Der Mittelstand infiziert
HCS-Chef Uwe Nickel über die Attraktivität mittelständischer Unternehmen und das Verhältnis zur Großchemie
Haltermann blickt auf eine über 100-jährige Tradition zurück. Zwischenzeitlich gehörte das mittelständische Chemieunternehmen zu Dow Chemical, bevor es 2011 wieder eigenständig wurde. Heute präsentiert sich der Produzent von Spezialitäten und Lösemitteln auf Kohlenwasserstoffbasis als Mitglied der im Frühjahr gegründeten HCS Group, deren Gesellschafter der Investor H.I.G. Europe ist. CEO der HCS Group ist Dr. Uwe Nickel. Der Chemiker stieg nach seinem Studium in seiner Heimatstadt Frankfurt 1986 in die damalige Cassella ein und durchlief in den darauffolgenden 22 Jahren Führungspositionen in der ehemaligen Hoechst AG und bei Clariant, wo er zuletzt Mitglied des Vorstands war. Von 2008 an leitete Nickel drei Jahre lang die Global Chemical Practice beim Beratungsunternehmen Arthur D. Little, von wo er 2011 an die Spitze von Haltermann wechselte. In seiner beruflichen Laufbahn hat Nickel sowohl die Großchemie als auch den chemischen Mittelstand kennengelernt und blickte in seiner Beraterzeit zudem von außen auf beide Welten. Mit Dr. Michael Reubold sprach er über seine Erfahrungen.
CHEManager: Herr Dr. Nickel, als ehemaliger Großchemie-Manager sind Sie heute glühender Fan des Mittelstands. Was macht für Sie den Mittelstand so attraktiv?
Dr. U. Nickel: Das ist relativ einfach gesagt: Im Mittelstand ist man deutlich flexibler und deutlich schneller als in einem Konzern. Diese Flexibilität und diese Geschwindigkeit machen aus meiner Sicht den Unterschied und verschaffen dem Mittelstand einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konzernen. Aber es sind sicherlich nicht nur die mittelständischen Unternehmen attraktiv, sondern vor allem die Menschen, die dort arbeiten.
Worauf beziehen Sie die angesprochene Flexibilität und Geschwindigkeit?
Dr. U. Nickel: Eigentlich auf alles. Man kann fast alle Bereiche nennen, und zwar sowohl interne als auch externe.
Die internen Entscheidungsprozesse sind sehr schnell. Als CEO eines Mittelständlers ist es immer wieder schön, zu erleben, dass Mitarbeiter mit einer Idee oder einem Vorschlag auf einen zu kommen und man Ihnen sofort ein Feedback geben bzw. eine Entscheidung nennen kann. Sie müssen das nicht mit x Leuten oder Gremien abstimmen. Das ist es, was die Mitarbeiter in einem mittelständischen Unternehmen schätzen.
Nach außen ist es genauso, z.B. beim Thema Finanzmittel. Da Sie relativ kurze Wege zu den Investoren haben, erhalten Sie auch da ganz schnell eine Entscheidung.
Denken Sie, dass Großkonzerne aufgrund ihrer finanziellen Stärke einen Vorteil haben, wenn es um Investitionen geht?
Dr. U. Nickel: Natürlich haben die Konzerne da einen riesigen Vorteil. Aber in meiner eigenen Erfahrung der letzten beiden Jahre gab es keinen Moment, in dem ich den Eindruck hatte, dass die Finanzierung eines Projektes eine unüberwindbare Hürde darstellt. Die Finanzwelt und die Bankenbranche fokussieren sich in letzter Zeit stärker auf den Mittelstand, sprechen die Sprache des Mittelstandes und zeigen auch die Flexibilität des Mittelstandes. Der Weg von einer Idee bis zur Genehmigung der Geldmittel ist deutlich schneller und einfacher als in einem Konzern. Und das wirkt, wenn Sie aus einem Großunternehmen in den Mittelstand wechseln, wie ein Jungbrunnen. Ich habe also überhaupt nicht den Eindruck, dass Finanzierung ein Thema ist.
