Strategie & Management

Chemieunternehmen als Ökostromproduzenten

Durch grüne Stromproduktion können Chemiefirmen Kosten stabilisieren und ESG-Ziele erreichen

19.04.2023 - Angesichts steigender Energiepreise und zunehmender Nachhaltigkeitsanforderungen werden immer mehr Industrieunternehmen selbst zu Produzenten von grünem Strom.

Angesichts steigender Energiepreise und zunehmender Nachhaltigkeitsanforderungen werden immer mehr Industrieunternehmen selbst zu Produzenten von grünem Strom. Entsprechende Beteiligungen bieten auch der Chemiebranche die Chance, Kosten besser zu planen und gleichzeitig ihre ESG-Ziele zu erreichen. Voraussetzung dafür ist eine sorgfältige rechtliche Planung in diesem hochregulierten Segment.

Kaum ein Thema hat die chemische Industrie in jüngster Zeit so beschäftigt wie die Energieversorgung. Kostenexplosionen, eine schwankende Versorgungslage und behördliche Warnungen vor Blackouts drückten Produktion und Stimmung gleichermaßen. Mitte Dezember 2022 kostete Strom an der Leipziger Strombörse fast dreieinhalbmal so viel wie zwölf Monate zuvor. Bei einzelnen chemischen Produkten habe sich der Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten verfünffacht, berichten Branchenkenner.
Auch wenn die Preise jüngst etwas nachgaben, bezahlen deutsche Chemieunternehmen laut IGBCE für Strom und Gas etwa dreimal so viel wie die US-Konkurrenz. Folgerichtig konstatiert der jüngste Ifo-Geschäftsklimaindex für die chemische Industrie weiterhin eine Standortgefährdung durch die Energiekosten. Parallel dazu treiben eine zunehmende Regulierung und steigende Erwartungen von Investoren, Kunden und Konsumenten die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien voran. So wirken sich bspw. die angekündigten EU-Vorschriften für eine einheitliche ESG-Berichterstattung bereits heute auf die Kreditvergabe durch Banken aus. 
Vor diesem Hintergrund denken energieintensive Unternehmen verstärkt darüber nach, selbst zum „grünen“ Stromerzeuger zu werden. Ein solcher Schritt kann erheblich dazu beitragen, den eigenen Bedarf zu berechenbaren Preisen zu decken und gleichzeitig den Nachhaltigkeitsanforderungen gerecht zu werden. Dass diese Option auch für die Chemiebranche interessant sein kann, zeigt beispielhaft die Beteiligung der BASF an einem niederländischen Offshore-Windpark im vergangenen Jahr.

Ökonomie und Ökologie verbinden
Unternehmerisches Engagement bei erneuerbaren Energien erfolgt meist durch Beteiligung an einem Windpark, Solarpark oder an Biomassekraftwerken. Der hier erzeugte grüne Strom wird anteilig zunächst dem sog. „Bilanzkreis“ des Unternehmens, einem virtuellen Energiemengenkonto, gutgeschrieben, bevor der in den Werken verbrauchte Strom dem Bilanzkreis wieder entnommen wird. 
Fließt dagegen der Strom direkt an einen angeschlossenen Elek­trolyseur, kann das Unternehmen den hier erzeugten Wasserstoff als Produkt entweder weiterverkaufen, selbst abnehmen oder ihn in zu einem Folgeprodukt weiterverarbeiten. Eine solche Beteiligung geht im Regelfall mit langfristigen Liefervereinbarungen (sog. Power Purchase Agreements, PPAs) einher, welche – bei entsprechender Preisgestaltung – die Energiekosten von der hohen Volatilität des Spotmarkts abkoppeln und sie dadurch als wichtigen Kalkulationsfaktor wieder planbar machen. 
Gleichzeitig kann das Unternehmen Herkunftsnachweise dazu nutzen, seine ESG-Ziele zu erfüllen. Da neue Projekte zusätzliche grüne Energie produzieren, leisten sie einen echten Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz. Diese sog. Additionalität unterscheidet den Ansatz vom reinen Erwerb von Emissionszertifikaten, der in gewissem Sinne Graustrom lediglich umfärbt und daher bisweilen als „Green­washing“ kritisiert wird.

