Das Gewinner-Team des 10. ChemCar-Wettbewerbs stellt sein Konzept vor
Lisbeth machte das Rennen
Unter den acht Mannschaften die am 10. ChemCar-Wettbewerb Anfang September in Bamberg teilnahmen, setzte sich das Team Aixtreme der RWTH Aachen durch.
Sieben Universitäten aus allen Teilen Deutschlands und ein polnisches Team bildeten ein bunt gemischtes Starterfeld. Beste Voraussetzungen also um das Ziel des Wettbewerbs mit innovativen Konzepten für ein rein (bio)chemisch angetriebenes Fahrzeug zu erreichen.
Sicherheit, Kreativität und Reproduzierbarkeit
Im Rahmen des ChemCar-Wettbewerbs stellen die teilnehmenden Teams ein von ihnen entwickeltes Fahrzeug mit innovativem chemischem Antriebskonzept vor und lassen sie in einem Rennen gegeneinander antreten. Sicherheit, Kreativität und Reproduzierbarkeit stehen dabei im Fokus des Wettbewerbs. Veranstalter des Wettbewerbs sind die kreativen jungen Verfahrensingenieure (kjVI), die VDI-GVC und die Dechema. Ziel des Wettbewerbs ist es eine am Wettbewerbstag ausgeloste Strecke zwischen 5 und 20 m mit einem ausgelosten Zusatzgewicht von 0-30 % möglichst genau in zwei Läufen zu erreichen. Zusätzlich wird das Konzept des Teams und die Sicherheit der Fahrzeuge durch eine Jury aus Sponsoren bewertet. Die diesjährigen Sponsoren waren die Firmen BASF, Bayer, Evonik, Inburex, InfraServ-Knapsack, Lanxess und Lonza.
Das Team der RWTH Aachen „Aixtreme VelociTeam“ arbeitete seit Januar 2015 am Institut der Aachener Verfahrenstechnik an der Ausarbeitung und Umsetzung des Konzepts. Dies erfolgte interdisziplinär unter der Mitwirkung von 8 Studierenden der Fachrichtungen Verfahrenstechnik und Konstruktionstechnik des Studiengangs Maschinenbau. Der größte Anreiz des Teams bestand darin, ein Getriebekonzept zu entwickeln, das ein bekanntes Problem der vergangenen ChemCar-Wettbewerbe löst. Da viele Teams in den letzten Jahren am hohen Anfahrmoment, sei es durch Unebenheiten oder veränderte Bedingungen des Bodens, scheiterten und somit keine Punkte in den Läufen holen konnten, setzte das Aachener Team auf ein stufenlos veränderliches Getriebe (CVT), das beim Losfahren die hohen Drehzahlen in ein hohes Moment übersetzt. Betreut wurde das Team von Dipl.-Ing. John Linkhorst und Jonas Lölsberg, M.Sc..
Modulares Konzept
Das Aachener ChemCar setzt sich aus den Modulen Reaktion, Pelton-Turbine und Getriebe zusammen. Dazu wurden in der Konzept- und der Umsetzungsphase Arbeitsgruppen gebildet, die sich intensiv mit jeweils einem Thema beschäftigten und die Einzelteile konstruierten und fertigten. Vor allem kamen dabei die institutseigenen 3D-Drucker zum Einsatz.
Die Reaktion
Das ChemCar, das auf den Spitznamen Lisbeth hört, wird durch eine katalytische Zersetzungvon Wasserstoffperoxid angetrieben. Hierbei wird durch den bei der Zersetzung entstehenden Sauerstoff Druck aufgebaut, der Wasser aus einem Wassertank verdrängt. Dieses Wasser wird dann über Düsen auf eine Pelton-Turbine geleitet, die den Wasserdruck in rotatorische Energie umsetzt und an das Getriebe und letztendlich die Reifen weiterleitet.
Die Reaktion findet in einem Reaktor statt, der über ein Nadelventil an den Eduktbehälter angeschlossen ist. Im Eduktbehälter befindet sich eine im Voraus auf die zu fahrende Strecke abgestimmte Menge 30%iger Wasserstoffperoxidlösung. Der Reaktor beinhaltet anfangs nur 10 g Eisen-III-Chlorid, das in 100 ml destilliertem Wasser gelöst wurde. Das Eisen-III-Chlorid ist der Katalysator der Wasserstoffperoxidzerlegung und regeneriert sich während der Reaktion immer wieder, sodass die Reaktionsgeschwindigkeit konstant bleibt. Um die Reaktion zu starten, kann das Nadelventil mittels eines Stellrades manuell geöffnet werden. Durch Variation der Ventilstellung wird somit die Zutropfgeschwindigkeit der Wasserstoffperoxidlösung direkt eingestellt. Somit kann festgelegt werden, wie schnell sich der Druck aufbaut. Zur Kühlung der stark exothermen Reaktion wird das Wasser aus der Turbine als Kühlmedium auf den Reaktor geleitet. Ein Überlaufbecken um den Reaktor sorgt für eine kontinuierliche Zirkulation des Wassers. Dadurch kann eine niedrige Betriebstemperatur des Reaktors gewährleistet werden.
Da vermieden werden sollte, dass Wasser aus dem Wassertank schon bei geringen Drücken auf die Turbine schießt, wurde ein spezieller Berstfolienmechanismus konstruiert. Über die Anzahl der Folien kann der Öffnungsdruck mit hoher Genauigkeit eingestellt werden.