Aber es mag eine Rolle spielen, dass wir einem Private Equity-Unternehmen gehören. Das bietet uns die Möglichkeit, dass der Eigentümer zunächst ein Projekt finanziert und wir die Refinanzierung anschließend über eine Bank machen. Damit können wir die Finanzierung beschleunigen.
Vor welchen Herausforderungen steht der Mittelstand?
Dr. U. Nickel: Mittelständler stehen beim Thema Personal vor Herausforderungen. Recruitment ist für kleinere und mittelständische Firmen häufig ein Problem. Wenn Sie ein großer, bekannter Konzern sind, haben Sie damit keine Schwierigkeiten. Sie kriegen normalerweise jeden Naturwissenschaftler, den Sie haben wollen. Das ist alles nur eine Frage des Geldes. Die Attraktivität des Arbeitgebers spielt also eine Rolle.
Als Mittelständler haben Sie erstens nicht die Größe, zweitens nicht den Namen und drittens auch nicht unbegrenzte Finanzmittel. Sie können - oder Sie sollten es sich nicht leisten, jede Gehaltsforderung zu erfüllen. Aber die Erfahrung zeigt, dass Sie dennoch das bekommen, was Sie brauchen. Manchmal müssen Sie nur ein bisschen länger suchen. Es hilft, wenn man - wie ich aus der Vergangenheit heraus - Kontakte in die Industrie hat.
Würden Sie sagen, dass jemand, der einmal Mittelstandsluft geschnuppert hat, dem Mittelstand treu bleibt?
Dr. U. Nickel: Das ist eine Mentalitätsfrage. Der Mittelstand infiziert schon ein bisschen. Ich denke, es ist vergleichbar mit einem Auslandsaufenthalt. Wenn Sie Mitarbeiter für vier Jahre ins Ausland entsenden, ist das noch okay. Nach acht Jahren im Ausland wird es schwieriger. Und nach 12 Jahren im Ausland kommt der Mitarbeiter vermutlich nie wieder zurück, weil er die Unabhängigkeit von der Zentrale genossen hat. Diese Erfahrung habe ich im Konzernleben häufiger gemacht. Ich glaube also auch, dass es mit zunehmender Beschäftigungsdauer im Mittelstand unwahrscheinlicher wird, dass jemand zurück in die Großindustrie geht. Was schade ist!
Haben Sie nicht gerade noch Werbung für den Mittelstand gemacht?
Dr. U. Nickel: Ja, aber ich spreche jetzt einmal für die gesamte Chemiebranche. Eine größere Durchlässigkeit, und zwar in beide Richtungen, würde beiden Welten gut tun.
Wie meinen Sie das?
Dr. U. Nickel: Es gibt häufig Geschäftsbereiche in einem Konzern, deren Performance sich erhöhen ließe, wenn man sie aus der Konzernstruktur herauslösen, sie von dem Overhead entlasten und selbständiger machen würde. Oder Bereiche, die restrukturiert oder ausgegliedert werden sollen. Wenn es die Konzerne schaffen würden, Inseln zu bilden, auf denen wirkliche Unabhängigkeit und unternehmerische Freiheit gelebt wird, dann könnten sie erfolgreiche Manager aus dem Mittelstand zur Leitung dieser Geschäfte zurückholen. Denn die Leiter dieser Bereiche können die Selbständigkeit oft gar nicht bewältigen, weil sie ja das Konzernleben gewohnt sind. Wenn Sie stattdessen Leute aus dem Mittelstand suchen würden, die die Herausforderung kennen, die Entscheidungsfreiheit genießen und wissen, wie so etwas geht, dann könnte so manches Geschäft davon profitieren. Ich glaube, dass es ein Vorteil für einen Konzern wäre, für einzelne Geschäftsbereiche solch eine mittelstandsähnliche Struktur aufzubauen, um neue Wachstumsimpulse zu generieren.
