hat einen einfachen Grund: Die Erfüllungskosten für all diese Vorgaben lassen sich von diesen Unternehmen nicht durch große Mengen von Chemikalien amortisieren. Die in den letzten Jahren entstandene Bürokratie und Abgabenlast kann insbesondere für mittelständische Anbieter im Einzelfall zur Existenzfrage werden. Da die Anwendungen unserer Kunden speziell und die Lösungen sehr spezifisch und an die besondere Anforderung angepasst sind, sind in der Folge die Volumen und Umsätze der einzelnen Produkte gering. Je kleiner das Unternehmen, beziehungsweise je kleiner die Abgabemenge des Produkts, umso dramatischer die Auswirkung. Es gibt dabei durchaus Beispiele von Wirkstoffen, um die sich niemand kümmern wird, weil sich der bürokratische Aufwand nicht rechnet.
Können Sie die erwarteten negativen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit mit einem Zahlenbeispiel erläutern?
A. Stöhr: Legen wir zunächst die Kosten für ein konfektioniertes Desinfektionsmittel, inklusive Dossiers, Letter of Access und Zulassungsgebühren im In- und Ausland, mit 500.000 EUR an. Bei 1 Mio. EUR Umsatz und einer Gewinnmarge von 5% hat man ein Return on Investment nach zehn Jahren. Und nun schauen wir noch einmal in die Realität der IHO-Unternehmen: Pro Firma kann ein durchschnittlicher Gesamtjahresumsatz von etwa 15 Mio. EUR angesetzt werden. Jede Firma hat etwa zehn Produkte im Portfolio, ein Drittel davon sind Desinfektionsmittel. Nimmt man diese Zahlen, dann liegt der Zeitraum für den Return on Investment bei 20 Jahren. Das ist nur schwer auszuhalten. Wenn man 2 Mio. EUR innerhalb der nächsten Jahre investieren muss, um die wichtigsten Desinfektionsmittel im Programm zu halten, bedeutet dies einen massiven Eingriff in den Wirtschaftssektor und die Wettbewerbsfähigkeit. Von den Bereichen Forschung und Entwicklung haben wir dabei noch gar nicht gesprochen.
In welchem Maß wird die Innovationskraft der Unternehmen in Deutschland leiden?
A. Stöhr: Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Innovation der Treiber für eine bessere Produktqualität ist. Die deutsche Industrie ist stolz auf ihre Innovationsfähigkeit und damit auf ihren Beitrag zur Wertsteigerung; da sind die Mitglieder des IHO keine Ausnahme. Die Branche der professionellen Wasch-, Reinigungs- und Desinfektionsmittelindustrie wies 2015 eine überdurchschnittliche Forschungs- und Entwicklungsquote von etwa 5% auf. Damit liegt sie deutlich über dem Durchschnitt der chemischen Industrie, die im selben Jahr etwa 3% aufwies. Doch insbesondere der Mittelstand kann angesichts der Belastungen durch zusätzlichen Verwaltungs- und Bürokratieaufwand kaum innovativ bleiben. Dabei ist die Branche stets darum bemüht, für ihre Kunden spezialisierte Lösungen für akute Problemfälle zu entwickeln. Betrieben, die genau darauf angewiesen sind, droht ein Wegfall solcher Spezialprodukte. Auf der nächsten Ebene geht es somit also auch darum, was wir forschungsorientierten Mitarbeitern künftig für Chancen bieten wollen. Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Branche der professionellen Reinigung und Hygiene Motor für die Innovationskraft anderer Branchen ist, weil sie in viele Bereiche hineinstrahlt.
Um welche Innovationen fürchten Sie?
A. Stöhr: Ich versuche, diese Problematik anhand einer Teilbranche zu verdeutlichen. Schauen wir dafür einmal auf den Markt des Gesundheitswesens: Für die Zulassung von Biozidprodukten im Gesundheitswesen investieren die Hersteller etwa zwischen 40 und 60 Mio. EUR bei einem Gesamt-Marktvolumen von circa 250 Mio. EUR. Angesichts dieser Ausmaße muss sich ein Unternehmen sehr genau überlegen, ob ein bestimmtes Spezialprodukt im Portfolio behalten werden kann. Geschweige denn, ob es eine Neuentwicklung vornehmen will, an der nach dem kompletten Verwaltungsprozess keine Änderungen aufgrund von Kundenfeedback oder Erfahrungswerten des Praxisgebrauchs vorgenommen werden können, ohne erneut horrende Kosten in Kauf nehmen zu müssen.
Welchen Appell würden Sie an den Gesetzgeber richten?
A. Stöhr: Wenn die Studie der Europäischen Kommission eines deutlich macht, dann, dass Gesetzesfolgekosten mittlerweile zu den wichtigsten Einflussfaktoren auf die Wirtschaftskraft der chemischen Industrie in der EU gehören. Ich habe bereits versucht aufzuzeigen, in welchen Bereichen unsere Produkte zur Anwendung kommen; überall sind die Hersteller von Wasch-, Desinfektions- und Reinigungsmitteln wichtige Partner für die Erzielung der gewünschten Ergebnisse. Die Kosten aus Rechtsvorgaben werden derzeit jedoch vorwiegend unseren Unternehmen aufgebürdet. Die meisten unserer Kunden stehen selbst wirtschaftlich unter Druck, keine Frage. Aber durch die Gesetzgebung wird derzeit ein Prozess angestoßen, an dessen Ende es nur noch Verlierer gibt: Sehr spezielle, aber durchaus wichtige Wirkstoffe drohen aus dem Angebot zu verschwinden, kleinere Hersteller geben bestimmte Geschäftsbereiche möglicherweise auf, sodass sich der Wettbewerb zunehmend auf wenige und wirkstoffgleiche Produkte konzentriert. Wenn die real anfallenden Kosten deutlich geringer sind, als die im Rahmen der Gesetzgebung aufgerufenen Gebühren, dann zeigt das doch, dass Kalkulationsfehler gemacht wurden. Es besteht also für die Politik ein dringender Handlungsbedarf, Maßnahmen zur Reduzierung dieser Belastungen zu ergreifen. Dabei wäre es einfach wie sinnvoll, die Lösungskompetenz der Industrie anzuzapfen, wenn es darum geht, Belastungen durch Gesetze und andere Vorschriften zuverlässig abzuschätzen und Potenziale für Effizienzsteigerungen zu identifizieren. Die Reduzierung der Belastungen durch Gesetzesfolgekosten, sollte im Fokus künftiger politischer Maßnahmen stehen.