Sorgfältige Planung ist unumgänglich
Die Vorteile eines unternehmerischen Engagements in der Energiegewinnung in Form stabiler Preise, der Erfüllung von ESG-Vorgaben und insgesamt höherer Planungssicherheit sind offensichtlich. Allerdings stellt die Energieerzeugung für klassische Industrieunternehmen strategisches und operatives Neuland dar, auf dem sie Marktkenntnisse, Fachwissen und Kompetenzen erst erwerben oder einkaufen müssen.
Eine naheliegende Option besteht darin, mit Partnern aus der Energiebranche zu kooperieren – einen Weg, den im o. g. Beispiel auch die BASF gemeinsam mit Vattenfall eingeschlagen hat. Welche Konstellation auch gewählt wird: Um den Weg hin zur „Chemiefirma als grüner Strom­erzeuger“ erfolgreich zu bestreiten, sind umfassende Planung und präzise Umsetzung mit Blick vor allem auf rechtliche Details zwingend notwendig.

Regulatorische Herausforderungen antizipieren
Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil der Energiemarkt stark reguliert ist. So werden bspw. überschüssige Strommengen, die aufgrund der Volatilität erneuerbarer Energien auftreten, am Energiemarkt verkauft. Hier muss der Teilhaber sorgfältig darauf achten, nicht ungewollt zu einem Energieversorger im Sinne des Energiewirtschaftsrechts zu werden, weil er sonst erhebliche zusätzliche regulatorische Anforderungen erfüllen müsste. 
Ein Joint Venture mit einem Partner, der Interesse an der bilanziellen Konsolidierung des Projekts hat, kann über die Gestaltung der Gesellschafteranteile dieses Risiko eliminieren – wobei gleichzeitig darauf zu achten ist, dass das partizipierende Chemieunternehmen möglichst großen Nutzen aus den ESG-Zertifikaten ziehen kann. 
Die Einspeisung der gewonnenen Energie birgt weitere Risiken, weil die geltenden Vorschriften eine Trennung von Energieerzeugung und -übertragung verlangen. Bei nachlässiger Planung können Investitionen in Erzeugungsanlagen ungewollt einen „Entflechtungsfall“ darstellen, wenn dasselbe Unternehmen bereits Übertragungs- oder Verteilernetze betreibt. In einem solchen Fall drohen behördliche Auflagen bis hin zum erzwungenen Verkauf einzelner Assets.

Kapitaleinsatz intelligent steuern
Mit Investitionssummen, die typischerweise von hohen zweistelligen bis mittleren dreistelligen Millionenbeträgen reichen, sind Energieerzeugungsprojekte recht kapitalintensiv. Die aus dem Geschäftsbetrieb gewohnte Finanzierung über klassische Kredite kann schwierig werden, weil sich der Grad an Planungs- und Realisierungssicherheit, den Banken üblicherweise erwarteten, nicht immer erreichen lässt. Das gilt insbesondere für kombinierte Projekte, die neben der Stromerzeugung auch der Wasserstoffherstellung dienen, weil hier noch relativ wenige Erfahrungswerte vorliegen.
Allerdings ist der Markt für die Entwicklung grüner Energieprojekte unter Investoren hart umkämpft. Entsprechend hohes Interesse haben diese an Projekten, in die sie bereits zu einem frühen Zeitpunkt mit Eigenkapital einsteigen können. Daraus ergeben sich interessante Möglichkeiten. Wer dabei die hohen Investitionskosten teilweise von der eigenen Bilanz auf finanzierende Partner verlagern möchte, muss rechtliche Strukturen wählen, die langfristig stabile Kapitalströme sichern.
Ergänzend sollte geprüft werden, ob man auf staatliche Fördermittel zugreifen oder, bei Projekten im Ausland, Exportkreditversicherer einbinden kann. Auch dies bedarf sorgfältiger Recherche und Vorbereitung. Nicht zuletzt korres­pondiert die Finanzierungs- und Vertragsstrategie auch mit dem operativen Betrieb. So besteht bspw. ein latenter Interessenkonflikt zwischen den Gesellschaftern der Erzeugergesellschaft, die sich an der Kapitalrendite orientieren, und dem Unternehmen als Bezugskunde, das möglichst günstig einkaufen möchte. Hier ist ein vertraglicher Ausgleich zu suchen, der die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.


Fazit
Die Beteiligung an grüner Energieerzeugung bietet Chemieunternehmen die Möglichkeit, ihren hohen Versorgungsbedarf zu planbaren Kosten zu decken und gleichzeitig ihren ESG-Verpflichtungen gerecht zu werden. 
Voraussetzung dafür ist eine optimale rechtliche und finanzielle Strukturierung, die spätere Überraschungen in der Umsetzung und im Betrieb vermeidet. Dafür sollten Partner hinzugezogen werden, die über Erfahrung mit der einschlägigen Regulierung, dem komplexen Strommarkt und der Realisierung entsprechender Projekte verfügen.


Maximilian Boemke, Partner und Thomas Hollenhorst, Partner, Watson Farley & Williams, Hamburg

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