Das Getriebe
Um das Problem des Anfahrmoments zu überwinden, wurde ein stufenloses Getriebe konstruiert. Vor allem im Falle des Aachener ChemCars ist das Anfahrmoment beachtlich, da Lisbeth immerhin 15 kg Leergewicht auf die Waage bringt. Das Getriebe hat anfangs eine geringe Übersetzung um das Anfahrmoment zu überwinden. Wenn das Auto dann Fahrt aufnimmt, schaltet ein an die Turbine gekoppelter, geschwindigkeitsgesteuerter Fliehkraftregler durch Verschieben eines Riemens auf eine höhere Übersetzung. Das stufenlose Getriebe hat zusätzlich den Vorteil, dass das Auto durch das Hochschalten höhere Geschwindigkeiten erreichen kann. Gleichzeitig kommt es aber auch schneller zum Stehen, wenn es langsamer wird. Aus diesem Grund können vorgegebene Strecken mit hoher Genauigkeit angefahren werden.
Der Verlauf des Rennens
Im direkten Vergleich der ChemCars traten die Teams der TU Łódż (Polen), TU Braunschweig, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), HAW Hamburg, TU Dortmund, TU Clausthal, RWTH Aachen und FH Münster gegeneinander an. Ausgelost wurde eine Strecke von 8,50 m, die mit einem Zusatzgewicht von 15 % zurückgelegt werden sollte. Bei beiden Teilen des Wettbewerbs wurden etwa gleich viele Punkte verteilt und somit war ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorprogrammiert. Es zählte von den beiden Versuchen der jeweils kleinste Abstand zur Zielmarke. Direkt im ersten Anlauf fuhr das ChemCar der RWTH Aachen mit 8,18 m genau an die vorgegebene Distanz heran und übernahm zunächst die Führung. Im zweiten Durchlauf steigerte sich das mit einem Peltier-Element betriebene ChemCar der FH Münster und fuhr noch näher an die Ziellinie heran. Es lag somit im zweiten Versuch an erster Stelle. Allerdings konnte das Aachener Team durch ihr innovativeres Verfahren, Umweltfreundlichkeit sowie das Sicherheitskonzept überzeugen und auf diesem Wege die entscheidenden Punkte ergattern. Das Team vom Dreiländereck überholte die FH Münster auf der Punkteliste knapp, den dritten Platz mit einer gefahren Strecke von 7,07 m gewann das Team vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Jubiläumsfilm von 4ffk-Media zum 10. ChemCar-Wettbewerb 2015: www.vdi.de/chemcar2015
Neue Regeln für den ChemCar-Wettbewerb im Neuen Jahr
Der nächste ChemCar-Wettbewerb wird am 14. September 2016 in Aachen im Rahmen der ProcessNet Jahrestagung ausgetragen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, das neue Regelwerk ist bereits publiziert. Die Teams, die sich daran beteiligen wollen, haben noch bis zum 4. April 2016 Zeit, ihre Konzepte einzureichen. Dabei ist zu beachten, dass sich die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb seit 2015 um einen wichtigen Punkt erweitert haben. Die Teams müssen nun auch ein Sicherheitskonzept für ihr ChemCar erstellen, das in die Bewertung eingeht.
Die Regeln im Überblick:
- Antrieb muss auf einer oder mehreren (bio) chemischen Reaktion(en) beruhen
- Elektrische Regelung ist nicht erlaubt
- Neu seit 2015: Die Teams müssen ein Sicherheitskonzept für Ihr ChemCar erstellen, das in die Bewertung eingeht
- Bewertet werden neben dem Rennergebnis, die Innovation, das Sicherheitskonzept sowie eine Posterpräsentation des ChemCar-Konzepts
- Ziel: Die ausgeloste Strecke zwischen 8 m und 17 m muss mit bis zu 30 % Zusatzgewicht möglichst präzise gefahren werden
- Gesamtpreis für die Gewinner: 3.500 €
Wettbewerb mit Tradition
Der ChemCar-Wettbewerb wird seit 2006 von den kreativen jungen Verfahrensingenieuren (kjVI) der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen organsiert. Das Organisationsteam wurde in den vergangenen Jahren von Dipl.-Ing. Jonas Krause und Niklas Wolters M.Sc., Doktoranden von Prof. Gerhard Schembecker an der TU Dortmund, geleitet. Zusammen mit den Sicherheitsexperten Dipl.-Ing Martin Gosewinkel und Dipl.-Ing Stefan Janssen-Weetz der Firma Inburex ist es ihnen gelungen, den ChemCar-Wettbewerb zu einem professionellen, spannenden und lehrreichen Event für die Studierenden weiterzuentwickeln.
Wechsel des Organisationsteams
Der ChemCar-Wettbewerb stellt zunehmend höhere Anforderungen an die Teilnehmer und die Organisatoren – auch aufgrund gesetzlicher Vorgaben und strenger Rahmenbedingungen wie Brandschutz- oder Veranstaltungsverordnung. Während das Thema Sicherheitstechnik an den Hochschulen und Universitäten zunehmend vernachlässigt wird, lernen ChemCar-Teilnehmer durch die neuen Regeln zur Sicherheitstechnik und deren praktische Umsetzung wichtige Grundlagen für die berufliche Zukunft. Betreut werden sie dabei von einem neuen Organisationsteam unter der Leitung von Dipl.-Ing. Katharina Schafner und Dipl.-Ing Marina Bockelmann von der TU Clausthal-Zellerfeld, die auch im Jahr 2016 von der Firma Inburex unterstützt werden.