Follmann Chemie - Spezialchemie mit Tradition und Zukunft
Das Mindener Unternehmen investiert in Digitalisierung und nachhaltige Produktentwicklung
Spezialchemikalien von Follmann Chemie finden sich in Markierungen von Straßen- und Radwegen ebenso wie in Farben für Verpackungen oder Tapeten. Das Portfolio des Familienunternehmens reicht von Druckfarben und Lacken über Klebstoffe und Mikrokapseln bis hin zu Dichtstoffen auf Basis von Flüssigkunststoffen. Weltweit beschäftigt die Gruppe mit Sitz im westfälischen Minden knapp 900 Mitarbeiter und erzielte zuletzt über 200 Mio. EUR Umsatz im Jahr. Henrik Follmann führt das Unternehmen in dritter Generation. Andrea Gruß sprach mit ihm über die Last mittelständischer Unternehmen mit der Bürokratie sowie über Herausforderungen und Chancen in der Coronakrise.
CHEManager: Herr Follmann, was sind die Wurzeln der Follmann Chemie?
Henrik Follmann: Ursprung ist die 1906 in Minden gegründete Firma Cordes, die mein Großvater Heinrich Follmann 1956 übernahm und mit der er als selbstständiger Unternehmer Spezialchemieprodukte im In- und Ausland verkaufte. Anfang der 1970er Jahre verkaufte er sein Unternehmen an Henkel, weil er keinen Nachfolger fand. Wenige Jahre später, 1977, gründete er gemeinsam mit meinem Vater Rainer Follmann das Unternehmen neu. Schon damals produzierten wir Farben und Lacke für die Druckfarben- und Bauindustrie. Mitte der 1980er Jahre kamen mit der Gründung des Tochterunternehmens Triflex Dichtmassen für die Bauchemie hinzu.
Wie verlief Ihr Geschäft während der Coronakrise?
H. Follmann: Unser breites Portfolio hat sich in der Krise bewährt. Wir haben das vergangene Jahr gut überstanden. Ich konnte während der Coronakrise von meinen Erfahrungen mit der SARS-Pandemie in den Jahren 2002–2003 profitieren. Zu dieser Zeit arbeitete ich in Asien und habe dort das Geschehen vor Ort live miterlebt. Zudem wurden wir durch unsere Kollegen aus der Niederlassung in Schanghai frühzeitig informiert. Als sich im Februar 2020 abzeichnete, dass die Welle nach Europa kommen würde, haben wir uns zunächst um die Sicherheit unserer Mitarbeiter gekümmert, dann unsere Kunden über mögliche Risiken informiert und unsere 15 Niederlassungen und Produktionsstandorte in Deutschland, Russland, England und Polen mit Rohstoffen versorgt. So hatten wir trotz Grenzschließungen keine Probleme mit der Lieferkette.
Zwar standen die Anlagen unserer ausländischen Kunden in der Tapeten- und Druckindustrie zeitweise still, doch das Geschäft mit der Verpackungsindustrie lief ungebremst weiter. In der Bauindustrie zeigte sich ein heterogenes Bild: Während die Baustellen in Deutschland weiterliefen – was uns als Deutschlands größter Hersteller von Straßenmarkierungen sehr geholfen hat – gab es in unserem wichtigsten Auslandsmarkt England einen harten Lockdown, und auch in Frankreich und Österreich standen die Baustellen zeitweise still.
Waren Sie auf Kurzarbeit angewiesen?
H. Follmann: Ja, in einigen Bereichen haben wir vorrübergehend Kurzarbeit angemeldet. Das betraf im Wesentlichen den Vertrieb, weil wir während des Lockdowns unsere Kunden nicht mehr besuchen konnten. Dagegen lief unsere Produktion weitgehend durch. Übrigens genau umgekehrt wie in der Finanzkrise 2008/2009: Damals hatten wir Kurzarbeit in der Produktion und Logistik, weil wir keine Aufträge mehr bekamen, und haben unseren Vertrieb verstärkt zum Kunden geschickt.
Die Planungsunsicherheit aufgrund der Coronakrise wurde für Ihr Unternehmen durch die langwierigen Brexit-Verhandlungen noch verstärkt. Wie haben Sie hier Ihre Risiken abgesichert? Welche weitere Entwicklung erwarten Sie?
H. Follmann: Wir betreiben zwei Standorte in England. Einen reinen Vertriebsstandort in Stoke-on-Trent, über den wir Produkte verkaufen, die wir in Minden produzieren, und einen Standort in Andover, Hampshire, in der Nähe von Southampton. Dort produzieren wir Klebstoffe, Dispersions- und Schmelzklebstoffe beispielsweise für die Verpackungsindustrie. Ende vergangenen Jahres haben wir zum dritten oder vierten Mal unsere Lagerbestände dort aufgebaut, um die Versorgung sicherzustellen. Umgekehrt haben wir Fertigwaren aus England in Deutschland gelagert, um einen Puffer zu haben. Über unsere IT-Prozesse lässt sich das relativ schnell und effizient gestalten, allerdings ist dies immer auch mit Speditions- und Lagerkosten verbunden.
