Holistischer Ansatz statt Einzeloptimierung
Die Kombination von PAT und APC kann in der Produktion für Mehrwert sorgen
Advanced Process Control (APC) und Prozessanalysentechnik (PAT) stellen unabhängig voneinander technische Methoden für die Produktionsoptimierung in der Prozessindustrie zur Verfügung. Während die Prozessregelung typischerweise für den stabilen Betrieb der Anlage sorgt, ist das Ziel der APC häufig eine optimale Fahrweise der Anlage. Die Methoden der PAT hingegen werden typischerweise für die Qualitätssicherung eingesetzt. Die Kombination der Messwerte der PAT mit Methoden der APC kann in der Produktion für einen großen Mehrwert sorgen.
APC als gehobene Methode der Prozessführung wird in der Regel optional und zusätzlich zu den grundlegenden Prozesssteuerungen eingesetzt und wird meist nachträglich hinzugefügt, oft im Laufe vieler Jahre, um bestimmte Leistungs- oder wirtschaftliche Verbesserungsmöglichkeiten im Prozess zu nutzen. Während die Prozessregelung typischerweise für den stabilen Betrieb der Anlage sorgt, ist das Ziel der APC häufig eine optimale Fahrweise der Anlage. Dazu gehört immer mehr auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen und Deep Learning.
PAT wurde im Jahr 2004 von der FDA als Programm zur Qualitätssicherung in der pharmazeutischen Industrie ins Leben gerufen. Es wurden Mechanismen definiert, die pharmazeutische Herstellungsprozesse durch das Messen und Auswerten kritischer Prozessparameter entwerfen, analysieren und kontrollieren sollen. Die Methoden der PAT werden heute in der Prozessindustrie typischerweise für die Qualitätssicherung eingesetzt.
Die NAMUR Arbeitskreise AK 2.2 „Prozessführung“ und AK 3.6.3 „PAT-Innovationen“ haben jetzt mit Verfassern von Bayer, Covestro, Evonik und Ineos unter dem Titel „Beschreibung der Schnittstelle APC / PAT“ ein gemeinsames Positionspapier zu diesem Thema veröffentlicht.
„Das NAMUR-Dokuments soll eine strukturierte und effiziente Zusammenarbeit zwischen APC und PAT herbeizuführen.“
Zusammenarbeit statt Silo-Denken
Das Kernziel einer Produktionsanlage in der chemischen Industrie ist die kosten- und ressourcenoptimale Herstellung des gewünschten Produkts in gewünschter Qualität und Reproduzierbarkeit. Üblicherweise stellen dafür die Fachbereiche Advanced Process Control und Prozessanalysentechnik unabhängig voneinander technische Methoden zur Verfügung. Während die Prozessregelung typischerweise für den stabilen Betrieb der Anlage sorgt, ist das Ziel der APC häufig eine optimale Fahrweise der Anlage. Die Methoden der PAT hingegen werden in der Regel für die Qualitätssicherung eingesetzt.
Die Kombination der Messwerte der PAT mit Methoden der APC kann in der Produktion für einen großen Mehrwert sorgen. Da beide Fachabteilungen sich möglicherweise in getrennten Organisationsbereichen finden, APC z.B. im Umfeld der Prozessleittechnik, PAT z.B. im Umfeld der Verfahrenstechnik, ist dieser Mehrwert nicht immer leicht zu heben. Es besteht daher ein Bedarf zur Beschreibung der Zusammenarbeit und Schnittstellen zwischen diesen beiden Fachabteilungen.