Und der Mittelstand profitiert andererseits, indem er Mitarbeiter rekrutiert, die die Erfahrungen des Großkonzerns mitbringen.
Dr. U. Nickel: Der Mittelstand vergibt sich Chancen, wenn er nicht auch erfahrene Konzernmanager mit Know-how und Führungskapazitäten verpflichtet, die aber noch bodenständig und frei genug im Denken sind. Das ist das einzig wichtige Kriterium.
Ich bin auch der Meinung - wenn ich das an dieser Stelle sagen darf -, dass viele Headhunter, die Unternehmen falsch beraten, weil sie nur in einer Kategorie denken und so den Führungskräfteaustausch zwischen Großchemie und Chemiemittelstand blockieren.
Es ist also erfolgsentscheidend, sich das wesentliche Management-Know-how in die Firma zu holen?
Dr. U. Nickel: Ich glaube schon, dass das ein ganz wichtiger Treiber ist und dass Sie dadurch die Wertschöpfung deutlich erhöhen können. Nehmen Sie das Beispiel „kontinuierlicher Verbesserungsprozess". Es wird immer ein wichtiges Thema in größeren Unternehmen sein, denn man kennt die Vorteile und weiß, dass es funktioniert. Wenn man das in ein Mittelstandsunternehmen reinbringt, sieht man schnell Erfolge. Auch wenn ein Mittelstandsunternehmen im Ausland expandieren will, kann es extrem Zeit und auch Geld sparen, wenn es sich die Kompetenz einkauft.
Das heißt, der Idealfall wären eigentlich Mittelständler mit dem Horizont von Großkonzernen.
Dr. U. Nickel: Das ist es. Aber es nützt nichts, einen Großkonzern nachmachen zu wollen und Dinge, die in einem Großkonzern funktionieren, unverändert einzuführen. Man muss sie transformieren.
Mittelstand wird häufig mit Nischen assoziiert. Ist es für die Erfolgschancen eines Mittelständlers wesentlich, sich auf Nischenmärkte zu fokussieren?
Dr. U. Nickel: Das ist eine Frage des Geschäftsmodells und auch der branchenspezifischen Erfolgskriterien. Wenn Sie in einem wettbewerbsintensiven Umfeld agieren, wo Sie extreme Flexibilität und Kundenorientierung zeigen müssen, dann haben Sie als Mittelständler große Chancen. Es muss aus meiner Sicht nicht unbedingt eine Nische sein, denn eine Nische findet man nicht einfach so. Aber wenn man in einer Nische ist, die man ausbauen kann, sollte man es tun.
Was wünschen Sie sich von der Mittelstandslobby?
Dr. U. Nickel: Noch mehr Lobby für den Mittelstand machen. Für mittelständische Unternehmen geht es darum, die richtigen Leute zu bekommen und auch das Thema Nachfolgeplanung ordentlich auf die Schiene zu setzen. Und da bin ich der Meinung, dass man viel klarer herausarbeiten müsste, was im Mittelstand anders ist und was die Vorteile eines Jobs im Mittelstand sind - egal ob als CEO oder als Laborant. Für mich ist es immer erstaunlich, welche Vorstellungen Bewerber teilweise vom Mittelstand haben.
Vielleicht mache ich mich unbeliebt, aber ich habe in diesem Zusammenhang nicht den Eindruck, dass die VCI- Mittelstandsvereinigung genügend auffällt. Aber da muss ich mir natürlich auch selbst an die Nase fassen. Leider habe ich im Moment nicht die Zeit, mich selbst stärker zu engagieren.
Aber ich glaube, dass das Thema Mittelstand auch beim VCI nun deutlicher in den Fokus rückt.
Dr. U. Nickel: Und das ist gut für die Mittelstandsunternehmen. Es ist aber auch gut für die Großchemie. Die beiden Bereiche können sich sehr gut befruchten. Man muss nur die Voraussetzungen schaffen, damit das auch passiert, denn noch passiert es schlicht und einfach zu wenig. Da fehlt auch der Mut auf beiden Seiten.