Auch auf das Thema Zoll ist unser Team vorbereitet. Sorgen bereitet uns jedoch das Bestreben Großbritanniens, die Kontrolle bei Zulassungen und Genehmigungsverfahren zurückzugewinnen und ein eigenes „REACh-System“ aufzubauen. Wir haben neben dem europäischen REACh bereits eine russische, eine koreanische und eine chinesische Chemikalienverordnung, dann käme eine weitere britische Variante hinzu. Ich rechne noch nicht in diesem Jahr damit, aber ab 2022/2023 wird dies kommen, da bin ich sicher.
Hat sich die Coronakrise negativ auf Ihre Investitionen ausgewirkt?
H. Follmann: Nein, wir haben bereits vor einigen Jahren begonnen, unseren Standort Minden komplett umzubauen und das auch in der Krise fortgesetzt. Unser Geschäft verändert sich derzeit aufgrund der Trends Digitalisierung und Nachhaltigkeit grundlegend. Das erfordert hohe Investitionen. Im Jahr 2020 haben wir unser SAP-System von R/3 auf S/4 umgestellt und sind mit Microsoft und SAP komplett in die Cloud gegangen. Das war in Corona-Zeiten ein echter Kraftakt: Das Projekt nahm einen völlig anderen Verlauf als geplant und dennoch konnten wir es im Dezember 2020 erfolgreich abschließen.
Bereits Anfang Oktober haben wir, im kleinen Kreis und mit den einhergehenden Abstands- und Hygieneregeln, den Grundstein für ein neues Technologie- und Wissenszentrum am Standort Minden gelegt. Auf insgesamt 12.000 m2 entsteht bis Ende 2021 ein modernes, multifunktionales Schulungs- und Veranstaltungszentrum. Hier werden künftig Produktprüfungen und Kundenversuche von Klebstoffen und wässrigen Druckfarben auf Holz, Papier und Folie sowie von bauchemischen Abdichtungs- und Markierungsprodukten durchgeführt. Rund 15 Mio. EUR werden wir in das Zentrum investieren, in dem wir gemeinsam mit Kunden an nachhaltigen Lösungen arbeiten wollen.
Profitieren Sie bei Ihren Investitionen in Forschung und Entwicklung von der steuerlichen Forschungsförderung, die seit Januar 2020 über das Forschungszulagengesetz geregelt wird?
H. Follmann: Ich kann Ihnen nur sagen, wir haben uns bei der Antragsstellung bemüht. Was dabei herauskommt, wissen wir noch nicht. Ich habe mir sehr viel mehr von der neuen steuerlichen Forschungsförderung versprochen, zum Beispiel dass forschende Unternehmen von Steuern und Sozialabgaben entlastet werden. Die Umsetzung des Gesetzes erinnert jedoch sehr an eine Projektförderung. Und genau das wollten wir nicht: ein weiteres Instrument zur Projektförderung, das aufwändige Begründungen, Erklärungen und Zeiterfassungen erfordert.
Das klingt nicht nach Bürokratieabbau, dabei hat sich gerade die aktuelle Regierung diesen auf ihre Agenda geschrieben. Wird sie ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht?
H. Follmann: Das Bürokratieentlastungsgesetz – wie es im September 2019 vom Kabinett verabschiedet wurde – ist nichts Anderes als ein Papiertiger. Dabei war der erste Entwurf aus dem Wirtschaftsministerium noch sehr vielversprechend. Bereits 2014 hatte die Koalition versprochen, das bis 2020 keine Behördengänge mehr gäbe. 600 Vorgänge der öffentlichen Verwaltung sollten digitalisiert werden. Ich warte immer noch auf den ersten Vorgang. Der deutsche Mittelstand lebt davon, dass er schnell und flexibel agiert. Bürokratie ist genau das Gegenteil von schnell und flexibel. Sie lähmt uns. Von der angeblich größten Entlastung der Wirtschaft aller Zeiten kommt bei uns nichts an.
Das Bürokratieentlastungsgesetz
ist nichts anderes als ein Papiertiger.
Im Gegenteil, wir spüren die Bürokratie jeden Tag. Es dauerte zum Beispiel 1,5 Jahre, bis uns die Erlaubnis erteilt wurde, auf öffentlichem Raum vor dem Werkgelände ein Schild aufzustellen, das ankommende Lkw-Fahrer auf die richtige Einfahrt hinweist.