Der konkrete Nutzen der Prozessführung auf der Basis online-analytischer Methoden kann sich aus den folgenden Komponenten zusammensetzen:
- gleichmäßige Produktqualität auf hohem Niveau, wie z.B. verbesserte Reinheit und Farbzahl
- Kapazitätssteigerung der Gesamtanlage
- deutliche Reduktion der benötigten Zahl von Laboranalysen
- wesentlich verbesserte Bedienbarkeit und Betriebsstabilität der Anlage
- Beitrag zur Verringerung der CO2-Emission
In der reifen Industrie Europas finden viele Projekte an bestehenden Anlagen statt, die vom Betrieb initiiert werden. Bei diesen Optimierungsprojekten in Brownfield-Anlagen kommt es immer wieder dazu, dass nur eine der beiden Fachbereiche involviert wird. Da aber nur beide Expertisen zusammen das beste Optimierungsergebnis liefern und getrennte Arbeit oft zu Doppelarbeit führt, ist es wichtig, von Anfang an koordiniert zu handeln.
Werden neue Greenfield-Anlagen gebaut, bei denen die einzelnen Schritte der Planung und Projektabwicklung in der Regel durch firmeninterne Vorgaben detailliert beschrieben werden, kann die Einbeziehung und Zusammenarbeit der Fachabteilungen APC und PAT in einer frühen Phase von Vorteil sein. Unternehmen sollten daher in der Projektabwicklung die Einbeziehung der beiden Abteilungen passend vorsehen.
„Ein detaillierter Austausch der technischen, organisatorischen und kaufmännischen Themen ist für den Erfolg unverzichtbar.“
Organisation gemeinsamer Projekte von PAT und APC
Das NAMUR-Dokuments soll dazu beitragen, eine strukturierte und effiziente Zusammenarbeit zwischen APC und PAT herbeizuführen. Für diese Zusammenarbeit sind folgende Fragen von Bedeutung:
- Wie stellt man eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit sicher?
- Wie sieht ein gemeinsames Projekt von APC und PAT technisch aus?
- Welche Informationen müssten zwischen beiden Welten ausgetauscht werden, um zu sinnvollen Ergebnissen zu kommen?
- Wie sieht ein Arbeitsmodell für die Projektabwicklung und Zusammenarbeit aus?
- Wie verändert ein gemeinsames Projekt möglicherweise die einzeln ausgeführten Projekte und worin besteht der Mehrwert?
Für den PAT-Teil ergeben sich zusätzliche Fragen hinsichtlich Genauigkeit, Langzeitstabilität und Echtzeitfähigkeit der Messungen, die einen Einfluss auf die APC-Regelung haben.
Ebenso könnte der Wunsch nach der Messung weiterer Komponenten oder die Bereitstellung weiterer Signale (z.B. Statussignale oder Gültigkeitsbereiche) den PAT-Scope verändern. Für den APC-Teil ist relevant, dass die Datenkommunikation und die entsprechende Einbindung der nötigen Systeme ins Prozessleitsystem gegeben sind.
Für den erfolgreichen Projektabschluss werden weitere Gewerke benötigt. Insbesondere muss die PLT, die sich um die Datenkommunikation kümmert, in die Ressourcen- und Zeitplanung einbezogen werden. Der organisatorische Ablauf muss Raum für alle nötigen Projektphasen lassen. So ist bspw. die finale Kalibrierphase komplexer spektroskopischer Methoden mit chemometrischer Modellierung in der Regel erst nach Inbetriebnahme möglich. Dementsprechend können für die Planung von APC-Sprungversuchen die zur Verfügung stehenden Ressourcen im QM-Betriebslabor als Referenzanalytik für die PAT-Kalibration von großer Bedeutung sein.
Im Rahmen der Integration von Online-Analytik in die Prozessführung gilt bei gemeinsamen Projekten, dass sich technische Anforderungen von APC und PAT gegenseitig bedingen können. Dementsprechend ist es wünschenswert, wenn die Implementierungsstrategie um die Durchführung einer FMEDA (Failure Mode, Effects and Diagnostic Analysis) im Vorfeld der Kosten-Nutzen-Rechnung erweitert wird.
Informationsaustausch zwischen allen Projektpartnern
Um in einem gemeinsamen Projekt zu sinnvollen Ergebnissen zu kommen, müssen neben dem detaillierten Austausch der technischen Inhalte zunächst die organisatorischen und kaufmännischen Inhalte geklärt werden:
- Es ist festzulegen, wer die jeweiligen Ansprechpartner auf den jeweiligen Seiten sind und wer für was im Projekt zuständig ist. Hier hilft eine Projektcharta.
