Ein Plädoyer für Carbon Capture and Utilisation
Carbon Capture and Utilisation (CCU) ist viel mehr als nur eine Technologie zur Entnahme von Kohlenstoffdioxid
Als Hauptursache für den vom Menschen verursachten Klimawandel werden häufig CO2 und andere Treibhausgase genannt, aber das eigentliche und grundlegende Problem liegt in ihrer Herkunft. Etwa 70 % des Klimawandels sind auf fossile Rohstoffe (Erdöl, Erdgas und Kohle) zurückzuführen, die aus dem Boden gewonnen werden, während die restlichen 30 % auf die Land- und Forstwirtschaft aufgrund von Landnutzungsänderungen und Viehzucht entfallen. Um den Klimawandel einzudämmen, ist daher eine drastische Verringerung des Abbaus und der Emissionen von fossilem Kohlenstoff erforderlich.
Während die Energie- und Verkehrssysteme wortwörtlich dekarbonisiert werden können – erneuerbare Energien und die Elektrifizierung des Verkehrs ermöglichen Lösungen, die ohne kohlenstoffhaltige Brennstoffe auskommen –, benötigen andere Sektoren wie Chemie und Werkstoffe ausgefeiltere Strategien. Diese Sektoren sind auf Kohlenstoff als Rohstoff angewiesen, welcher nicht ohne Grund auch als Grundbaustein des Lebens bezeichnet wird. Anstelle einer Dekarbonisierung sollten diese Sektoren stattdessen eine Defossilisierung anstreben, indem sie sich von fossilem Kohlenstoff als Rohstoff abkoppeln und so das Problem an der Wurzel packen.
Eine verantwortungsvolle Beschaffung von Kohlenstoff
Um die Abhängigkeit von fossilem Kohlenstoff zu reduzieren, müssen andere Kohlenstoffquellen erschlossen werden, die nicht zu zusätzlichen CO2-Emissionen führen, sondern den Kohlenstoff in einem Kreislauf halten. Diese alternativen Quellen sind: Biomasse, Carbon Capture and Utilisation (CCU) und Recycling – was sich als erneuerbarer Kohlenstoff zusammenfassen lässt. Zu diesem Zweck wurde Ende 2020 die Renewable Carbon Initiative (RCI) gegründet, um den Übergang von fossilem Kohlenstoff zu erneuerbarem Kohlenstoff zu fördern.
Alle drei erneuerbaren Kohlenstoffquellen ergänzen sich gegenseitig und können gemeinsam so entwickelt werden, dass nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe und die Defossilisierung möglich sind. Die künftige Chemie- und Werkstoffindustrie muss den Rohstoff Kohlenstoff zunehmend und potenziell ausschließlich aus der Atmosphäre, der Biosphäre und der Technosphäre gewinnen. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Kohlenstoff von Natur aus erneuerbar ist und im Kreislauf genutzt werden kann. Der Übergang zu erneuerbarem Kohlenstoff in der Chemie- und Werkstoffindustrie entspricht dem Konzept der Dekarbonisierung im Energie- und Verkehrssektor. Beide Strategien vermeiden, dass zusätzlicher fossiler Kohlenstoff aus dem Boden in den atmosphärischen Kreislauf gelangt.
Stärkere politische Anerkennung für die CCU benötigt
Das zentrale Ziel der Renewable Carbon Initiative (RCI) besteht darin, den Übergang von fossilem zu erneuerbarem Kohlenstoff in allen Chemikalien und Materialien zu fördern. CCU ist eine der drei verfügbaren Optionen für die Bereitstellung von erneuerbarem Kohlenstoff. Doch sein Potenzial wird von den politischen Entscheidungsträgern noch nicht vollständig erkannt. Ein Hauptgrund dafür ist die weit verbreitete, aber leider falsche Annahme, dass CCU lediglich Emissionen verzögert und daher nicht zur Abschwächung des Klimawandels oder zur Erreichung von Netto-Null beitragen kann – zwei Hauptziele der globalen Klimapolitik. In den Fällen wo politische Entscheidungsträger CCU akzeptieren, geschieht dies oft nur im Zusammenhang mit der langfristigen Speicherung von Kohlenstoff oder der Entfernung von atmosphärischem/biogenem Kohlendioxid. Dabei bietet CCU als Technologie viele verschiedene Vorteile und kann zahlreiche Lösungen für drängende Probleme der modernen Welt anbieten.
