Freie Transportkapazitäten nutzen
Für Verlader bietet die Corona-Krise Verhandlungsspielraum im Frachteinkauf
Getrieben von einem fast zehnjährigen gesamtwirtschaftlichen Aufschwung und gekennzeichnet durch Fahrermangel, Mautausweitung und zunehmende Regularien, hatten verladende Unternehmen regelmäßige Preiserhöhungen zu akzeptieren. Das ändert sich jetzt – und nicht erst seit Corona.
Die Entwicklung des bereinigten Lkw-Fahrleistungsindex zeigt deutlich (dieser wird vom Bundesamt für Güterverkehr auf Basis der Fahrleistung der mautpflichtigen Lkw in Deutschland ermittelt), dass die Fahrleistung im Zuge der Coronakrise ab Mitte März 2020 stark abgenommen hatte. Aktuell liegt dieser immer noch unter dem Vor-Corona -Niveau, obwohl deutliche Aufholtendenzen erkennbar sind. Dazu kommt, dass die Index-Entwicklung in 2019 ebenfalls leicht rückläufig war.
Der Rückgang betrifft dabei insbesondere ungekühlte Full Truck Loads (FTL) und Less Than Truckloads (LTL) sowie Stückgut. Gleichzeitig sind bestimmte Verlader wie die Automobilindustrie deutlich stärker betroffen als z.B. die Lebensmittelindustrie. Transporteure in den stark betroffenen Branchen sind daher daran interessiert, zusätzliche Transportvolumina aus anderen Branchen zu akquirieren, um ein Mindestmaß an Auslastung sicherzustellen.
Seitens der transportkostenintensiven Chemieindustrie mit ihren z.B. im Commodity-Bereich traditionell geringen Margen ist dies eine gute Gelegenheit, die Transportpreise mittelfristig zu senken. Die Grundlage der Vereinbarung sollte sein: Konditionen gegen Auslastung. Es geht explizit nicht darum, eine Notsituation auszunutzen, sondern mit zusätzlichen Volumina den Transportdienstleistern zu ermöglichen, den Betrieb weiterzuführen und dabei bessere Konditionen zu erzielen. Aufgrund des in den letzten Wochen wieder stark ansteigenden Index ist allerdings zu erwarten, dass sich das Zeitfenster hierfür langsam schließt.
Gezielte Suche mit detaillierten Anforderungen
Verschiedene Branchen sind sehr unterschiedlich von der aktuellen Krise betroffen. Als Auftraggeber sollte man daher gezielt Transportdienstleister ansprechen, die ihren Kundenschwerpunkt nicht unbedingt in der Chemieindustrie, sondern in den stärker betroffenen Branchen haben und die man unter normalen Umständen ggf. nicht in eine Ausschreibung einbezogen hätte.
Branchenfremde Transportdienstleister kennen typischerweise nicht alle Anforderungen des verladenden Unternehmens im Detail. Dies betrifft in der Chemieindustrie bspw. den Umgang mit Gefahrgut, die Abwicklung von Mehrweggebinden oder die Einhaltung stringenter Zeitfenstervorgaben der Kunden.
Um sicherzustellen, dass später im operativen Prozess alles reibungsfrei läuft und keine Preisaufschläge für bestimmte Faktoren gefordert werden, ist ein zweistufiger Prozess erforderlich: Zunächst sind alle Anforderungen an die neuen Transportdienstleister im Rahmen einer Ausschreibungsunterlage bzw. eines Pflichtenheftes genau zu spezifizieren. Auch jene Anforderungen, die langjährige Hofspediteure vielleicht als selbstverständlich ansehen. Im zweiten Schritt sind eingegangene Angebote umfassend dahingehend zu plausibilisieren, ob alle Anforderungen richtig verstanden wurden. Idealerweise geschieht das vor Ort beim potenziellen neuen Transportdienstleister, so dass alle relevanten Abteilungen wie Disposition, IT, etc. direkt befragt werden können.
Für beide Seiten attraktive Konditionen
Vor einer Vergabe an branchenfremde Transportunternehmer ist zu prüfen, welches Volumen überhaupt in Frage kommt. Um das Risiko anfänglich schwankender Lieferperformance zu begrenzen, ist in jedem Fall eine Hochlaufphase angeraten. Hinzu kommt, dass langfristige Partner wie die Hausspediteure auch gehalten werden sollen und dass daher auch nach der Hochlaufphase nur ein Teil des Volumens an neue Dienstleister vergeben werden kann.
