Märkte & Unternehmen

Digitalisierung macht Kreislaufwirtschaft möglich

Interview mit Walter Grüner, CIO bei Covestro

17.05.2023 - Covestro-CIO Walter Grüner sieht Digitalisierung als einen wesentlichen Baustein in der Unternehmensstrategie, um den Leverkusener Hersteller von Polymerwerkstoffen vollständig auf die Kreislaufwirtschaft auszurichten.

Mithilfe der Digitalisierung können Produktion, Forschung & Entwicklung und Logistik sicherer und effizienter gemacht werden. Moderne Computertechnologien unterstützen bei schnelleren Innovationsprozessen. Stefan Gürtzgen befragte Walter Grüner im Rahmen der CHEManager-Serie über die Digitalisierungsstrategien namhafter Chemie- und Pharmaunternehmen, welche Rolle die IT hierbei einnimmt und welche Technologien für ihn dabei eine zentrale Rolle spielen.

CHEManager: Herr Grüner, alle reden von digitaler Transformation. Welche Bedeutung hat die Digitalisierung für die zukünftige Ausrichtung von Covestro?

Walter Grüner: Digitalisierung ist ein zentraler Bestandteil, um unsere Vision von der Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen. Sie verändert die Art und Weise, wie wir in der Chemie Innovationen schaffen und Geschäft machen. Und das sehen wir als große Chance. Wir wollen hin zur digitalen Transformation und eine stärker datenfokussierte Unternehmensteuerung erreichen. Das heißt, wir wollen ganz neu denken, wie Technologie, Menschen und Prozesse ineinandergreifen. Aktuell liegt unser Fokus dabei zunächst auf den drei Bereichen, in denen wir den größten Wert für unser Geschäft sehen: Produktion, Forschung & Entwicklung sowie Lieferkettenmanagement.

Wo sehen Sie konkrete Ansatzpunkte zur Dekarbonisierung der Wertschöpfungsketten mit Hilfe von Digitalisierung?

W. Grüner: Es reicht nicht, nur die IT grün zu machen. Wir müssen mit Hilfe der Digitalisierung unsere Industrie nachhaltiger gestalten. Das ist der große Hebel. Wenn wir über die Entwicklung von einer linearen zur zirkulären Wirtschaft sprechen, ist eine Sache immer wieder sehr deutlich: Es braucht Transparenz. Das erreichen wir vor allem über Daten. Durch Daten werden Dinge messbar und damit optimierbar. Diese Transparenz durch Daten hilft, zu entscheiden, wo die größten Hebel sind, auch um nachhaltiger zu werden. So können wir bewusste Entscheidungen im Sinne der Kreislaufwirtschaft treffen. Das gilt für Produktions- und Emissionsdaten genauso wie für Produktdaten. In Zukunft werden wir Lebenszyklusanalysen digital erstellen und unseren Kunden zur Verfügung stellen können.

Wie könnte sich das in der Praxis auswirken?

W. Grüner: Stellen Sie sich einmal vor, wir würden entlang der gesamten Wertschöpfungskette die gleichen Daten nutzen und in einer Art Produktausweis Informationen über Materialien, ihre Zusammensetzung und ihren CO2-Fußabdruck nachverfolgen. Dann könnten wir auch über Simulationen herausfinden, an welcher Stelle der Wertschöpfungskette wir die Nachhaltigkeit der Produkte am ehesten steigern können. Das würde die Weiterverwertung am Ende eines Lebenszyklus sehr viel einfacher machen. Erste Ansätze dafür existieren bereits sowohl bei uns als auch in der Industrie. Heute hilft bereits digitale Forschung & Entwicklung durch Simulationen dabei, Innovationen zu schaffen und Treibhausgasemissionen von vornherein zu vermeiden. Aufgrund der breiten Datenlage finden sich möglicherweise auch ganz neue Lösungen für Produktinnnovation. Hier setzen wir bei Covestro auf das Zusammenspiel von KI und High-Performance Computing. Bald dann hoffentlich auch auf Quantencomputing. In der Produktion ermöglichen vernetzte und automatisierte Maschinen sowie KI-gestützte Programme die Optimierung von Produktionsabläufen und somit die effizientere Nutzung von Ressourcen, beispielsweise durch vorausschauende Wartung.

