Einkauf von Logistikdienstleistungen
Studie zeigt Potenzial zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Chemieunternehmen auf
Die Chemieindustrie sieht stürmischen Zeiten entgegen, die Prognosen für das Jahr 2023 sind alles andere als rosig. Dies könnte vielleicht noch als kurze Atempause nach langem Wachstum bezeichnet werden. Es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass die Energiepreise – ein großer Kostenblock in der Branche – sinken oder daraus abgeleitet der Wettbewerb aus Ländern mit ausreichend Rohstoffen schwächer werden wird. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich neben dem eigentlichen Produkt mit den damit zusammenhängenden Leistungen auf dem umkämpften Markt zu positionieren. Die Logistik ist hier mit an erster Stelle zu nennen. Denn mit logistischer Leistungsfähigkeit können Kunden in den heutigen Zeiten überzeugt und gebunden werden.
Das ist keine überraschende Aussage. Denn Kapazitätsengpässe in der Logistik und die daraus resultierende geringere Zuverlässigkeit und Flexibilität haben in den vergangenen drei Jahren auch in der Chemie zu Herausforderungen geführt. Die Lieferketten sind komplexer und fragiler geworden und lassen sich damit schwerer alleine und ohne die entsprechenden Logistikpartner planen. Die Relevanz der Logistik und ihrer Akteure ist zudem deutlicher geworden, da sie die Lieferketten der Industrie und des Handels am Laufen halten. Wer liefern kann, ist wettbewerbsfähig. Und um zukunftsfähig zu sein, muss der Fokus auf die Lieferfähigkeit zur Selbstverständlichkeit werden. In der Praxis fehlt dieses Verständnis jedoch noch häufig.
Studie zum Einkauf von Logistikdienstleistungen
Damit der Einkauf seinen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der mittelständisch geprägten Chemieunternehmen in diesem gewandelten Umfeld leisten kann, wurde in der Ende des Jahres 2022 veröffentlichten Studie „Einkauf von Logistikdienstleistungen in der Chemie“ ein Einkaufsprozess für den Transportlogistikeinkauf von loser oder verpackter Ware entwickelt. Dieser gibt Impulse und Denkanstöße zur Anpassung tradierter Prozesse. Als Input diente dabei eine Analyse der Güter und Prozesse in der Chemie, der Marktsituation inkl. der Teilsegmente der Logistik mit den relevanten Logistikunternehmen und Innovationen in der Chemielogistik sowie eine Tiefenbefragung von 27 Unternehmen der Chemiebranche. Mit den Erkenntnissen aus der Praxis in Kombination mit den theoretischen Analysen konnte ein generischerer Einkaufsprozess mit sieben Schritten abgeleitet werden.
Hierbei werden insgesamt rund 30 Fragen unterschieden nach loser und verpackter Ware aufgeworfen. Mittels differenzierter Abwägungen und spezifischer Antworten zu jeder Frage unterstützt dieser Leitfaden den Einkauf von Chemielogistik dabei, in den aktuell herausfordernden Zeiten die beste Lösung zu wählen und damit seinen Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu leisten. Im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen:
- Die konsequente Ausrichtung logistischer Leistungen am Kunden. Hierbei ist das vertriebliche Verständnis zu verlassen und das logistische zu sehen: Der Kunde ist jeder Akteur, der mit der eingekauften Logistik konfrontiert wird – also auch die Beschaffung, Produktion und interne Logistikbereiche.
- Die Bereitschaft, die Logistik nicht länger als Kostenfaktor wahrzunehmen. Die Logistik bildet heutzutage einen Leistungsfaktor für das erfolgreiche Funktionieren von Unternehmen insbesondere in den weltweit agierenden Chemieunternehmen.
- Die Realisierung von Flexibilität in der Zusammenarbeit mit den Logistikpartnern. In dynamischen Zeiten muss auch die Gestaltung vertraglicher Regelungen angepasst werden, um mit den Logistikpartnern auf Veränderungen schnell und zielgerichtet reagieren zu können.
Mithilfe des in der Studie entwickelten Prozesses kann sich der Einkauf auf diese Notwendigkeiten vorbereiten.
Ein Exkurs bewertet die Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe von zwölf Risiken spezifisch für die Chemielogistik. Diese Kurzanalyse ergab, dass insbesondere ungenaue Prognosen, Unterkapazitäten in der Logistik und Cybercrime schwerpunktmäßig in die Abwägung potenzieller Risiken einbezogen werden müssen, da sie eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe aufweisen. Dahingegen werden Naturkatastrophen und Staus in den Lieferketten zwar mit einer hohen Schadenshöhe bewertet, die Eintrittswahrscheinlichkeit gilt jedoch als relativ niedrig. Eher ist vor dem Hintergrund einer drohenden Rezession mit Überkapazitäten, Preisschwankungen und dem Ausfall von Partnern zu rechnen, wenngleich hier die Schadenshöhe niedriger ausfallen dürfte.
