Die Zukunft der Algenbiotechnologie
Bloß nicht das Pferd schon im ersten Rennen zu Tode reiten!
Dies mag eine etwas ungewöhnliche Einleitung zu einem sehr wichtigen Thema der Biotechnologie sein. Angesichts des seit etwa drei Jahren zu beobachtenden Hype können aber ein paar mahnende Worte nicht schaden.
Die Algenbiotechnologie ist seit Jahrzehnten innerhalb der Forschungslandschaft in Deutschland tief verwurzelt. Insbesondere in der Molekularbiologie und Bioprozesstechnik der Algen, von den Cyanobakterien bis zu den Makroalgen, nimmt Deutschland eine hervorragende Ausgangsposition ein. Die jüngste Tagung des Dechema-Arbeitskreises Algenbiotechnologie unter dem Titel „Produkte aus Algen" hat gezeigt, welche Erfolge bereits zu verzeichnen sind:
Mehr als ein Dutzend Genome von phototrophen aquatischen Organismen sind schon entziffert worden. Die Algenforschung hat viel zum Verständnis der molekularen Mechanismen der Photosynthese beigetragen und Wege zu ihrer gezielten Modifikation eröffnet. Die detaillierte Kenntnis der Stoffwechselnetzwerke von Algenzellen ermöglicht rationale systembiologische Ansätze zur Gewinnung von Zielsubstanzen, unter anderem auch durch gentechnische Ankopplung von metabolischen Teilnetzen aus anderen Organismen.
Damit rückt die Realisierung einer ganzen Reihe vielversprechender Möglichkeiten der Algenbiotechnologie in greifbare Nähe. Wir reden hier insbesondere über Möglichkeiten zur Nutzung besonderer Eigenschaften der Algen zur stofflichen Produktion. Zahlreiche nur in Algen vorkommende Metabolite und Polymere haben sich als Wirkstoffe herausgestellt, deren therapeutisches Potential kaum abzuschätzen ist. Das Spektrum reicht von Anti-Infektiva und Zytostatika bis zu Materialien für die Regenerierung von Knochengewebe. Auch als Bioreaktoren zur Herstellung rekombinanter Proteine sind sie von großem Interesse.
Die Erwartung, dass sich Algen im Downstream-Processing zur Gewinnung der Reinststoffe wesentlich besser eignen als bisher verwendete pflanzliche Produktionssysteme, motiviert Wissenschaftler und Ingenieure. Dennoch muss man konstatieren, dass die Systeme für die Fermentation noch weit von einer ähnlichen Standardisierung entfernt sind, wie sie bei Rührkesseln für die Fermentation von bakteriellen Produktionssystemen bereits umgesetzt ist. Momentan scheint es fast so, dass jeder Arbeitskreis für jeden Algenstamm seine gesamte Kreativität in das Design neuer Photobioreaktorarchitekturen steckt. Hier werden wir vorankommen müssen und auch hier ist unsere deutsche Ausgangsposition eigentlich hervorragend.
Der eingangs erwähnte Hype rührt von der vielfach geweckten Erwartung, dass wir mit der Algenbiotechnologie den Klimawandel aufhalten können, indem wir zukünftig unsere Kraftstoffversorgung auf Lipide aus Algen unter Nutzung von Sonnenlicht und Kraftwerksabgasen gründen. Vieles, wenn nicht alles, spricht aus heutiger Sicht dagegen, dass dies möglich sein wird: Der Energieaufwand für die Abtrennung und Aufreinigung des CO2 sowie dessen Komprimierung und der Energieaufwand für den Betrieb der Photobioreaktoren. Auch die alles in allem nicht sehr hohe Konversionseffizienz vom Sonnenlicht zur Biomasse, insbesondere aber der Energie-Input für die Aufarbeitung der extrem verdünnten Fermentationsbrühen lassen uns konstatieren, dass hier kein Land in Sicht ist. Viele Mitteilungen, insbesondere von Firmen aus den USA, beruhen auf Zahlen, die eindeutig physikalischen und thermodynamischen Gesetzen widersprechen.
In der stofflichen Nutzung liegt dagegen ein enormes Potential. Hinzu kommen weitreichende Erwartungen mit Blick auf die Produktion von Vieh- und insbesondere Fischfutter. Was dann noch als Rückstand verbleibt, kann sicherlich im Sinne einer nachhaltigen Nutzung von ohnehin erzeugter Biomasse einer energetischen Nutzung z.B. in Biogasanlagen zugeführt werden. Die Entwicklungen solcher integrierter Systeme stellt eine weitere Herausforderung für die Forschung dar.
Das große Risiko für die Algenbiotechnologie ist damit sichtbar: In dem Moment, in dem die riesigen Erwartungen einer realistischen Sicht der Dinge in der Forschungspolitik weichen, kann die Enttäuschung enorm sein und auf Jahre verbrannten Boden für die Förderung der Algenbiotechnologie hinterlassen. Dies wäre fatal, denn darunter würde auch die Forschung an der vielversprechenden stofflichen Nutzung leiden. Unsere Aufgabe muss deshalb sein, Politik und Öffentlichkeit zu zeigen, wo wirkliche Chancen liegen und was realistisch zu erwarten ist. Dann hat das „Pferd" Algenbiotechnologie eine gesunde Zukunft vor sich.