Deutsche Pharmaforschung wirkt
Die Auslandsexporte der deutschen Pharmaindustrie wachsen, während der heimische Markt stagniert
Die Auslandsexporte der deutschen Pharmaindustrie wachsen, während der heimische Markt stagniertMit über 80.000 Beschäftigten und mehr als 300 produzieren Betrieben ist die Pharmaindustrie ein bedeutender Wirtschaftszweig in Deutschland. Doch politische Überregulierung gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der Branche und verhindert mögliche Wachstumsimpulse für die Gesundheitswirtschaft. Dr. Andrea Gruß befragte dazu Dr. Hagen Pfundner, Vorstandsvorsitzender des Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA).
CHEManager: Welche Bedeutung hat der nationale, welche der internationale Arzneimittelmarkt für die forschenden Pharmaunternehmen in Deutschland?
Dr. Hagen Pfundner: Deutschland ist mit 46 Mrd. € Marktvolumen und 4 % Anteil am Weltmarkt einer der großen Einzelmärkte des globalen Pharmamarktes und der bedeutendste in Europa. Damit ist der deutsche Pharmamarkt für die industrielle Gesundheitswirtschaft wichtig. Für Unternehmen, die hier in Deutschland produzieren, kommt hinzu, dass der globale Markt aufgrund seiner Größe für Exporte von noch größerer Bedeutung ist. Eine Entwicklung, die wir mit Sorge betrachten, ist der zunehmende Bedeutungsverlust Deutschlands als Leitmarkt für Innovationen. Wir müssen feststellen, dass die Auslandsmärkte dynamisches Wachstum aufweisen, während der deutsche Markt stagniert. Nur dadurch, dass der Auslandsumsatz um 6,9 % auf 20,7 Mrd. € gesteigert werden konnte, haben vor allem Unternehmen, die in Deutschland produzieren, 2011 den Umsatz überhaupt steigern können. Denn der Inlandsumsatz unserer Unternehmen ist 2011 hingegen auf rund 16,7 Mrd. € gesunken und im Jahr 2012 um nur ca. 1 % gewachsen.
Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?
Dr. Hagen Pfundner: Treiber dieser Wachstumsbremse sind die staatlichen Zwangsabgaben auf patentgeschützte Arzneimittel und die Verhandlungen mit den Krankenkassen im Zuge der Umsetzung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG). Allein der Zwangsrabatt und das Preismoratorium haben in Kombination von Höhe - mehr als 16 % - und Dauer - 3,5 Jahre - den Kassen 2012 2,6 Mrd. € zugespielt. Insgesamt geht es damit über die Laufzeit um eine Belastung der forschenden Arzneimittelhersteller von kumuliert mehr als 10 Mrd. €. Dieses Geld hätten wir gerne in den Ausbau von Arbeitsplätzen und Produktionsanlagen sowie in die klinische Entwicklung und in Forschungskooperationen in Deutschland gesteckt. In einem sich verschärfenden Standortwettbewerb mit Asien, USA, Lateinamerika und z.B. Russland, führen solche Belastungen, bezogen auf den Industriestandort, zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil.
Welche Wachstumsimpluse gehen von der forschenden Pharmaindustrie für die deutsche Wirtschaft aus?
Dr. Hagen Pfundner: Die Krankenkassen bezahlen pro Jahr rund 7 Mrd. € für patentgeschützte Arzneimittel an unsere Unternehmen, während wir in den Standort Deutschland rund 11 Mrd. € pro Jahr für Forschung und Entwicklung, Lohn-Einkommenssteuer und in Sachanlagen investieren. Hinzu kommen noch Löhne und Gehälter für ca. 90.000 Wissensarbeitskräfte, welche die Nachfrage im Binnenmarkt ankurbeln.
