Logistik & Supply Chain

Digitalisierung und Vernetzung: „Daten – das Öl der Neuzeit?“

BVL Forum Chemielogistik 2016 in Marl zum Thema „In Echtzeit vernetzt“

06.09.2016 -

Digitalisierung macht auch vor der Chemielogistik nicht halt. In vielen Bereichen wird sie sogar zum erfolgsentscheidenden Faktor. Dies zeigten die zahlreichen, spannenden Vorträge aus der Praxis beim diesjährigen BVL Forum Chemielogistik in Marl bei Gastgeber Evonik. Bereits zum vierten Mal hatte die Bundesvereinigung Logistik BVL Fachleute und Interessierte aus der chemischen Industrie sowie dem Chemielogistikumfeld eingeladen, um ihnen Gelegenheit zu bieten, sich bei Vorträgen, in Fachgesprächen und in der begleitenden Fachausstellung zu informieren bzw. auszutauschen.

 „Schön, dass Chemielogistik in der BVL eine Heimat gefunden hat“, so begrüßte Prof. Thomas Wimmer, Vorsitzender der Geschäftsführung der BVL, die rd. 180Teilnehmer zum 4. Forum Chemielogistik der Bundesvereinigung Logistik in Marl. Als erster Vortragender hatte der Gastgeber in Person von Dr. Franz Merath, Head of BL Logistics bei Evonik die Gelegenheit, den Standort und hier vor allem den Status Quo in Sachen „Digitalisierung bei Evonik“ vorzustellen. Generelle Chancen auf zusätzliche Effizienzsteigerungen sieht er durch die digitalen Technologien und Markttrends wie z.B. dynamischere Produktlebenszyklen oder die Nachverfolgbarkeit von Lieferungen: „Amazoning ist das, was kommen muss.“ In der Chemieindustrie sei der Digitalisierungsgrad noch nicht so weit fortgeschritten (lt. Accenture 2016), die nötige digitale Transformation benötige hier Prozessoptimierungen und Innovationen in Geschäftsmodelle. „Wer hat in zukünftigen Märkten das Sagen?“ Hier sei Kontrolle der Supply Chain das Entscheidende. „Der Kern ist das Event Management.“ Hierzu hat Evonik eine Transportmanagement Initiative aufgesetzt, die alle wesentlichen Logistikprozesse unterstützt und das Sitemanagement sowie End-to-End-Prozesse einschließt. Laut Merath wird Digitalisierung zu Kollaboration führen, denn gemeinsame Lösungen seien zu suchen.

Denken in Lösungen

Ralf Busche, Senior Vice President Supply Chain, BASF sprach im Anschluss über „Best Practice of Digitalization”. Bei BASF seien sechs Verbundstandorte in Einklang zu bringen und mit hoher Komplexität umzugehen. Man könne „nicht einfach traditionell auf die Dinge sehen“, denn digitale Trends wie 3D-Printing, Big Data oder Cloud Computing beeinflussten auch die Chemie. Die BASF-Value Chain fordere ein Denken in Lösungen, und dies nicht in einzelnen Produkten sondern in der Abbildung der gesamten Supply Chain. „Die Daten sind das Öl der Neuzeit“, so sein Credo.

„Digitalisierung braucht die richtige Infrastruktur“, war der Vortrag von Gerd Deimel, Vorsitzender VCI Ausschuss Logistik und Verkehr, Sprecher VCI initiative Infrastruktur betitelt. Industrie 4.0 dürfe nicht nur zum Selbstzweck stattfinden, sondern müsse einen konkreten Kundennutzen beinhalten. Deimel ging auf einige konkrete Ansätze der Digitalisierung der Supply Chain und Logistik der chemischen Industrie ein, wie z.B. das Zukunftsthema  „autonome Transporte“, Platooning oder die Planung und Steuerung der letzten Meile. Die Supply Chain Automatisierung stelle hierbei auch Anforderungen an die Infrastruktur, bei deren Neubau Mehrwert zu berücksichtigen sei. Die Einführung Europäischer Standards sei von Nöten. Allgemein sieht Deimel zum Themenkomplex Digitalisierung durchaus Aufbruchsstimmung in der Chemieindustrie.

Dem ersten Vortragsblock folgte unter dem Tagungstitel „In Echtzeit vernetzt – Digitalisierung in der Chemielogistik“ eine Podiumsdiskussion. Teilnehmer der Runde waren Dennis Bandow, Head of Logistics Solutions bei Evonik, Dr.-Ing. Frank Jenner, Managing Partner/Advisory Services – Strategy and Operations bei Ernst & Young, Frauke Heistermann, Mitglied der Geschäftsführung von Axit sowie Thomas Zink, dem Studienleiter der DAV Deutsche Außenhandels- und Verkehrs-Akademie, BVL Campus. Die Diskussion leite Prof. Wimmer. Diskutiert wurde u.a. wie sich Digitalisierungsprojekte konkretisieren lassen, z.B. in satellitengesteuertem Tracking&Tracing, welche Spielregeln für den Umgang mit Daten gelten oder wie dies an den Nachwuchs vermittelt wird. Es würde vor allem Prozessverständnis vermittelt, erklärte Zink. Auf die konkrete Frage, wem letztlich die Daten gehören, äußerte Heistermann: „Abschotten geht nicht mehr, es stellt sich vielmehr die Frage: Mit wem tausche ich die Daten?“

