Ein großer Schritt zur Operational Excellence
Automatisierung in der Prozessindustrie an der Schwelle zu Industrie 4.0
CHEManager sprach im Vorfeld mit Dr. Andreas Helget, Managing Director, Ralf Tormöhlen, Manager Industry Sales & Marketing und Wolfgang Höffken, Manager IA Product Sales von Yokogawa Deutschland. Das Gespräch führte Dr. Volker Oestreich.
CHEManager: Der abschließende Vortrag der NAMUR Hauptversammlung 2015, der immer auf den Sponsor der nächsten Hauptsitzung hinweist, stand unter dem Thema „Operational Excellence“ – wie wird Yokogawa dieser besonderen Herausforderung gerecht?
Dr. Andreas Helget: Schon im VigilantPlant-Konzept, das Yokogawa 2004 vorgestellt hat, stand Operational Excellence als zentrale Betreiberanforderung im Fokus. Yokogawa verfügte schon damals über ein breites Spektrum von Lösungen, Dienstleistungen und Produkten, um Betreiber dabei zu unterstützen, Operational Excellence zu erreichen und zu erhalten. Mittel und Wege haben sich allerdings in 12 Jahren signifikant verändert. Das liegt z. B. an der enorm gestiegenen Leistung der IT-Komponenten, an flexiblen Drahtlos-Systemen und an neuen Standards wie OPC/UA.
Auch der Zeitgeist hat sich gewandelt: Anlagenübergreifende, ja globale Vernetzung ist wichtiger denn je – Industrie 4.0 lässt grüßen!. Yokogawa hat bei alldem mitgewirkt, hat viele Entwicklungen aktiv getrieben und begleitet. Dazu zählt die Evolution der Bedienkonzepte für Leit- sowie Messsysteme – im Sinne einer „Ease of Interaction“, ebenso wie ausgereifte, leistungsfähige Algorithmen für die Prozessoptimierung. Auch revolutionäre Fortschritte zählen dazu, die neuartige Geschäftsmodelle wie „Data as a Service“ ermöglichen. So betreuen wir etwa automatisierungstechnisch die Installationen eines Kunden, die er wiederum bei seinen Kunden betreibt. Das Ziel ist Operational Excellence entlang ganzer Wertschöpfungsketten.
Industrie 4.0 stellt spezifische Anforderungen an unterschiedliche Unternehmen. „Kundenindividuelle Massenproduktion“ – der Ruf nach Spezialitäten, die ebenso schnell und ökonomisch wie Massenprodukte produziert werden, könnte in Fein- und Spezialchemie ähnlich bedeutsam werden wie in der Fertigungsindustrie. Wie trägt Yokogawa zu einer Lösung bei?
Ralf Tormöhlen: Generell wird Automatisierung mehr denn je zu einer Lebenszyklusaufgabe werden. Flexible Anlagen werden verfahrens-, aber auch automatisierungstechnisch noch dynamischer werden. Dafür schaffen wir Voraussetzungen: beim Anlagendesign und -engineering, aber auch in der Betriebsphase. So erlauben unsere Engineering-Werkzeuge die einfache Konfiguration und Rekonfiguration der Automatisierungskomponenten von Anlagenteilen, Package Units und Modulen, etwa mit Hilfe softwareseitig konfigurierbarer E/A-Karten.
Dabei ist der Automatisierungsgrad in der Prozessindustrie in den Industriestaaten bereits recht hoch. Das Ziel ist dann nicht nur mehr, sondern bessere, angemessenere Automatisierung – also nicht nur Quantität, sondern auch Qualität! Zum Beispiel erschließen hoch entwickelte Werkzeuge und Algorithmen zur Datenanalyse neue Wege, Prozessgeschehen bereits auf Basis vorhandener Daten besser zu erfassen und zu optimieren. PACE, unsere Platform for Advanced Control and Estimation, die wir gemeinsam mit Shell entwickelt haben, würde ich durchaus als APC 4.0 bezeichnen.
Ist APC, also Advanced Process Control, nicht eigentlich ein alter Hut?
Dr. A. Helget: APC gibt es seit Jahrzehnten, das ist richtig. Aber die technologischen, insbesondere IT-Rahmenbedingungen waren vor 20 oder 30 Jahren völlig anders. Wir können inzwischen viel mehr, wir können es schneller, einfacher, präziser – und preiswerter! Gerade die Modellgenerierung hat früher sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Das ist mit PACE viel einfacher und damit auch kostengünstiger. PACE nutzt zudem optimal die Potenziale der modernen Computertechnik. Kurz gesagt: Früher war APC ein großes, teures Projekt, heute ähnelt es eher dem Loop Tuning. Damit steigt die Attraktivität solcher Maßnahmen.
Ist Big Data eine Lösung aller dieser Probleme?