CCU ist weit mehr als eine Technologie zur Kohlenstoffentfernung
In einer ganzheitlichen Betrachtung kann CCU mehrere Ziele der nachhaltigen Entwicklung gleichzeitig unterstützen und bietet eine ganze Reihe an Vorteilen:
- CCU liefert erneuerbaren Kohlenstoff, der fossilen Kohlenstoff in Sektoren ersetzt, in denen Kohlenstoff ein elementarer Rohstoff ist. Dadurch können die Güter und Dienstleistungen dieser Sektoren erhalten bleiben.
- Es ermöglicht die vollständige Defossilisierung der Chemie- und der daraus abgeleiteten Materialindustrie als eine der drei Optionen für erneuerbaren Kohlenstoff.
- Es verringert die verbleibende Emissionslücke durch die Bereitstellung von erneuerbarem Kohlenstoff in verschiedenen Industriesektoren. Durch das Ersetzen von fossilen Kohlenstoff und den damit verbundenen CO2-Emissionen verschiedener Industriesektoren verbleiben weniger Emissionen, die noch ausgeglichen werden müssen.
- Die Technologien tragen entscheidend zum Ausbau der erneuerbaren Energien bei, da die Technologie die Speicherung überschüssiger Energie in mobilen Energieträgern ermöglicht. Diese sind einfacher zu lagern, zu transportieren und zu verteilen sind als Wasserstoff und erlauben den Ausgleich von Überproduktion und Netzdestabilisierungen.
- Hochskalierte CCU-Technologien können bereits heute die Treibhausgas-emissionen von Kraftstoffen, Chemikalien und Materialien erheblich reduzieren. Neuere Studien geben Reduktionen von 50 – 90 % im Vergleich zu den etablierten fossilen Alternativen.
- Sie sind unverzichtbarer Bestandteil eines Kohlenstoffmanagements, da alle drei erneuerbaren Kohlenstoff-Rohstoffe benötigt werden, um nachhaltig Angebot und Nachfrage verschiedener Industriesektoren zu decken.
- CCU als Zukunftsindustrie schafft in vielen Bereichen Werte und treibt Innovationen an, was neue Geschäftsmodelle, Wirtschaftswachstum und Wohlstand ermöglicht.
- Sie ist unverzichtbar, um Scope-3-Emissionen zu reduzieren. Dort zählen auch genutzte Roh- und Ausgangsstoffe hinein, bei denen die Kohlenstoffaufnahme via CCU prinzipiell die Emissionen am Ende der Nutzungsdauer ausgleicht.
- CCU ermöglicht die regionale Selbstversorgung mit Kohlenstoff als Rohstoff, da erneuerbare Energien und Kohlenstoff aus industriellen Punktquellen oder der Atmosphäre überall auf der Welt eingesetzt werden können.
- Es fördert die Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe, weil es Kohlenstoff kreislauffähig potenziell in einem kontinuierlichen Kreislauf halten kann.
- Es ermöglicht langfristig ein System, in dem die zukünftige Technosphäre mit hohen Recyclingraten als Langzeitspeicher fungieren kann.
- CCU kann als Kohlendioxidabscheidung fungieren, wenn sie atmosphärischen oder biogenen Kohlenstoff nutzt und diesen Kohlenstoff langfristig in haltbaren Produkten oder sogar in kurzlebigen Produkten speichert, wenn die künftige Technosphäre als Langzeitspeicher dient.
- Die Technologien können sofort und ohne größere Investitionen in die Infrastruktur eingesetzt werden. Für viele CCU-Anwendungen ist lediglich eine lokale Infrastruktur für CO2 und der Zugang zu erneuerbarem Wasserstoff erforderlich. Die meisten der großen CO2-Emittenten könnten einen erheblichen lokalen Kohlenstoffbedarf bedienen.
- Die Einführung von erneuerbaren Energien und CCU ist schneller, billiger und umweltfreundlicher als die Kompensation von Emissionen durch CCS.