Digitalisierung konkretisiert

Auf die Nachmittagssequenzen stimmte Anja Theisen, Projekt- und Prozessmanager, Vertrieb und Logistikinnovation, Chemion Logistik mit einem mitreißenden Vortrag ein. Unter dem Titel „Auf dem Weg zur digitalen Chemielogistik: Automatisierte Echtzeit-Transportabwicklung im Chempark“ stellte die Referentin das Projekt Gate, dessen Einführung, Inbetriebnahme und erste Erfahrungen damit in den Chemieparks an den Standorten Leverkusen, Dormagen und Uerdingen vor. Durch die Einführung des Transportabwicklungssystems Flow ließ sich die durchschnittliche Abfertigungszeit von 60 Min auf ca. 17 Min reduzieren. Das System hatte man u.a. auch deshalb gewählt, weil es im Drive-System der BASF bereits Einsatz fände und eine Standardisierung einfach Sinn mache. Der Prozess soll künftig auf die Warenverfolgung und Containerverkehre ausgedehnt werden.

„Yard-Management und Echtzeitsteuerung am Beispiel eines Raffineriestandortes“ erwartete das Publikum im Referat von Klaus Stilber, Betriebsassistent Planung und Logistik bei H&R Lube-Blending. Auch hier klang das Thema Verladungskontrolle an. Eingesetzt wird das System Syncro Supply. Die Anmeldung erfolge heute noch manuell, eine automatisierte à la Chemion sei noch Zukunft, würde aber angestrebt. Die Anforderungen an die digitale Lösung waren die Planung der Be- und Entladezeiten, die Steuerung aller Fahrzeugbewegungen sowie die Dokumentation aller Vorgänge. Die Ergebnisse hätten die Erwartungen übertroffen, alle Prozesse wurden optimiert, die Durchlaufzeiten verkürzt und Kennzahlen ließen sich ermitteln.

Prof. Michael Dröscher, Clustermanager Chemie.NRW, Vorsitzender Chemsite Initiative und Prof. Carsten Suntrop, Geschäftsführender Gesellschafter CMC², Europäische Fachhochschule Rhein/Erft stellten unter dem Vortragstitel „Vorbildliches aus der Region“ die Marktstudie „Chemielogistik im Ruhrgebiet“ vor. Die Branchenstruktur, Rahmenbedingungen sowie die Wertschöpfungskette konnten dabei abgebildet werden. Die Chemielogistik-Infrastruktur sei im Ruhrgebiet sehr gut ausgeprägt, allerdings auch extrem ausgelastet. Die Pipeline stelle das wichtigste Beförderungsmittel dar. Eine bemerkenswerte Erkenntnis der Studie sei die Tatsache, dass die Logistikkosten teilweise höher als die Produktionskosten lagen (ca. 640 – 900 Mio. EUR). Ein Fazit der Studie lautet: Die gute Vernetzung der zahlreichen Standortfirmen ist essentiell für die Region - Kollaboration sei künftig wichtig.

Herausforderungen der Digitalisierung

Unter dem Titel „Meilensteine auf dem Weg in die Digitalisierung” stellte Dr. Bernhard Schaffrik, Digital Ideation & Business Development bei Merck Group die Initiative „Digitizing Merck“ vor. In Life Sciences und Healthcare Märkte drängen zunehmend „Digital component“-Produkte. Merck hatte 50.000 Mitarbeiter auf gefordert an der Initiative teilzunehmen und 450 Ideen zu digitalen Produkten wurden initiiert. Hieraus seien 40 Leuchtturmprojekte ausgewählt worden, die in der Aktion „Hackaton“ in Darmstadt schließlich zu neun Leuchtturmprojekten herunterdestilliert worden seien, die man konkret angehen will. Das Unternehmen setze stark in eigene Innovation Think Tanks mit interdisziplinären Teams und unterstütze bspw. mit dem „Merck accelerator“ Start-ups oder internationale Projektteams.

Den Abschluss des Forum-Tages bildete der Vortrag „Digitalisierungsherausforderungen in der Logistik” von Michael Schneiderhahn, Director Information Technology, und Markus Höflein, Leiter Logistikplanung, Technischer Einkauf & Logistik, beide Wacker Chemie. Sie sehen die Digitalisierung als Hilfsmittel, Logistik optimal umzusetzen sowie die zunehmende Komplexität und steigende Kundenanforderungen beherrschbar zu machen. Es seien bereits diverse Lösungsansätze digitaler Art vorhanden, aber es fehle noch am Zusammenfügen in einen Gesamtprozess. Digitalisierung dürfe kein Selbstzweck sein. Die beiden Referenten erläuterten dies an Beispielen aus dem eigenen Unternehmen und gingen auf produktionsnahe Logistik näher ein. Aus Sicht des Verladers würden die Herausforderungen u.a. in Offenheit und Wille zum Datenaustausch aller Beteiligten und einer intelligenten Verknüpfung der definierten Daten liegen.

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