Evonik: Wir haben eine „Lieferzeit" von 4,5 Jahren
Evonik Industries bildet 2500 junge Menschen in 40 Berufen aus.
Evonik, eines der weltweit führenden Unternehmen der Spezialchemie, bildet bundesweit 2.500 junge Menschen in 40 Berufen aus. Wird es auch in Zukunft genügend qualifizierten Nachwuchs für dieses vielfältige Ausbildungsangebot geben? Dr. Andrea Gruß befragte dazu Klaus Lebherz, Leiter des Bildungszentrums Rhein-Main bei Evonik.
CHEManager: Herr Lebherz, wie viele Auszubildende stellt der Evonik-Konzern pro Jahr ein?
Klaus Lebherz: Evonik Industries vergibt deutschlandweit etwa 550 Ausbildungsplätze, davon ca. 200 im Rhein-Main-Gebiet an den Standorten Darmstadt, Hanau und Worms. In den Industrieparks Marl und Hanau-Wolfgang kommen 50-60 Auszubildende dazu, die wir im Verbund mit andere Firmen am Standort ausbilden. In der Regel übernehmen wir 90-95 % unserer Auszubildenden direkt nach Abschluss der Ausbildung. Von den neu Ausgebildeten bei Evonik erhält mindestens jeder zweite einen unbefristeten Vertrag, die übrigen werden möglichst länger befristet übernommen. Oftmals folgt auch hier eine Festanstellung.
Welches sind die wichtigsten Ausbildungsberufe bei Evonik?
Klaus Lebherz: Dazu zählen natürlich die chemietypischen Berufe in der Forschung und Produktion, also Chemielaboranten und Chemikanten, aber auch Instandhaltungsberufe, z. B. Industriemechaniker und Elektroniker. Einen weiteren Schwerpunkt im Rhein-Main-Gebiet bilden kaufmännische Berufe, weil hier sehr viele Verwaltungs- und Vertriebsabteilungen von Evonik angesiedelt sind. In vielen kaufmännischen Berufen bilden wird zusammen mit der Dualen Hochschule Baden-Württemberg aus.
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Auszubildenden aus?
Klaus Lebherz: Neben der fachlichen ist die soziale Kompetenz ein wesentliches Auswahlkriterium für uns. In der stark automatisierten Produktion beispielsweise brauchen wir Mitarbeiter, die Probleme im Team lösen können. Bringt ein Bewerber diese Teamfähigkeit mit, hat aber Defizite im Schreiben und Rechnen oder in Englisch, versuchen wir diese im Vorfeld der Ausbildung durch spezielle E-Learning-Programme auszugleichen. Darüber hinaus haben wir auch Bewerber, die noch nicht reif für eine Ausbildung sind. Hier engagieren wir uns im Rahmen von „Start in den Beruf" - einer Maßnahme, die vor einigen Jahren vom Bundesarbeitgeberverband Chemie und der IG BCE unter dem Motto „Wir machen junge Menschen ausbildungsfähig" ins Leben gerufen wurde. Im vergangenen Jahr haben wir unsere Plätze konzernweit von 70 auf 100 aufgestockt, 38 davon bilden wir im Rhein-Main-Gebiet aus. Ein Großteil der Absolventen von „Start in den Beruf" bei Evonik erhält direkt im Anschluss einen Ausbildungsplatz.
Wie haben sich Ihre Bewerberzahlen in den vergangenen Jahren entwickelt?
Klaus Lebherz: Im Zeitraum von 2008-2011 gingen im Rhein-Main-Gebiet die Bewerberzahlen für unsere Ausbildungsplätze zurück. Wir haben daher unsere Marketingaktivitäten für die Ausbildung unter dem Namen Evonik intensiviert, um wieder stärker als großer Ausbilder wahrgenommen zu werden. Wir haben eine neue Anzeigenkampagne gestartet, sind verstärkt auf regionalen Messen zur Berufsorientierung aufgetreten und sind auf Schulen im Umfeld unserer Standorte zugegangen. Und seit Kurzem gibt es einen Auftritt bei Facebook, der vom Evonik-Azubiteam betreut wird.
Sehen Sie bereits Erfolge?
Klaus Lebherz: 2011 stiegen die Bewerberzahlen wieder, was wir zum einen auf die genannten Aktivitäten zurückführen, zum anderen aber auch den ersten Doppeljahrgängen an Gymnasien und der Abschaffung der Wehrpflicht geschuldet werden muss. Zuletzt haben wir im Rhein-Main-Gebiet mehr als 4.000 Bewerber für 200 Stellen gezählt.
Das klingt nicht nach einem Nachwuchsproblem ...
Klaus Lebherz: Hier geht es auch um einen realistischen, vorausschauenden Ansatz. Aus meiner Sicht wird sich auch für die Chemiebranche der Wettbewerb um den Nachwuchs weiter verstärken. Wir dürfen uns auf dem bisher Erreichten sicherlich nicht ausruhen, aber müssen auch nicht in Panik verfallen. Die Herausforderung, genügend qualifizierten Nachwuchs zu finden, tritt stärker auf bei Berufen, die nicht chemiespezifisch sind, z. B. bei Ingenieuren, Informatikern oder auch bei Metall- und Elektroberufen. Da gibt es auch andere attraktive Branchen, mit denen wir konkurrieren. Die Automobilindustrie ist ein Beispiel dafür. Wenn die Zahlen der Schulabgänger in den kommenden Jahren sinken, dürfte es in Deutschland ganz allgemein schwieriger werden, qualifizierten Nachwuchs zu finden.
Wie gehen Sie diese Herausforderung an?
Klaus Lebherz: Durch frühe Nachwuchsförderung kombiniert mit langfristiger Planung. Seit 2010 bieten
wir beispielsweise Evonik-Science Camps in unseren Ausbildungsstätten Darmstadt, Hanau und Worms an, in dem schon 10- bis 12-Jährige aller Schulformen selbstständig experimentieren und das Interesse für naturwissenschaftlich-technische Berufe entwickeln können. Bereits im Jahr 2009 haben wir mit einer Demografie-Analyse unseren Ausbildungsbedarf spezifisch nach Standorten und Ausbildungsberufen bis zum Jahr 2015 ermittelt. Hätten wir zur Zeit der Wirtschaftskrise unsere Zahl der Auszubildenden reduziert bzw. nicht über unserer Bedarfsplanung hinaus eingestellt, hätten wir während des Aufschwungs bei uns freie Stellen möglicherweise nicht sofort besetzen können, denn unsere ‚Lieferzeit‘ vom Start der Bewerbungsphase bis zum Abschluss einer erfolgreichen Ausbildung beträgt etwa 4,5 Jahre.