Zentraler Pfeiler für den Wandel der Chemie- und Materialindustrie
Die Entkopplung der chemischen Industrie von fossilem Kohlenstoff ist wohlmöglich die größte Herausforderung seit der industriellen Revolution, und wird durch die Verwendung von erneuerbarem Kohlenstoff ermöglicht. CCU ist dabei eine entscheidende Technologie, da sie die Substitution von fossilem Kohlenstoff in Sektoren ermöglicht, in denen Kohlenstoff langfristig benötigt wird, und die vollständige Defossilisierung der chemischen Industrie und der Grundstoffindustrie unterstützt. Ohne CCU als weiteres Standbein bleiben nur Recycling und Biomasse, um den gesamten nichtfossilen Kohlenstoffbedarf einer nachhaltigen, defossilisierten Zukunft zu decken – wobei nachhaltige Biomasse limitiert ist und Recycling technische Grenzen besitzt. Gemeinsam maximieren die drei Optionen jedoch das technologische Potenzial, um für jede Situation die bestmöglichen Lösungen zu finden, und ermöglichen die Schaffung einer Kreislaufwirtschaft für Kohlenstoff. Ein Verzicht auf CCU hätte zur Folge, dass die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen weiter anhält.
CCU benötigt erneuerbare Energie
Es ist wichtig zu betonen, dass die CCU diese Vorteile nur bieten kann, wenn die Technologie mit erneuerbarer Energie betrieben wird, weil ansonsten die Emissionen der benötigten Energie die Menge aufgefangenen Kohlenstoffs übersteigen können. Und die meisten CCU-Prozesse erfordern erhebliche Mengen an erneuerbarer Energie. Die Nutzung erneuerbarer Energien für CCU ist jedoch eine sinnvolle und verantwortungsvolle Anwendung, sowohl im Bereich der Chemikalien und Werkstoffe als auch im Luftverkehr und in der Containerschifffahrt. Für Chemikalien und Werkstoffe gibt es keine Alternativen zur Verwendung von Kohlenstoff in den Molekülen, und für den Luftverkehr und die Containerschifffahrt gibt es noch keine praktikablen Alternativen die nicht auf Kohlenstoff als Energieträger basieren. Derzeit werden mehr als 90 % des Kohlenstoffbedarfs dieser Sektoren durch fossilen Kohlenstoff aus dem Boden gedeckt, welcher die Hauptursache für den Klimawandel ist. In zukünftigen Szenarien eines vollständig erneuerbaren Energiesystems dürfte der Energiebedarf von CCU für den Chemie- und Werkstoffsektor lediglich 5 % der Gesamtnachfrage ausmachen, was im Vergleich zum derzeitigen Anteil dieser Sektoren an der Rohölnachfrage geringer ist. CCU ist daher eine strategische Schlüsseltechnologie für eine nachhaltige Zukunft.
Einsatz nur in begrenztem Umfang
CCU ist eine junge und energieintensive Branche mit nur wenigen klaren Befürwortern und limitierter Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie. Die Technologie konkurriert außerdem mit etablierten, hochentwickelten Industrien, die über mächtige Lobbys verfügen (z. B. fossile Industrien, Biokraftstoffsektor), und zwar über mehrere Produkte und Sektoren hinweg. Der starke Netto-Null-Fokus in der Politik veranlasst einige Interessengruppen außerdem dazu, die in Zukunft verbleibende Nachfrage nach Kohlenstoff als Rohstoff zu vernachlässigen - und daher nur auf kohlenstofffreie Energie und Kohlenstoffspeicherung der verbleibenden Emissionen zu drängen.
Des Weiteren fehlt es bisher an einer harmonisierten regulatorischen Unterstützung für CCU. Stattdessen existiert ein Flickenteppich aus regulatorischen Anreizen und Hindernissen. Dieser Flickenteppich fördert derzeit CCU für Brennstoffe und für die langfristige Speicherung, nicht aber für den einzigen Sektor, der einen eindeutigen langfristigen Bedarf an Kohlenstoffversorgung hat – Chemikalien und Materialien. Um die Entwicklung des gesamten Sektors der Kohlenstoffabscheidung zu fördern und die CCU zu einer zentralen Säule eines umfassenden Kohlenstoffmanagements zu formen, ist eine entsprechende Unterstützung durch die Politik erforderlich. Hier scheint in den letzten Monaten und Jahren zunehmend ein Umdenken stattzufinden.