Wolfgang Höffken: Nicht unbedingt. „Big Data“ ist nicht gleichbedeutend mit „viel hilft viel“. Es geht vielmehr um geeignete Selektion, Priorisierung und Verdichtung. So lassen sich nützliche Informationen und Handlungsempfehlungen ableiten. Letztlich zählt nicht Datenmenge, sondern daraus gewonnenes, nutzbares Prozesswissen.
Schon auf der Ebene der Feldgeräte bieten wir vielfältige Lösungsangebote. Dazu gehören unsere so genannten Sushi-Sensoren, die schnell und einfach – ggf. auch nur temporär – genau die zusätzlichen Messdaten drahtlos zugänglich machen, die benötigt werden. Oder wir nutzen umfassend die Geräteintelligenz im Feld, etwa im Rahmen des „Total Insight“-Konzepts für unsere Coriolis-Massemesser Rotamass TI.
Was verbirgt sich hinter „Total Insight“ und welchen Nutzen erschließt dieses Konzept für den Anwender?
W. Höffken: „Total Insight“ sorgt für Transparenz und höchste Verfügbarkeit über den gesamten Geräte-Lebenszyklus hinweg. Das beginnt mit einem Softwaretool, das dem Anwender aufgrund seiner spezifischen Anforderungen das optimal geeignete Gerät aus unserem breiten Produktspektrum vorschlägt. Auf dem Weg zu einer maßgeschneiderten Messung begleiten wir den Anwender von der Konzeption der Messung über Installation und Inbetriebnahme bis zur Feinkonfiguration. Besonders stolz sind wir auf den „Total Health Check“, der die Wartung revolutioniert. Im laufenden Betrieb – ohne Prozessunterbrechung – liefert er innerhalb weniger Minuten ausführliche Statusinformationen der Geräte, die sich zudem selbsttätig überwachen und geeignete Wartungsintervalle ermitteln bzw. empfehlen können. Dies und mehr können sich Besucher der NAMUR-Hauptsitzung live in unserer Ausstellung erläutern lassen.
Immer mehr Daten und anspruchsvolle Datenverarbeitung sorgen für hohe und weiter wachsende Komplexität. Das wird oft zum Schreckgespenst – genau das wollen produzierende Betriebe doch eigentlich nicht.
R. Tormöhlen: Grundsätzlich darf Komplexität kein Selbstzweck sein! Sie muss Nutzen stiften. Dann lohnt es sich, Wege zu finden, um mit ihr umzugehen. Dabei kommen unsere Experten ins Spiel, die dem Betreiber viel Arbeit abnehmen können. Das beginnt schon mit einer Statusanalyse, die zeigt, wo man steht: im Vergleich zu ähnlichen Anlagen im eigenen Haus, aber auch beim globalen Wettbewerb. Unser Benchmarking liefert diese Erkenntnis auf der Basis anonymisierter Vergleichsdaten als Grundlage für zielgerichtete Optimierung.
Außerdem geben wir unseren Kunden nicht einfach eine Lizenz und eine DVD mit Software. Wir definieren gemeinsam ein Ziel, erarbeiten gemeinsam ein Konzept und lösen das Problem. Unser Serviceangebot geht weit über klassisches Troubleshooting hinaus. Mit unseren „Lifecycle Performance Services“ bieten wir dem Betreiber automatisierungstechnische Expertise über den gesamten Lebenszyklus seiner Anlage hinweg. Er wählt dazu exakt die Servicebausteine, die seine Anforderungen optimal erfüllen.
Schließlich entwickeln wir wirklich intuitive Bedienkonzepte – oft gemeinsam mit dem Anwender im Rahmen unseres „Co-innovating tomorrow“-Ansatzes. „Ease of interaction“ ist dabei mehr als ein Werbeslogan.
Die NAMUR fordert immer wieder eine konsistente und aktuelle Datenhaltung über alle Systeme und Engineering-Tools hinweg. Was wird nötig sein, um durchgängig und einheitlich kommunizieren zu können?
Dr. A. Helget: Wir müssen unterscheiden zwischen zentralen und peripheren Abläufen, aber auch zwischen Design- und Engineeringphase sowie Anlagenbetrieb: Betriebskritische Kernsystemen erfordern Echtzeit-Informationen und sind – zumindest teilweise – sicherheitsrelevant. Oft arbeiten sie auch heute noch unabhängig, also „stand alone“. Das wird sich nur langsam und in wohl überlegten Schritten ändern. Die Umsetzung der NE150 ist ein solcher, wichtiger Schritt. Dennoch wird aus Industrie 3.0 nicht über Nacht Industrie 4.0.
