Märkte & Unternehmen

Den Ewigkeitschemikalien droht das Aus

Kontroverse Diskussion um geplantes PFAS-Verbot, Ausnahmeregelungen für bestimmte Produkte vorgesehen

15.11.2023 - Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) bauen sich in der Umwelt nur unzureichend oder gar nicht ab. Das brachte Ihnen den Beinamen Ewigkeitschemikalien ein. Nun droht ein pauschales Verbot der rund 10.000 Substanzen dieser vielseitigen Stoffklasse.

Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bereitet ein umfassendes Verbot von per- und polyfluorierten Alkylsub­stanzen, kurz PFAS, vor. Die Chemie­industrie sowie andere Branchen schlagen Alarm und wollen vor allem eine Ausnahme für Fluorpolymere erwirken, denn sie gelten in der Anwendung als unbedenklich.

Im Januar hat Deutschland zusammen mit Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und Schweden der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) ein Verbot aller per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) vorgeschlagen. Davon wären rund 10.000 Substanzen betroffen. Seit der Veröffentlichung des Vorschlags – ein rund 2.000 Seiten umfassendes Dokument – im Februar, laufen Industrievertreter Sturm.

Vielfältige Anwendungen

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) befürchtet u. a. die Abwanderung von Unternehmen in weniger streng regulierte Regionen, der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) hält die Energiewende ohne PFAS für „schlichtweg unrealistisch“. Vertreter der Medizintechnikbranche wiederum warnen, dass Inkubatoren für Neugeborene, Herzschrittmacher und viele weitere Medizinprodukte bei einem PFAS-Verbot nicht mehr hergestellt werden könnten. Die teils unhaltbaren Argumente gehören zur Lobbyarbeit, belegen aber auch die Bedeutung von PFAS.

PFAS, allen voran Fluorpolymere wie Polytetrafluorethylen (PTFE, Handelsname Teflon), sind im Maschinen- und Anlagenbau weit verbreitet. Dichtungen, Schläuche und etliche andere Bauteile bestehen daraus oder sind damit beschichtet. Auch viele Schmierstoffe, Pumpen­öle und Kältemittel enthalten PFAS. Dass die Substanzen so begehrt sind, liegt an ihren hervorragenden Eigenschaften: Sie sind wasser-, fett- und schmutzabweisend, außerdem extrem beständig gegenüber aggressiven Chemikalien, hohen Temperaturen und anderen harschen Bedingungen.

Viele Ausnahmen vorgesehen

Der Verbotsvorschlag verkennt die Bedeutung von PFAS nicht und sieht daher etliche Ausnahmeregelungen vor, etwa für Medizinprodukte und Schutzkleidung für Rettungskräfte. Wirkstoffe in Bioziden und Medikamenten sind von der Beschränkung ohnehin ausgenommen, da sie durch andere EU-Vorschriften geregelt sind. PFAS sollen, so das Ziel der geplanten Regulierung, zukünftig nur noch dann zum Einsatz kommen, wenn es keine Alternativen gibt oder die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorzüge die Nachteile überwiegen. Doch in welchen Fällen ist der Nutzen größer als der Schaden? Und welche PFAS lassen sich partout nicht ersetzen?

Mit solchen Fragen befassen sich bei der ECHA aktuell zwei Komitees: Der Ausschuss für Risikobeurteilung (Committee for Risk Assessment, RAC) prüft, ob die vorgeschlagene Beschränkung angemessen ist, um Risiken für Gesundheit und Umwelt zu senken. Der Ausschuss für sozio­ökonomische Analyse (Committee for Socio-Economic Analysis, SEAC) beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen eines Verbots. Die beiden Ausschüsse analysieren auch die über 5.600 Kommentare, die Verbände, Unternehmen und Einzelpersonen während der öffentlichen Konsultation von März bis September bei der ECHA eingereicht haben.

Streitpunkt Fluorpolymere

Industrievertreter kritisieren vor allem das geplante Verbot von Fluorpolymeren. Sie argumentieren damit, dass deren Anwendung unbedenklich sei. Wissenschaftliche Studien stützen das. Wer also eine Teflon-beschichtete Bratpfanne besitzt, kann sie getrost weiter verwenden – sollte aber besser keine neue anschaffen. Das Problem bei den Fluorpolymeren sei nämlich nicht die Anwendungsphase, sondern die Herstellung, erklärt Juliane Glüge, die sich an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich mit PFAS beschäftigt und als Vertreterin der European Chemical Society an den ECHA-Sitzungen zum PFAS-Verbot teilnimmt.

Während der Herstellung gerieten fluorhaltige Monomere und Nebenprodukte mit der Abluft und dem Abwasser in die Umwelt, erläutert sie. Jahrzehntelang hätten auch fluorierte Chemikalien, die bei der industriellen Produktion von Fluorkunststoffen als Hilfsmittel dienten, Böden und Gewässer rund um die Fabriken verschmutzt. Dafür haben viele Hersteller mittlerweile einen Ersatz gefunden. Die Umwelt aber bleibt dauerhaft belastet, denn aufgrund der extrem stabilen Bindung zwischen Kohlenstoff und Fluor bauen sich PFAS in der Umwelt nur unzureichend oder gar nicht ab. Das brachte ihnen den Beinamen Ewigkeitschemikalien ein.