- Die Kosten einer PAT-Messung können bis zu 50 % eines APC-Projektes betragen und beeinflussen die Projektgenehmigung maßgeblich. Hier sollte im Vorfeld eines Projektantrags grob abgeschätzt werden, was die PAT-Messung kostet und welchen Benefit das APC-Projekt mit und ohne PAT-Messung hat.
- Die Bestellung, Lieferung und Einbau einer PAT-Messung kann oft Monate in Anspruch nehmen. Des Weiteren kann eine PAT-Messung sehr oft nicht im laufenden Betrieb eingebaut werden und es ist ein Stillstand der Anlage nötig. Dies kann ein APC-Projekt deutlich verzögern.
- Die gemeinsame Auswahl des Einbindungspunktes der Messung in den Prozess ist für ein optimales Ergebnis essenziell. Hierbei müssen nicht nur das Messergebnis betrachtet werden, sondern auch die Machbarkeit und die Kosten.
- Es ist oft so, dass die Abteilung APC ihre Bedarfe vorgibt und die Abteilung PAT sagt, was messtechnisch realisierbar ist. In vielen Fällen passen die Bedarfe und die Möglichkeiten überein. Passen diese nicht überein, so müssen ggf. alternative Möglichkeiten oder aufwändigere Lösungen betrachtet oder auf einen Teil der Bedarfe oder des Benefits verzichtet werden.
- Frühzeitig sollten zwischen PAT und APC grundlegende Anforderungen und Bedingungen ausgetauscht und protokoliert werden wie
- zu messende Komponente/n im Produktstrom und Eigenschaft des Produktstroms
- Messbereich, Einheit, Nachweisgrenze und Auflösung der Messung
- Zykluszeit der Messung: Wie oft muss (APC) und kann (PAT) eine Messung erfolgen
- Status der Messung, z.B. Ausfall, Funktionskontrolle, außerhalb der Spezifikation, Wartungsbedarf.
„APC-Modelle sind teilweise in der Lage, kurzfristige Probleme der PAT-Messung aufzudecken oder auszugleichen.“
PAT-Messungen müssen in der Regel aufgrund ihrer Komplexität häufiger gewartet und kalibriert werden. Die Messung steht dann der APC-Anwendung nicht zur Verfügung, wofür eine Rückfallstrategie gebraucht wird. Alle Seiten müssen die Häufigkeit und Dauer der Wartung und deren Auswirkungen kennen.
APC-Anwendungen sind über ihre Modelle teilweise in der Lage, kurzfristige Probleme der PAT-Messung aufzudecken oder auszugleichen. Mit der richtigen Prüfung der PAT-Messung vor dem Einsatz in der APC können Schwingungen, „eingeschlafene“ Messungen oder Messungen, die stark rauschen, entdeckt werden.
Fazit
Optimierungsprojekte in Brownfield-Anlagen – insbesondere in der reifen Industrie Europas – erfordern ein koordiniertes Handeln von APC und PAT, um ein möglichst gutes Ergebnis zu erreichen. Das gemeinsame Projektziel – chemische Prozesse möglichst effizient, ressourcenschonend, reproduzierbar und mit der größtmöglichen bzw. geforderten Produktqualität fahren zu können – sollte zu Projektbeginn zunächst gemeinsam betrachtet werden. Durch den holistischen Ansatz kann der Ist-Zustand in der Regel besser optimiert werden als durch die Summe der Einzelmaßnahmen. Durch die gemeinsame Bearbeitung durch APC und PAT entsteht ein Mehrwert entweder unmittelbar nach der Implementierung der Maßnahmen oder durch eine höhere Robustheit bzw. Einregelbarkeit des Prozesses bei zukünftigen Veränderungen.
Autor: Volker Oestreich, CHEManager