Auch haben wir es innerhalb von drei Jahre nicht geschafft, ein Leerrohr mit einer Leitung für ein Glasfaserkabel unter einer Schiene zu verlegen, weil wir die Genehmigung dafür nicht bekamen. Der Eigentümer der Gleise, die Mindener Kreisbahn, hat kein Problem damit. Aber das Rohr muss genehmigt werden, weil der Schienenweg im Kataster eingetragen ist. Um mit Microsoft und SAP in die Cloud zu gehen, brauchen wir gewisse Bandbreiten. Es hat über drei Jahre gedauert, bis wir die Infrastruktur dafür ausbauen konnten.
In welchen weiteren Bereichen belastet Sie die Bürokratie?
H. Follmann: Viele unserer Mitarbeiter haben bereits vor der Coronakrise im Homeoffice oder mobil gearbeitet. Dafür müssen wir gewährleisten, dass der Arbeitsplatz zu Hause der Arbeitsstättenverordnung entspricht, die Datenschutzgrundverordnung eingehalten wird und die Arbeitszeiterfassung im Homeoffice gewährleistet ist.
Über das Genehmigungs-, Umwelt-, Bau- und Arbeitsrecht hinaus kommen immer wieder neue Themen hinzu, bei denen der Mittelstand auf Berater angewiesen ist, um gesetzliche Vorgaben korrekt umzusetzen. Aktuell diskutieren wir in Deutschland über das Lieferkettengesetz, nach dem Unternehmen für die Verletzung von Menschenrechten haften sollen und die Reform des Unternehmensstrafrechts, die auch bei rechtstreuen Unternehmen zu einer erheblichen Mehrbelastung führen würde.
Bereits Anfang dieses Jahres trat das Erneuerbare Energie Gesetz 2021 in Kraft, das zu einer Mehrbelastung der Industrieunternehmen führt. Ich kann die Alleingänge der Bundesregierung bei der Energiepolitik nicht nachvollziehen. Wir leben in Deutschland auf keiner Insel. Wir haben europäisches Stromnetz. Daher brauchen wir auch eine europäische Lösung, wie sie zum Beispiel der Green Deal vorsieht. Europa hat mit der CO2-Bepreisung den richtigen Weg eingeschlagen. Der Green Deal ist demokratisch legitimiert – das ist wichtig, denn Sie können Nachhaltigkeit nicht gegen den Willen der Bevölkerung umsetzen – und er gibt den Unternehmen die Chance, den Weg mitzugehen. Dafür brauchen wir Innovationen, wir brauchen Geld und Ressourcen und die richtigen Rahmenbedingungen. Ich erhoffe mir vom Green Deal, dass Europa diese Rahmenbindungen schafft und klare Ziele definiert.
Aller Bürokratie zum Trotz, was gab Ihnen als Unternehmer Zuversicht im vergangenen Jahr?
H. Follmann: Die Entwicklung in Bezug auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit in Europa stimmen mich zuversichtlich. Aber das tollste Erlebnis im Jahr 2020 war für mich, wie unsere Mitarbeiter zusammengestanden haben. Sie haben Dinge möglich gemacht und Hürden überwunden, sowohl im beruflichen als privaten Bereich, damit es in der Krise weitergeht. Eltern haben sich flexibel ihre Arbeitszeiten aufgeteilt, um ihre Kinder durchgängig zu betreuen. IT-Themen, die wir jahrelang vor uns hergeschoben haben, wurden umgesetzt. Selbst die Zusammenarbeit mit Behörden hat Spaß gemacht: Wir konnten zum Beispiel erstmals eine öffentliche Ausschreibung virtuell umsetzen. Und wir haben viele neue Services entwickelt, die von unseren Kunden angenommen wurden.
Die Coronakrise hat dazu beigetragen,
Prioritäten neu zu setzen
und Menschen zusammenzubringen.
Die Coronakrise hat dazu beigetragen, Prioritäten neu zu setzen und Menschen zusammenzubringen. An vielen Stellen wurden pragmatische Lösungen gefunden und Dinge vorangebracht. Hierauf können wir in den nächsten Jahren aufbauen.
Das Interview mit Henrik Follmann führte Andrea Gruß, CHEManager.
Henrik Follmann ist geschäftsführender Gesellschafter der Follmann Chemie Gruppe mit Sitz in Minden. Nach einem kaufmännischen Studium und Promotion in Münster, war er sechs Jahre lang in Unternehmen der Großchemie, u. a. bei BASF und DAW, tätig. 2005 trat der Diplomkaufmann als Geschäftsführer von Triflex in das Unternehmen ein. Heute führt er das Familienunternehmen in der dritten Generation. Im Jahr 2017 wurde Follmann zum Vorsitzenden des Ausschusses Selbstständiger Unternehmer im Verband der Chemischen Industrie (VCI) gewählt.
Kontakt
Follmann Chemie GmbH
Karlstr. 59
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Deutschland