HCS-Chef Uwe Nickel über die Attraktivität mittelständischer Unternehmen und das Verhältnis zur Großchemie
Haltermann blickt auf eine über 100-jährige Tradition zurück. Zwischenzeitlich gehörte das mittelständische Chemieunternehmen zu Dow Chemical, bevor es 2011 wieder eigenständig wurde. Heute präsentiert sich der Produzent von Spezialitäten und Lösemitteln auf Kohlenwasserstoffbasis als Mitglied der im Frühjahr gegründeten HCS Group, deren Gesellschafter der Investor H.I.G. Europe ist. CEO der HCS Group ist Dr. Uwe Nickel. Der Chemiker stieg nach seinem Studium in seiner Heimatstadt Frankfurt 1986 in die damalige Cassella ein und durchlief in den darauffolgenden 22 Jahren Führungspositionen in der ehemaligen Hoechst AG und bei Clariant, wo er zuletzt Mitglied des Vorstands war. Von 2008 an leitete Nickel drei Jahre lang die Global Chemical Practice beim Beratungsunternehmen Arthur D. Little, von wo er 2011 an die Spitze von Haltermann wechselte. In seiner beruflichen Laufbahn hat Nickel sowohl die Großchemie als auch den chemischen Mittelstand kennengelernt und blickte in seiner Beraterzeit zudem von außen auf beide Welten. Mit Dr. Michael Reubold sprach er über seine Erfahrungen.
CHEManager: Herr Dr. Nickel, als ehemaliger Großchemie-Manager sind Sie heute glühender Fan des Mittelstands. Was macht für Sie den Mittelstand so attraktiv?
Dr. U. Nickel: Das ist relativ einfach gesagt: Im Mittelstand ist man deutlich flexibler und deutlich schneller als in einem Konzern. Diese Flexibilität und diese Geschwindigkeit machen aus meiner Sicht den Unterschied und verschaffen dem Mittelstand einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konzernen. Aber es sind sicherlich nicht nur die mittelständischen Unternehmen attraktiv, sondern vor allem die Menschen, die dort arbeiten.
Worauf beziehen Sie die angesprochene Flexibilität und Geschwindigkeit?
Dr. U. Nickel: Eigentlich auf alles. Man kann fast alle Bereiche nennen, und zwar sowohl interne als auch externe.
Die internen Entscheidungsprozesse sind sehr schnell. Als CEO eines Mittelständlers ist es immer wieder schön, zu erleben, dass Mitarbeiter mit einer Idee oder einem Vorschlag auf einen zu kommen und man Ihnen sofort ein Feedback geben bzw. eine Entscheidung nennen kann. Sie müssen das nicht mit x Leuten oder Gremien abstimmen. Das ist es, was die Mitarbeiter in einem mittelständischen Unternehmen schätzen.
Nach außen ist es genauso, z.B. beim Thema Finanzmittel. Da Sie relativ kurze Wege zu den Investoren haben, erhalten Sie auch da ganz schnell eine Entscheidung.
Denken Sie, dass Großkonzerne aufgrund ihrer finanziellen Stärke einen Vorteil haben, wenn es um Investitionen geht?
Dr. U. Nickel: Natürlich haben die Konzerne da einen riesigen Vorteil. Aber in meiner eigenen Erfahrung der letzten beiden Jahre gab es keinen Moment, in dem ich den Eindruck hatte, dass die Finanzierung eines Projektes eine unüberwindbare Hürde darstellt. Die Finanzwelt und die Bankenbranche fokussieren sich in letzter Zeit stärker auf den Mittelstand, sprechen die Sprache des Mittelstandes und zeigen auch die Flexibilität des Mittelstandes. Der Weg von einer Idee bis zur Genehmigung der Geldmittel ist deutlich schneller und einfacher als in einem Konzern. Und das wirkt, wenn Sie aus einem Großunternehmen in den Mittelstand wechseln, wie ein Jungbrunnen. Ich habe also überhaupt nicht den Eindruck, dass Finanzierung ein Thema ist.