Handlungsempfehlungen für den Einkauf
Aus der Analyse lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für den Einkauf ableiten:
- Handlungsempfehlung 1: Der Aufbau spezifischer logistischer Expertise sollte für den Einkauf von Chemielogistik ein elementarer Bestandteil sein, um die Potenziale der Logistik für das Chemieunternehmen vollständig heben zu können.
- Handlungsempfehlung 2: Der Bedarfsträger der Chemielogistik ist in den Mittelpunkt aller Aktivitäten des Einkaufs zu setzen. Die Kosten, die sich durch Missachtung der Notwendigkeiten seitens des Bedarfsträgers ergeben, können selten durch einen niedrigeren Einkaufspreis ausgeglichen werden.
- Handlungsempfehlung 3: Für die Erstellung der Ausschreibung sollte ausreichend Zeit und Aufwand eingeplant werden. Insbesondere für die Definition der Ziele, die Aufnahme der Anforderungen und die Erfassung der Rahmenbedingungen der involvierten Partner sollte genug Raum gegeben werden. Nur damit können die adressierten Logistikpartner sich und ihren Handlungsspielraum wiedererkennen und nicht nur die geforderten Aufgaben nachvollziehen.
- Handlungsempfehlung 4: Zur Realisierung einer wettbewerbsfähigen Logistiklösung ist eine umfangreiche Marktkenntnis notwendig, die die aktuelle Marktlage und die herrschenden Marktgegebenheiten umfassen. Eine auf den Logistikeinkauf zugeschnittene Market Intelligence unterstützt dies.
Handlungsempfehlung 5: Geringe Gestaltungsfreiräume bei der Realisierung und starre Vertragsbedingungen sollten vor dem Hintergrund der Logistikmarktlage und der sich stark wandelnden Rahmenbedingungen in den Gesprächen mit den Logistikpartnern und bei dem Vertragsabschluss vermieden werden.
Handlungsempfehlung 6: Ein fortwährender Austausch unter den Akteursgruppen der Wertschöpfungskette sollte fester Bestandteil während der Vertragslaufzeit sein, um kontinuierlich besser zu werden und ggf. diese Erkenntnisse in zukünftige Ausschreibungen einfließen lassen zu können. Der zu einem betroffenen Akteur gewandelte Einkauf sollte auch daran gemessen werden, wie der weitere Prozess der Begleitung gestaltet wird.
Das Ergebnis ist ein Leitfaden, wie der Einkauf von Chemielogistik das Unternehmen dabei unterstützen kann, einen durchgehenden, stabilen, zukunftsfähigen, resilienten, agilen und kundenorientierten Logistikprozess zu realisieren. Dies führt dazu, dass die Logistik ein Leistungsfaktor für die Chemieunternehmen und für deren Kundenbranchen und damit eine wichtige Säule für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland auch in Zeiten veränderter Wettbewerbslage aufgrund der Energiekrise werden kann.
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Studie „Einkauf von Logistikdienstleistungen in der Chemie“
In der Studie wird die Frage beantwortet, wie die Logistik und insbesondere der Einkauf zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Chemieunternehmen einen wichtigen Teil beitragen können. Ein essenzielles Ergebnis ist die praxisorientierte Beschreibung eines generischen Einkaufsprozesses – mit Entscheidungshilfen differenziert nach loser und verpackter Ware. Anhand der Beschreibung wird der Transporteinkauf in der Chemielogistik bei seinen Entscheidungen und der schlussendlichen Wahl des Partners unterstützt. Dabei sind die in diesem Artikel mit Schwerpunkt belegten Handlungsempfehlungen nicht die einzigen Ergebnisse. Die Autoren der Studie sind Christian Kille, Andreas Backhaus und Constantin Reuter. Sie wurde von Dachser Chem Logistics unterstützt. Der Download ist kostenfrei über https://www.dachser.de/de/dachser-chem-logistics-studie-1251 möglich.
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Autor: Christian Kille, Professor für Handelslogistik und Operations Management, Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt (FHWS)
„Mit logistischer Leistungsfähigkeit können Kunden in den heutigen Zeiten überzeugt und gebunden werden.”
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Zur Person
Christian Kille ist seit 2011 Professor für Handelslogistik und Operations Management an der Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt und aktuell Leiter des Studiengangs Betriebswirtschaft. Zuvor war er bei der Fraunhofer SCS in Nürnberg Leiter des Geschäftsfelds Marktanalysen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Prognose und Trenduntersuchungen in der Logistik sowie Handelslogistik und Logistikimmobilien.
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