 

„Digitalisierung ist ein zentraler Bestandteil, um unsere Vision von der Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen.“

 

In welchen Bereichen haben Sie die digitale Transformation bereits umgesetzt?

W. Grüner: Wir haben als eines der ersten Unternehmen der Branche unsere gesamte IT-Landschaft in die Cloud gezogen. Mit der erfolgreichen Migration in die Covestro Cloud haben wir ein starkes Fundament für unsere digitale Transformation gelegt, denn wir haben darauf geachtet, alle Anwendungen auch für die künftige Nutzung in der Cloud zu optimieren. Insbesondere in der Produktion spüren wir die Vorteile dieser konsequenten Umsetzung bereits deutlich. Wir haben beispielsweise digitale Abbildungen unserer Produktionsanlagen erstellt, die wir mittels Cloud- Technologie auf Knopfdruck vervielfachen können. Das vereinfacht uns den schnellen und kostengünstigen Bau neuer Anlagen auf der ganzen Welt. In Forschung & Entwicklung arbeiten wir mit High Performance Computing. So können wir Reaktionen vorab simulieren und müssen nicht mehr jeden Versuch physisch umsetzen. Das reduziert Komplexität bei der Produktentwicklung und beschleunigt den technischen Service für unsere Kunden.

Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung?

W. Grüner: Für mich gibt es drei wichtige Erfolgsfaktoren: Menschen, Zusammenarbeit und Agilität. Ein zentraler Bestandteil unserer Digitalstrategie ist es, die digitalen Kompetenzen unserer Mitarbeitenden nach und nach auszubauen. Jeder kann so die Reise in die digitale Zukunft mitgestalten. Das erreichen wir aktuell vor allem über gemeinsame Projekte, sprich interdisziplinäre Zusammenarbeit. Um die digitale Transformation erfolgreich umzusetzen, kann und muss jede und jeder Einzelne von uns Ideen einbringen und überlegen, wie wir mit digitalen Lösungen Mehrwert für das Unternehmen und so auch für die Gesellschaft schaffen können. Das erfordert, dass jede und jeder Zugang zu den entsprechenden Technologien und auch zu dem Wissen über diese Technologien hat. Dieser Wissenstransfer ist am einfachsten im gemeinsamen Arbeitsprozess zwischen IT und Fachabteilungen zu erreichen.

Der dritte Erfolgsfaktor ist für mich Agilität. Die Welt der Digitalisierung dreht sich so schnell, dass wir uns immer wieder umschauen müssen, welche neuen Technologien entstehen und welchen Wert sie für das Unternehmen haben können. Wir bewerten also immer wieder neu, wo wir mit der Transformation heute stehen und ob unser Ziel noch stimmt und passen gegebenenfalls unsere Vorgehensweise an.

 

„Ein zentraler Bestandteil unserer Digitalstrategie ist es, die digitalen Kompetenzen unserer Mitarbeitenden nach und nach auszubauen.“

 

KI, Blockchain, IoT oder Quantencomputing sind alles wichtige Technologien. Welche spielen für Covestro die bedeutendste Rolle?