Die Grundlage der Vereinbarung sollte wie bereits gesagt, Konditionen gegen Auslastung sein, wobei es explizit nicht um die Ausnutzung einer Notsituation geht. Die Chemieindustrie mit ihren großen Transportvolumina ist hier für die Spediteure ein sehr interessanter Partner. Dieser geht mit der Beauftragung unternehmens- und branchenfremder Unternehmen allerdings auch ein operatives Risiko ein, das in akzeptablen Konditionen reflektiert sein sollte. Um dieses Projekt für beide Seiten attraktiv zu gestalten, sollten dann Auslastung und Konditionen zumindest mit einem mittelfristigen zeitlichen Horizont abgeschlossen werden.
Bei der Preisgestaltung sollte allerdings nicht übertrieben werden: Es sollten keine Forderungen gestellt werden, die der Logistikpartner nicht leisten kann. So werden aktuell auf den einschlägigen Frachtbörsen teilweise Transportpreise geboten, die bei einer Rückrechnung darauf schließen lassen, dass den Fahrern nicht einmal Mindestlöhne gezahlt werden. Ein solches Preisniveau ist nicht nachhaltig und wird daher mittelfristig nicht zu halten sein, so dass eine entsprechende Vereinbarung nicht viel wert ist. Nur bei einer fairen Partnerschaft mit einem beiderseitigen Interesse am Geschäft wird die tatsächliche Geschäftsbeziehung auch das vertraglich anvisierte Ende der Geschäftsbeziehung erleben.
Relevante Punkte vertraglich regeln
Um von Beginn an volle Preistransparenz zu haben und mögliche Streitigkeiten zu vermeiden, sollten die Verantwortlichen alle relevanten Preise und Konditionen spezifizieren. Dies beinhaltet neben den reinen Transportpreisen auch alle möglicherweise auftretenden Zusatzkosten, wie z.B. Gebühren für Zeitfester-Buchungen, Inselanlieferungen, Mindestgewichte und -preise pro Sendung, Kosten für die Bereitstellung von Reports, Handling von Retouren, Handling von Mehrweggebinden, Standgelder, Diesel-Floater etc.
Neben den preislichen Aspekten sind auch alle weiteren Aspekte der Zusammenarbeit umfassend zu regeln. Ein einfacher Hinweis auf die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) ist im Regelfall nicht ausreichend. Insbesondere sollte sich der Verlader die erforderlichen Kapazitäten zusichern lassen und Spät- oder Schlechtlieferungen auf Basis entsprechender Service-Level-Agreements (SLA) mit Pönalen belegen.
Weitere, zu klärende Punkte beinhalten bspw.:
- Exklusivität
- Geheimhaltung
- Beiladungsverbote
- Haftungsfragen und abzuschließende Versicherungen
- Vereinbarungen zum Datenaustausch
- Einsatz von Subunternehmern
- Sicherstellen der Rückverfolgung und Bereitstellung des Abliefernachweises
- Abwicklung von Gefahrgut
- Abrechnung und Zahlungsbedingung
- Cut-off Zeiten
- Nachweispflichten
- Vertragslaufzeiten und Möglichkeiten der ordentlichen/ außerordentlichen Kündigung
Performance kontinuierlich nachhalten
Da der neue Transportdienstleister in der Branche des Verladers möglicherweise über keine oder nur sehr wenige Erfahrungen verfügt und somit die Branchengepflogenheiten (z.B. Zeitfenster, Ablieferrestriktionen, etc.) nicht vollumfänglich kennt, ist eine umfassende Betreuung dieses Dienstleisters sicherzustellen. Mögliche Fehlerquellen sollten eigeninitiativ angegangen und dem Dienstleister kommuniziert werden.
Auch nach dem Aufschalten des neuen Transportdienstleisters sollte die Performance kontinuierlich nachgehalten und die vereinbarten Service-Levels regelmäßig gemessen werden. Dazu können bspw. auch ausgewählte Kunden proaktiv kontaktiert und hinsichtlich ihrer Lieferzufriedenheit befragt werden, um zu vermeiden, dass eventuelle Unzufriedenheiten „unter dem Radarschirm“ bleiben und nicht systematisch erfasst werden.
ZUR PERSON
Matthias Lütke Entrup verantwortet als Partner von Höveler Holzmann Consulting den Bereich Supply Chain Management und ist Professor für Operations Management an der International School of Management in Dortmund.
ZUR PERSON
Dennis Goetjes ist Principal bei Höveler Holzmann Consulting und spezialisiert auf gesamthafte Optimierungen im Supply Chain Management.