Aber es mag eine Rolle spielen, dass wir einem Private Equity-Unternehmen gehören. Das bietet uns die Möglichkeit, dass der Eigentümer zunächst ein Projekt finanziert und wir die Refinanzierung anschließend über eine Bank machen. Damit können wir die Finanzierung beschleunigen.
Vor welchen Herausforderungen steht der Mittelstand?
Dr. U. Nickel: Mittelständler stehen beim Thema Personal vor Herausforderungen. Recruitment ist für kleinere und mittelständische Firmen häufig ein Problem. Wenn Sie ein großer, bekannter Konzern sind, haben Sie damit keine Schwierigkeiten. Sie kriegen normalerweise jeden Naturwissenschaftler, den Sie haben wollen. Das ist alles nur eine Frage des Geldes. Die Attraktivität des Arbeitgebers spielt also eine Rolle.
Als Mittelständler haben Sie erstens nicht die Größe, zweitens nicht den Namen und drittens auch nicht unbegrenzte Finanzmittel. Sie können - oder Sie sollten es sich nicht leisten, jede Gehaltsforderung zu erfüllen. Aber die Erfahrung zeigt, dass Sie dennoch das bekommen, was Sie brauchen. Manchmal müssen Sie nur ein bisschen länger suchen. Es hilft, wenn man – wie ich aus der Vergangenheit heraus - Kontakte in die Industrie hat.
Würden Sie sagen, dass jemand, der einmal Mittelstandsluft geschnuppert hat, dem Mittelstand treu bleibt?
Dr. U. Nickel: Das ist eine Mentalitätsfrage. Der Mittelstand infiziert schon ein bisschen. Ich denke, es ist vergleichbar mit einem Auslandsaufenthalt. Wenn Sie Mitarbeiter für vier Jahre ins Ausland entsenden, ist das noch okay. Nach acht Jahren im Ausland wird es schwieriger. Und nach 12 Jahren im Ausland kommt der Mitarbeiter vermutlich nie wieder zurück, weil er die Unabhängigkeit von der Zentrale genossen hat. Diese Erfahrung habe ich im Konzernleben häufiger gemacht. Ich glaube also auch, dass es mit zunehmender Beschäftigungsdauer im Mittelstand unwahrscheinlicher wird, dass jemand zurück in die Großindustrie geht. Was schade ist!
Haben Sie nicht gerade noch Werbung für den Mittelstand gemacht?
Dr. U. Nickel: Ja, aber ich spreche jetzt einmal für die gesamte Chemiebranche. Eine größere Durchlässigkeit, und zwar in beide Richtungen, würde beiden Welten gut tun.
Wie meinen Sie das?
Dr. U. Nickel: Es gibt häufig Geschäftsbereiche in einem Konzern, deren Performance sich erhöhen ließe, wenn man sie aus der Konzernstruktur herauslösen, sie von dem Overhead entlasten und selbständiger machen würde. Oder Bereiche, die restrukturiert oder ausgegliedert werden sollen. Wenn es die Konzerne schaffen würden, Inseln zu bilden, auf denen wirkliche Unabhängigkeit und unternehmerische Freiheit gelebt wird, dann könnten sie erfolgreiche Manager aus dem Mittelstand zur Leitung dieser Geschäfte zurückholen. Denn die Leiter dieser Bereiche können die Selbständigkeit oft gar nicht bewältigen, weil sie ja das Konzernleben gewohnt sind. Wenn Sie stattdessen Leute aus dem Mittelstand suchen würden, die die Herausforderung kennen, die Entscheidungsfreiheit genießen und wissen, wie so etwas geht, dann könnte so manches Geschäft davon profitieren. Ich glaube, dass es ein Vorteil für einen Konzern wäre, für einzelne Geschäftsbereiche solch eine mittelstandsähnliche Struktur aufzubauen, um neue Wachstumsimpulse zu generieren.