Ansätze eines politischen Rahmens in der Europäischen Union
Die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen für CCU in Europa sind wie erwähnt bisher ungünstig, und im direkten Vergleich wird eher neidisch auf die USA geschaut, wo die Regierung Biden die Speicherung (CCS) und Nutzung (CCU) von CO2 mit Steuergutschriften massiv fördert. Künftig dürfte sich die Situation in der EU jedoch deutlich ändern. Das liegt zum einen an der massiven Informationsarbeit von Akteuren wie CO2 Value Europe (CVE) und der Renewable Carbon Initiative (RCI), welche die Bedeutung von CCU als Schlüsseltechnologie für eine nachhaltige Netto-Null-Zukunft umfassend herausgestellt haben. Auf der anderen Seite erkennt die Europäische Kommission zunehmend an, dass CCU für die Defossilisierung von Brennstoffen, Chemikalien und Materialien und für nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe erforderlich sein wird. Darüber hinaus wird auch zunehmend wahrgenommen, dass CCU eine technologische Alternative ist, welche die Nachfrage nach insgesamt begrenzter nachhaltiger Biomasse reduzieren kann. Infolgedessen wird in vielen neueren politischen Dokumenten die Notwendigkeit nachhaltiger Kohlenstoffkreisläufe und von Kohlenstoff als Rohstoff für Chemikalien und Materialien hervorgehoben, und dass CCU dabei eine Schlüsseltechnologie darstellt.
Aktuelle Dokumente wie die vorgeschlagenen EU-Klimaziele für 2040 (in denen auf die Entwicklung von CCU verwiesen wird, um den Einsatz nicht-fossiler Rohstoffe zu erhöhen), die Kommunikation zum industriellen Kohlenstoffmanagement (in der die Bedeutung von CCU für die Produktion von synthetischen Kraftstoffen, Chemikalien, Polymeren und Mineralien betont wird), die Kommunikation über eine Förderung der Biotechnologie und der Bioproduktion in der EU (in der hervorgehoben wird, dass das Angebot an nachhaltiger Biomasse schätzungsweise unter dem prognostizierten Bedarf liegt und daher zusätzliche Quellen wie recycelte Abfälle und abgeschiedener Kohlenstoff benötigt werden), den Net-Zero Industry Act (in dem CCU als Netto-Null-Technologie definiert wird), dem Zertifizierungsrahmen für dauerhafte Kohlenstoffentfernung (in welchem CCU für Kohlenstoffentfernung in langfristigen Produkten und Anwendungen von über 35 Jahren zertifiziert werden kann) oder im Kraftstoffsektor, wo die ReFuelEu-Initiative im Luftverkehr klare Quoten für synthetischen Flugkraftstoff von bis zu 35 % bis 2050 eingeführt hat.
Die oben genannten Regularien zeigen, dass Europa auf dem Gebiet der Kohlenstoffabscheidung und -nutzung voranschreitet und die Technologie als eine entscheidende Säule für das Erreichen von Netto-Null-Zielen und nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen ansieht. Wie schnell und umfassend diese vielversprechenden politischen Ansätze zur Integration und Unterstützung von CCU umgesetzt werden, hängt weitgehend von der nächsten Europäischen Kommission ab, die nach der Sommerpause ihr Amt antreten wird. Es ist zu erwarten, dass die Industriepolitik wieder eine stärkere Rolle spielen wird, basierend auf der wachsenden Erkenntnis, dass der Green Deal nur mit einer starken europäischen Industrie und Investitionen in innovative Technologien umgesetzt werden kann. Dies wäre für die Umsetzung der CCU sicherlich von Vorteil.
Der RCI ist der Ansicht, dass die oberste Priorität für Europa darin bestehen sollte, die Net-Zero-Emissionslücke zwischen verbleibenden Emissionen 2050 und dem dadurch notwendigen Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre so weit wie möglich zu minimieren und gleichzeitig die Kohlendioxidabscheidung als technologischen Notfallplan zu entwickeln, um unsere Klimaziele zu erreichen. Diese Ziele zu verfehlen, stellt schlichtweg keine Option dar, und deshalb müssen bewährte Technologien zur Kohlenstoffspeicherung entwickelt und skaliert werden. CCU ist hier eine enorm wichtige Technologie, welche allerdings mit massiven Investitionen in erneuerbare Energien und regulatorischer Weitsicht unterstützt werden muss.
Autoren:
Michael Carus, Gründer und Geschäftsführer, Nova-Institut und Renewable Carbon Initiative (RCI)
Christopher vom Berg, Geschäftsführer, Renewable Carbon Initiative (RCI)
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