W. Grüner: Jede Technologie bringt ihre ganz eigenen Vorteile für den Einsatz in der chemischen Industrie mit. Eine der wichtigsten Technologien ist für mich die künstliche Intelligenz. Datenbasierte Lösungsansätze und lernende Systeme spielen seit Jahren eine immer größere Rolle und wir nutzen sie in vielen Bereichen auch bereits sehr erfolgreich. Beispielsweise für die Instandhaltungsplanung und Optimierung von Rohstoffeinsätzen in der Produktion. Für mich ist die chemische Indus­trie prädestiniert für den Einsatz von KI, weil es so viele sehr komplexe Prozesse gibt, die sich nur schwer vollständig durch Regeln beschreiben lassen. Damit eignen sich diese Prozesse nicht für die reine Automatisierung, sondern es braucht lernende Systeme, denen wir Entscheidungsautonomie einräumen müssen. Wir setzen dabei vor allem auf die Entwicklung von Systemen, die komplementär zum Menschen arbeiten und seine Fähigkeiten unterstützen.

Darüber hinaus finde ich Quantencomputing sehr vielversprechend. Wir gehen davon aus, dass die Chemie einer der ersten Bereiche sein wird, in dem Quantencomputing erfolgreich zum Einsatz kommen wird. Aus diesem Grund sind wir eine strategische Partnerschaft mit Google eingegangen, um das Thema weiter voranzutreiben. Natürlich beschäftigen wir uns aber auch mit den Themen Augmented Reality und Virtual Reality. Diese Technologien sind sehr wertvoll für den Einsatz in der Produktion beispielsweise bei Remote-Assistance-Systemen, aber auch für Sicherheitsrundgänge und Trainings.

Wie digital wird die chemische Industrie in fünf Jahren sein?

W. Grüner: Unsere Vision ist, die Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen. Digitalisierung ist ein elementarer Bestandteil. Aus diesem Grund haben wir uns sehr ambitionierte Ziele für die Digitalisierung gesetzt. Wir wollen in den kommenden Jahren vollvernetzte Produktionsanlagen schaffen und unsere Innovationskraft mithilfe von computergestützter Chemie, Datenwissenschaften und Simulation auf das nächste Level heben.

Insgesamt mit Blick auf die chemische Industrie würde ich sagen, werden wir vor allem große Sprünge bei den Betriebsmodellen, also der Digitalisierung der Produktion, sehen. Hier wird aktuell ganz intensiv investiert.
Erste digitale Geschäftsmodelle sehen wir auch schon auf dem Markt. Ich beobachte das mit großer Freude, denn nur wenn sich die Industrien vernetzen und wir gemeinsam in die digitale Zukunft gehen, werden wir auch gemeinsam den Weg in die Kreislaufwirtschaft schaffen. Um diese Digitalisierungsziele zu erreichen, brauchen wir aber vor allem auch unsere Mitarbeitenden. Das heißt, wir müssen in Aus- und Weiterbildung investieren. Wir müssen den Wandel hin zu einer Unternehmenskultur schaffen, die Daten und Digitalisierung als Chance ansieht und in der Agilität von der Ausnahme zur Normalität wird.

 

„Nur wenn sich die Industrien vernetzen und wir gemeinsam in die digitale Zukunft gehen, werden wir auch den Weg in die Kreislaufwirtschaft schaffen.“

 

⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔

Zur Person

Walter Grüner (58) ist seit Mitte 2019 Head of IT & Digitalization bei Covestro. Er wechselte 2019 nach sechs Jahren bei der Kion Group zum Leverkusener Chemiekonzern. Nach seiner Promotion in Chemie an der Universität Wien arbeitete Grüner zunächst zehn Jahre in der Unternehmensberatung bei Firmen wie A.T. Kearney und Booz Allen Hamilton mit Fokus auf Supply-Chain-Man­agement- und IT-Themen. Anschließend wechselte Grüner in die chemische Industrie, zuerst zu Henkel, wo er für die IT-Governance verantwortlich zeichnete und 2007 zur Süd-Chemie, wo er die weltweite Verantwortung für die IT übernahm.

⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔⇔

Downloads

Kontakt

Covestro AG

Kaiser-Wilhelm-Allee 60
51373 Leverkusen
Deutschland

+49 214 6009 2000