Die Sanierung von PFAS-kontaminierten Böden und Grundwasser ist derzeit – wenn überhaupt – nur mit hohem technischem Aufwand in Verbindung mit hohen Kosten möglich.

Schon wegen ihrer Persistenz sollten PFAS verboten werden, meint Glüge: „Wenn organische Substanzen, die sich nicht oder nur unzureichend abbauen und sich daher immer weiter anreichern, in die Umwelt gelangen, steigt das Risiko für schädliche Effekte.“ Dass die Beschränkungsvorlage die ganze Stoffgruppe umfasst, befürwortet sie: „Zu den PFAS zählen so viele Substanzen, dass es schwer ist, sie einzeln zu regulieren. In der Vergangenheit wurden immer wieder einzelne PFAS und ihre Vorläufer verboten, aber die Alternativen waren oft wieder PFAS.“

Lobby gegen pauschale Beschränkung

Industrieverbände hingegen wollen eine pauschale Beschränkung abwenden. Das Verbot wäre ein Präzedenzfall, beklagt etwa VCI-Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup: „Ohne detaillierte Bewertung sollen mehrere tausend Stoffe mit unterschiedlichsten Eigenschaften auf einen Schlag verboten werden.“ Ausführliche toxikologische Studien liegen tatsächlich erst für wenige PFAS vor. Die bereits verbotene Perfluoroctansäure (PFOA) etwa wurde als krebserregend und reproduktionstoxisch eingestuft. Hinweise auf schädliche Effekte anderer PFAS gibt es ebenfalls. Detaillierte Untersuchungen zur Giftigkeit der rund zehntausend verschiedenen Substanzen sind in angemessener Zeit allerdings nicht durchführbar. Der Beschränkungsvorschlag folgt daher dem Vorsorgeprinzip.
Schon heute findet man PFAS in den entlegensten Winkeln der Erde, in unserem Blut ebenso wie in Muttermilch. Und nicht nur das: PFAS lassen sich selbst in Produkten nachweisen, die eigentlich PFAS-frei sein sollten. Der Grund: Die Substanzen können aus PFAS-haltigen Dichtungen, Schläuchen und anderen Bauteilen von Produktionsanlagen in die Erzeugnisse gelangen. Im Elektrolyseprozess zur Herstellung von Na­tronlauge etwa kommt eine Membran zum Einsatz, die mit einem polyfluorierten Polymer verstärkt ist. Prozesstechnisch sei das ein enormer Fortschritt gewesen, erklärt David Schaffert, Chemiker in der Abteilung Analytical & Material Science bei BASF in Ludwigshafen, doch dabei könnten PFAS aus der Membran in die Natronlauge gelangen.

Alternativen zu PFAS

Das Risiko des unbewussten PFAS-Eintrags aus Anlagenteilen besteht für etliche Produkte in den unterschiedlichsten Branchen. Auf den bewussten Einsatz von PFAS hingegen lässt sich oft verzichten. Zur klassischen Goretex-Membran aus dem Fluorpolymer PTFE bspw. gibt es mittlerweile Alternativen aus fluorfreien Kunststoffen wie Polyethylen oder Polyurethan. Die Imprägnierung von Outdoorausrüstung gelingt mittlerweile gut ohne PFAS, ebenso die wasser- und fettabweisende Ausstattung von Coffee-to-go-Bechern und anderen Lebensmittelverpackungen.

Die Suche nach PFAS-Ersatzstoffen für industrielle Anwendungen steht ebenfalls nicht bei Null. Widerstandsfähige Dichtungen aus ultrahochmolekularem Polyethylen statt aus Fluorpolymeren sind bereits erhältlich, andere Alternativen stehen kurz vor der Markteinführung, darunter eine am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) in Bremen entwickelte Antihaftbeschichtung aus siliziumorganischen Verbindungen. Sie eignet sich für Bratpfannen ebenso wie für den Maschinen- und Anlagenbau. Die PFAS-freie Beschichtung kommt ohne Additive aus und wird per Plasmatechnik aufgebracht. Man suche derzeit Partner, um sie zeitnah in den Markt einzuführen, erklärt Klaus Vissing vom Fraunhofer IFAM.

In anderen Fällen ist die Materialforschung noch gefragt, und ohne Frage bedeutet der Abschied von PFAS viel Arbeit. Je nach Verwendung müssen Prozesse umgestellt, technische Vorschriften überarbeitet, Produkte neu getestet und zertifiziert werden. Das alles aber muss nicht von heute auf morgen geschehen. Vor dem Jahr 2027 tritt die Beschränkung vermutlich nicht in Kraft und anschließend werden für gewisse Verwendungen wohl noch fünf- oder zwölfjährige, für wenige Ausnahmen vielleicht sogar unbefristete Übergangsphasen gelten.

Uta Neubauer, Wissenschaftsjournalistin, Bad Soden am Taunus

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