Diesen Mehrwert, der Deutschland zu Gute kommt, bezeichnen Wirtschaftsexperten als „ökonomische Dividende"; also das, was wir einbringen ist volkswirtschaftlich betrachtet deutlich mehr als das, was wir „die Krankenkasse kosten"! Das kann in dieser Dimension kein anderer Spieler im Gesundheitswesen für sich in Anspruch nehmen. Und deswegen ärgern mich auch die unsinnigen Vergleiche von Verausgabungen in den verschiedensten Bereichen, wie z.B. Arzneimittelausgaben im Verhältnis zu Ärztehonoraren oder Krankenhausausgaben oder Verwaltungskosten für die Krankenkassen. Es muss „für Deutschland" gedacht werden. Alles andere bringt uns nicht weiter.
Wie kann Deutschland auch in Zukunft ein attraktiver Standort für die Pharmaforschung bleiben?
Dr. Hagen Pfundner: Mit einem werden wir in Deutschland leben müssen: Mit dem Erstarken Asiens und Lateinamerikas und einer starken US-Wirtschaft verschieben sich die Gewichte. Europa und auch Deutschland stehen nicht mehr automatisch im Mittelpunkt des Interesses bei weitreichenden Investitionsentscheidungen. Dies würde insbesondere auch dadurch verschärft, wenn Deutschland seine Leitmarktfunktion als Innovationsstandort verspielt.
Aber wir können immer noch ganz vorne mitspielen, wenn der industriellen Gesundheitswirtschaft in Deutschland auch politisch Bedeutung beigemessen wird. Wir haben hier ausgezeichnete Wissenschaftler und Forschungscluster, wir haben hier eine industrielle Substanz, um die uns viele beneiden, und wir haben gut ausgebildete und hoch motivierte Mitarbeiter. Daraus haben wir etwas „Großes" gemacht, nämlich eine leistungsstarke forschende Pharmaindustrie in Deutschland. Gemeinsam mit der Luft- und Raumfahrtindustrie gehören wir zu den Spitzentechnologien.
Welche Innovationen können wir 2013 aus Ihrer Branche erwarten?
Dr. Hagen Pfundner: Allen Unkenrufen zum Trotz, unsere Forschung wirkt! Deshalb besteht 2013 Aussicht für Patienten in Deutschland auf mehr als 25 neue Medikamente, insbesondere gegen Krebs, Infektionskrankheiten, Multiple Sklerose und Diabetes. Rund ein Fünftel aller neuen Arzneimittel soll die Behandlung von Patienten verbessern, die an Krebs leiden - etwa an Brust-, Prostata- oder Darmkrebs oder T-Zell-Lymphom. Drei der Krebsmedikamente sollen im Sinne der Personalisierten Medizin eingesetzt werden, also erst nach positivem Ausgang eines Vortests beim betreffenden Patienten. Damit bauen wir den Wissenschaftstrend personalisierte Medizin weiter aus, der den Patienten zielgerichteter zur geeigneten Therapie und dem Gesundheitswesen zu mehr Effizienz verhilft.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen und Chancen für die Branche?
Dr. Hagen Pfundner: Neben die ökonomische Dividende tritt eine zunehmend wichtiger werdende „Gesundheitsdividende": Der Produktivitätserhalt ist für eine alternde Gesellschaft und die deutsche Wirtschaft kein beliebiges Thema, sondern ein zentrales Wettbewerbs- und Überlebensthema unserer industriell geprägten Gesellschaft.
Krankheiten zu verhindern, ihren Ausbruch und ihr Fortschreiten hinauszuzögern und ihre Folgen zu minimieren, sind nicht nur für den Einzelnen und seine Angehörigen wichtig, sondern auch für die Volkswirtschaft. Fehlzeiten wegen Krankheit zu verkürzen und Berufsunfähigkeit zu verhindern und dadurch die gesamtwirtschaftliche Produktivität zu erhalten oder noch zu steigern, werden die Herausforderung und Chance der Zukunft sein.
Aus unserer Sicht beschäftigt sich die Politik derzeit noch zu wenig mit diesen Zukunftsfragen und bindet stattdessen die forschenden Pharma-Unternehmen, die bei der Bewältigung dieser Fragestellungen eine entscheidende Rolle spielen könnten, in ein Korsett lähmender Kostenkontrolle!
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