Und der Mittelstand profitiert andererseits, indem er Mitarbeiter rekrutiert, die die Erfahrungen des Großkonzerns mitbringen.
Dr. U. Nickel: Der Mittelstand vergibt sich Chancen, wenn er nicht auch erfahrene Konzernmanager mit Know-how und Führungskapazitäten verpflichtet, die aber noch bodenständig und frei genug im Denken sind. Das ist das einzig wichtige Kriterium.
Ich bin auch der Meinung - wenn ich das an dieser Stelle sagen darf -, dass viele Headhunter, die Unternehmen falsch beraten, weil sie nur in einer Kategorie denken und so den Führungskräfteaustausch zwischen Großchemie und Chemiemittelstand blockieren.
Es ist also erfolgsentscheidend, sich das wesentliche Management-Know-how in die Firma zu holen?
Dr. U. Nickel: Ich glaube schon, dass das ein ganz wichtiger Treiber ist und dass Sie dadurch die Wertschöpfung deutlich erhöhen können. Nehmen Sie das Beispiel „kontinuierlicher Verbesserungsprozess“. Es wird immer ein wichtiges Thema in größeren Unternehmen sein, denn man kennt die Vorteile und weiß, dass es funktioniert. Wenn man das in ein Mittelstandsunternehmen reinbringt, sieht man schnell Erfolge. Auch wenn ein Mittelstandsunternehmen im Ausland expandieren will, kann es extrem Zeit und auch Geld sparen, wenn es sich die Kompetenz einkauft.
Das heißt, der Idealfall wären eigentlich Mittelständler mit dem Horizont von Großkonzernen.
Dr. U. Nickel: Das ist es. Aber es nützt nichts, einen Großkonzern nachmachen zu wollen und Dinge, die in einem Großkonzern funktionieren, unverändert einzuführen. Man muss sie transformieren.
Mittelstand wird häufig mit Nischen assoziiert. Ist es für die Erfolgschancen eines Mittelständlers wesentlich, sich auf Nischenmärkte zu fokussieren?
Dr. U. Nickel: Das ist eine Frage des Geschäftsmodells und auch der branchenspezifischen Erfolgskriterien. Wenn Sie in einem wettbewerbsintensiven Umfeld agieren, wo Sie extreme Flexibilität und Kundenorientierung zeigen müssen, dann haben Sie als Mittelständler große Chancen. Es muss aus meiner Sicht nicht unbedingt eine Nische sein, denn eine Nische findet man nicht einfach so. Aber wenn man in einer Nische ist, die man ausbauen kann, sollte man es tun.
Was wünschen Sie sich von der Mittelstandslobby?
Dr. U. Nickel: Noch mehr Lobby für den Mittelstand machen. Für mittelständische Unternehmen geht es darum, die richtigen Leute zu bekommen und auch das Thema Nachfolgeplanung ordentlich auf die Schiene zu setzen. Und da bin ich der Meinung, dass man viel klarer herausarbeiten müsste, was im Mittelstand anders ist und was die Vorteile eines Jobs im Mittelstand sind - egal ob als CEO oder als Laborant. Für mich ist es immer erstaunlich, welche Vorstellungen Bewerber teilweise vom Mittelstand haben.
Vielleicht mache ich mich unbeliebt, aber ich habe in diesem Zusammenhang nicht den Eindruck, dass die VCI- Mittelstandsvereinigung genügend auffällt. Aber da muss ich mir natürlich auch selbst an die Nase fassen. Leider habe ich im Moment nicht die Zeit, mich selbst stärker zu engagieren.
Aber ich glaube, dass das Thema Mittelstand auch beim VCI nun deutlicher in den Fokus rückt.
Dr. U. Nickel: Und das ist gut für die Mittelstandsunternehmen. Es ist aber auch gut für die Großchemie. Die beiden Bereiche können sich sehr gut befruchten. Man muss nur die Voraussetzungen schaffen, damit das auch passiert, denn noch passiert es schlicht und einfach zu wenig. Da fehlt auch der Mut auf beiden Seiten.
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