Chemieunternehmen: Zyklizität reduzieren - erfolgreich bleiben
18.12.2011 -
Chemieunternehmen: Zyklizität reduzieren - erfolgreich bleiben
Das Geschäft vieler Chemieunternehmen ist stark zyklisch. Bei guter Konjunktur und niedrigen Rohstoffpreisen weisen sie hohe Profite auf, in Rezessionsphasen verlieren sie teilweise sogar Geld. Die Umsätze und Profite dieser Unternehmen unterliegen also starken Schwankungen. Dieses im Folgenden als Zyklizität bezeichnete Phänomen führt zu Problemen, die bis zur Existenzgefährdung einzelner Unternehmen reichen können. Außerdem ergeben sich bei öffentlich gehandelten Unternehmen auch Probleme in der Kommunikation mit den Anteilseignern.
Es ist daher das erklärte Ziel vieler Unternehmen, die Zyklizität ihres Geschäfts zu reduzieren:
- „Wir konzentrieren uns auf Geschäftsgebiete, die unser Portfolio widerstandsfähiger gegen Zyklizität machen” (BASF-Strategie)
- Die Akquisition von Schering wird unsere Abhängigkeit von zyklischen wirtschaftlichen Entwicklungen signifikant reduzieren (Bayer)
- „Zu den Eckpunkten unserer Zukunftsstrategie zählen die Konzentration auf die weniger zyklische ... Spezialchemie“ (Evonik)
Die grundsätzliche Frage, ob dieses Ziel eigentlich sinnvoll ist, soll hier nicht eingehend behandelt werden. Es sei aber darauf hingewiesen, dass die Reduktion der Zyklizität nicht in direktem Zusammenhang mit einer Erhöhung des Profits über den Gesamtzyklus hinweg steht. Vielmehr handelt es sich bei den im folgenden diskutierten Maßnahmen um solche, die die Umsätze und Profite im Zeitverlauf stabilisieren, aber nicht notwendigerweise steigern. Sie reduzieren die Wahrscheinlichkeit rapider Profiteinbrüche, aber verringern in ebensolchem Maße auch die Wahrscheinlichkeit sehr großer Gewinnsprünge.
Ursachen der Zyklizität
Chemieunternehmen – wie andere Unternehmen auch – erwerben am Markt Rohstoffe und anderen Input (zum Beispiel Arbeitskraft), führen eine wie immer geartete Umsetzung durch und verkaufen dann wiederum am Markt das Endprodukt. Damit ergeben sich verschiedene Faktoren, die entscheiden, wie stark ein Chemieunternehmen der Zyklizität ausgesetzt ist:
- Schwankungen der Rohstoffkosten (große Schwankungen z. B. bei Abhängigkeit von volatilem Ölpreis = tendenziell höhere Zyklizität)
- Nachfrage-/Preisschwankungen bei den Endprodukten mit den damit verbundenen Schwankungen bei den Endproduktpreisen und bei der Kapazitätsauslastung (große Schwankungen = tendenziell höhere Zyklizität)
- die am Markt bestehende Verbindung zwischen Rohmaterialkosten und Endproduktpreisen (enge Verbindung = tendenziell niedrigere Zyklizität)
- Höhe der Rohstoffkosten relativ zur Wertschöpfung des Unternehmens (hoher relativer Anteil der Inputkosten = tendenziell höhere Zyklizität)
Diese Faktoren sollen nun im Detail betrachtet und im Hinblick auf Maßnahmen zur Zyklizitätsreduktion analysiert werden.
Schwankungen der Rohstoffkosten Langfristige Einkaufsverträge zu festen Preisen sind eine einfache, aber nicht immer gangbare Möglichkeit der Absicherung gegen Preisschwankungen.
Für einige Basisrohstoffe der Chemie (z. B. Rohöl) lassen sich Preisschwankungen auch durch Hedging absichern. Hedging kann zum Beispiel durch Kaufoptionen zu einem bestimmten Preis geschehen. Dies ist allerdings mit Kosten verbunden.
Eine weitere Möglichkeit, Schwankungen der Inputkosten abzuschwächen, ist die vertikale Integration. Chemieunternehmen, deren Aktivitäten sich über mehrere Wertschöpfungsstufen erstrecken, also gewissermaßen ihre eigenen Rohstoffe produzieren, sind so bis zu einem gewissen Grad von Schwankungen der Marktpreise isoliert.
Schließlich kann schon bei der Wahl des Produktionsprozesses eine gewisse Absicherung gegen Rohstoffpreis- Schwankungen erfolgen, wenn ein in Bezug auf den Rohstoff flexibles Verfahren gewählt wird. Natürlich müssen in diesem Falle für die Kalkulation die möglicherweise höheren Kosten des flexiblen Verfahrens mitberücksichtigt werden.