An den vertikalen Schnittstellen zu MES- und ERP-Systemen dagegen kann Datenaustausch zwar geschäftskritisch sein, ist aber eher unkritisch für den Anlagenbetrieb. Vorrangig geht es um einheitlich, strukturierte und synchronisierte Abläufe. Dafür hat Yokogawa Rahmenapplikationen wie RPO (Real-time Production Organizer) entwickelt. Hier setzen auch Internet-gestützte Geschäftsmodelle wie DaaS an, die mit der Akquisition der Industrial Evolution Inc. unser Servicespektrum erweitert haben.
Gerade beim Übergang von der Planungs- zur Betriebsphase ist die Synchronisation von Daten erfolgsentscheidend. Bei hoch dynamischen Anlagenstrukturen setzt sich dies in der Betriebsphase fort. Eine Kontextualisierung von Daten ermöglicht zudem den Einsatz etwa der „Augmented Reality“, die in Betrieb, Wartung und Instandhaltung Effizienzpotenziale erschließen kann.
Bei einer globalen Vernetzung von Betrieben, weltweitem Datenaustausch und Cloud-Computing stellt sich die Frage: Wie sieht es aus mit der Cyber-Security? Wie gewährleistet Yokogawa die Sicherheit der Prozesse?
R. Tormöhlen: Ohne Cyber-Sicherheit wird es kein Industrial Internet of Things (IIoT) in der Prozessindustrie geben. Um den Nutzen umfassend vernetzter Strukturen erschließen zu können, müssen wir zunächst Sicherheit gewährleisten.
Yokogawa verfügt dazu über hohe Fachkompetenz in allen Bereichen der Cyber-Sicherheit, von der physikalischen über Netzwerksicherheit bis hin zur Abwehr von Hacker-Angriffen und zu Backup-Strategien, vom Sicherheitsaudit bis zum globalen Sicherheits-Netzwerk. Eine solche integrierte Lösung haben wir mit unserem Kunden Shell und dem IT-Spezialisten Cisco entwickelt und bei Shell an bisher rund 30 Standorten weltweit implementiert. „SecurePlant“ ermöglicht die Fernüberwachung des IT-Sicherheitsstatus an diesen Standorten und die zentral gesteuerte und überwachte Aktualisierung von Clients und Servern, aber auch von Netzwerkkomponenten. Dank einer übergreifenden Kooperation mit verschiedenen Systemanbietern, darunter auch Wettbewerbern, ist sichergestellt, dass auch deren Systeme stets auf dem sicherheitstechnisch aktuellen Stand bleiben. „SecurePlant“ ist damit ein Paradebeispiel dafür, was Yokogawa unter „Co-innovating tomorrow“ versteht.
Wird die Zukunft also ausschließlich „remote“ sein?
W. Höffken: Sicher nicht! Auch E-Mail und Internet-Chats, Telefon- und Videokonferenzen haben Geschäftsreisen, Messen oder Kundenbesuche nicht überflüssig gemacht. Und natürlich gibt es Aufgaben, die nur ein Techniker vor Ort lösen kann. Um allen diesen Anforderungen gewachsen zu sein, verfügt Yokogawa über ein weltweites Service-Netzwerk. So steht etwa den Betreibern unserer Analysensysteme, zum Beispiel des Gaschromatographen GC8000 oder des durchstimmbaren Diodenlasers TDLS8000, ein ganzes Spektrum von Serviceleistungen offen – von der Anwendungsberatung und Messkonzeption über Implementierung bis zu Schulung und Wartung. Es umfasst bedarfsgerecht vom Helpdesk über Fernüberwachung bis zum Technikerbesuch alle Serviceleistungen und wird zentral im Rahmen unserer Analysator-Systemintegration (ASI) gesteuert.
Um Vor-Ort-Einsätze optimal vorzubereiten und den Techniker schon im Vorfeld mit möglichst vielen Informationen zu versorgen und eventuell benötigtes Material bereitstellen zu können, setzen wir auf ein globales Informationsnetzwerk. Das hilft nicht zuletzt, Kosten zu sparen. Die Devise ist also nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“.
Abschließende Frage: Auf welches Highlight dürfen sich die Teilnehmer der NAMUR-Hauptsitzung 2016 besonders freuen?
Dr. A. Helget: Ich denke, dass wir mehr als ein Highlight zu bieten haben: in den Vorträgen, Workshops und besonders auch in der Ausstellung. Drei Aspekte ragen meiner Meinung nach heraus: Was das Leitsystem betrifft, ist das die Öffnung des Systembus für die herstellerübergreifende Kommunikation und Interaktion. Dabei bleiben Systemintegrität und speziell die Rückwirkungsfreiheit peripherer Systeme selbstverständlich gewahrt. Zugleich stellen wir Lösungen vor, um das Internet der Dinge nutzbringend und vor allem sicher handhaben zu können. Und schließlich erscheint mir „Data as a Service“ als Königsweg für „Data Analytics“ und speziell „Big Data Analytics“, – weit über klassische KPI-Indikatoren hinaus. Auch das werden wir vorstellen.
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