Nachfrageschwankungen bei den Endprodukten
Durch eine Reihe von Maßnahmen lassen sich die Nachfrageschwankungen nach eigenen Produkten reduzieren:
- langfristige Absatzverträge garantieren eine stabile Nachfrage über einen längeren Zeitraum (müssen aber möglicherweise durch Margenverluste erkauft werden)
- die Konzentration auf Kundenindustrien mit niedriger Zyklizität (z. B. Nahrung, Pharma) reduziert potentiell ebenfalls die Nachfrageschwankungen
- eine Ausweitung der bearbeiteten Märkte (in Bezug auf Regionen, Produkte und Industriesegmente) reduziert im Sinne einer Risikostreuung die Abhängigkeit von Schwankungen in Teilmärkten
- flexible Produktionsanlagen (z. B. Batchproduktion statt kontinuierlicher Produktion) erhöhen zwar ggf. die Herstellungskosten, erleichtern aber den Produktwechsel bei Nachfrageschwankungen
- analog kann in der Regel auch ein Teil der eigenen Kosten flexibilisiert werden, z. B. durch Outsourcing bestimmter Funktionen wie Logistik
Verbindung zwischen Rohmaterialkosten und Endproduktpreisen
Der Einfluss zyklischer Ergebnisschwankungen lässt sich auch dann reduzieren, wenn das Chemieunternehmen die Kosten seiner Rohstoffe direkt an den Kunden weitergeben kann. Im Extremfall (vollständige Bereitstellung der Rohstoffe durch den Kunden) betreibt das Chemieunternehmen dann effektiv Lohnherstellung für den Kunden, wie dies z. B. die Firma Aldrich mit ihrer kundenspezifischen Synthese eines Füllers für einen Dentalmaterialienhersteller durchführt.
Statt ein Produkt zu einem schwankenden Preis zu verkaufen, wird ein Service zu einem festen Preis angeboten. Dieses Modell kann zum Beispiel auch in der Petrochemie (Cracken von Naphta als Service) oder in der Feinchemie (kundenspezifische Synthese eines Wirkstoffs) Anwendung finden. Es ist insbesondere dann für den Anbieter interessant, wenn seine Wertschöpfung im Vergleich zu den Inputkosten nur gering ist.
In abgeschwächter Form findet das Modell Anwendung, wenn nur die Kosten bestimmter, besonders teurer Rohmaterialien (z. B. Platin in Katalysatoren) direkt an den Kunden weitergegeben werden. In diesem Fall wird der Verkaufspreis zwischen Kunden und Chemieunternehmen zunächst ohne die Kosten des teuren Rohmaterials ausgehandelt. Diese Kosten werden dann anschließend zu den gerade aktuellen Marktpreisen hinzuaddiert. Dadurch ist das Chemieunternehmen zumindest von Preisschwankungen dieses Materials nicht mehr berührt.
Höhe der Rohstoffkosten relativ zur Wertschöpfung
Dies ist der wohl komplexeste, aber auch wirkungsvollste Hebel zur Reduzierung der Zyklizität. Grundgedanke ist hier, dass Schwankungen der Rohstoffkosten nur eine geringe Bedeutung für den Ertrag eines Unternehmens haben, wenn sie im Vergleich zum Umsatz nur gering sind.
Eine höhere relative Wertschöpfung des Unternehmens reduziert also die Auswirkung zyklischer Wirtschaftsentwicklungen. Möglichkeiten, dies zu erreichen, gibt es viele, und einige davon werden in den meisten Unternehmen der chemischen Industrie bereits genutzt (wenn auch weniger mit dem Gedanken der Zyklizitätsreduktion, sondern eher um Margen zu sichern oder zu erhöhen):
- Ausweitung des Dienstleistungsangebots (zum Beispiel Betrieb einer Kläranlage anstelle Verkauf von Chemikalien für die Abwasserbehandlung) – dies hat den zusätzlichen Vorteil intensivierter und daher stabilerer Kundenbeziehungen
- Vorwärtsintegration in Segmente/ Industrien, die näher am Endkunden liegen (Beispiel: PU-Hersteller steigt in das Systemgeschäft ein)
- Verschiebung des Portfolios in Richtung differenzierterer und innovativer Produkte, die für den Kunden einen höheren Wert schaffen und daher weniger preissensitiv sind
- Einführung des Value Pricing, d.h. Ermittlung des Verkaufspreises auf Basis des spezifischen Kundennutzens
Mit Hilfe der verschiedenen hier aufgeführten Maßnahmen lässt sich das Ausmaß der Zyklizität für ein Chemieunternehmen erheblich reduzieren. Dies beruht wie hier dargelegt auf zwei Kerngedanken, zum einen der Risikoreduktion (z. B. Präsenz in verschiedenen Industrien oder Regionen, Eingehen langfristiger Verträge), zum anderen der Ausweitung der Servicekomponente im weitesten Sinne (z. B. Fokussierung auf Services, auf Spezialchemie etc.).
Zu bedenken ist dabei jedoch, dass einige dieser Maßnahmen die Bereitschaft der Kunden voraussetzen, ihrerseits ein größeres Risiko auf sich zu nehmen. Insofern ist die Frage, in welchem Umfang und durch welche Maßnahmen die Zyklizität eines chemischen Unternehmens reduziert werden kann und soll, immer auch eine Frage der individuellen Gegebenheiten. Für eine firmenspezifische Optimierung ist somit auch eine individuelle Analyse erforderlich.
Diese kann – insbesondere bei großen Unternehmen mit stabilen Cashflows – durchaus auch ergeben, dass ein gewisses Maß an zyklischen Ergebnisschwankungen vertretbar ist. Dies gilt in besonderem Maße für die durch Private Equity erworbenen Chemieunternehmen. Diese sind aufgrund des reduzierten quartalsweisen Ergebnisdrucks in der Lage, den Gesamt-Return über den Zyklus ohne besondere Rücksicht auf zyklische Schwankungen zu optimieren.
Ergibt die Analyse jedoch, dass die Schwankungen ein als akzeptabel empfundenes Maß überschreiten, sollten die verschiedenen Maßnahmen auf ihre individuelle Anwendbarkeit und Wirksamkeit geprüft werden. Gegebenenfalls unter Einsatz eines externen Berates kann so eine adäquate Absicherung gegen Schwankungen im wirtschaftlichen Zyklus erfolgen.