Strategie & Management

Chemie 4.0 – Erfolgsfaktoren der Zukunft

VCI-Studie: Digitalisierung und Stoffkreisläufe fördern nachhaltiges Wirtschaften

06.10.2017 - Globalisierung und Spezialisierung zählten seit den 1980er Jahren zu den wesentlichen Wachstumstreibern der deutschen Chemieindustrie.

Durch diese Strategien und die Fokussierung aufs Kerngeschäft gelang es deutschen Chemieunternehmen bisher, im internationalen Wettbewerb mit der Chemieindustrie in aufstrebenden Regionen mit reichen Rohstoffvorkommen und niedrigen Energiekosten zu bestehen. Doch die Geschwindigkeit des technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs hat rasant zugenommen. Neue Strategien sind gefragt. Welche sind die Erfolgsfaktoren der Zukunft für die deutsche Chemie? Damit befasst sich der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in einer aktuellen Studie, die in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen Deloitte erstellt hat.
 

„Die Erfolge der Vergangenheit sind kein Garant für eine erfolgreiche Zukunft“, sagte VCI-Präsident Dr. Kurt Bock bei der Vorstellung der Studie Ende September in Frankfurt und prophezeite der Branche eine vierte industrielle Revolution. Nach Gründerzeit und Kohlechemie (Chemie 1.0), dem Aufkommen der Petrochemie (Chemie 2.0), der zunehmenden Globalisierung und Spezialisierung (Chemie 3.0) trete die Industrie in die neue Phase der Chemie 4.0 ein, in der die Themen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und zirkuläre Wirtschaft eine Schlüsselrolle spielen. Nachhaltigkeit und ethische Standards werden zunehmend wichtiger für die Kunden der Chemieindustrie. Ein Ziel der Branche ist es daher, alle Möglichkeiten, mit denen endliche Ressourcen geschont werden können, auszuschöpfen. Das Zusammenspiel zwischen Digitalisierung und zirkulärer Wirtschaft eröffnet dabei neue Möglichkeiten. „Chemie 4.0 bietet Chancen für den Pharma- und Chemiestandort Deutschland, seine globale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Unsere Innovationen können entscheidend zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft beitragen“, sagte Bock.
 

Zirkuläre Wirtschaft, mehr als Recycling

In diesem Kontext gewinnen geschlossene Stoffkreisläufe an Bedeutung. Doch noch ist der Anteil der Materialien, die im Kreislauf geführt werden, gering. Nach Angaben des Fraunhofer Instituts liegt der Recycling-Anteil weltweit bezogen auf eine gesamt eingesetzte Materialmenge von 62 Mrd. t bei ca. 6,5 %; in der EU-27 liegt er bei 13 %. Und auch in Deutschland – wo immerhin 5,9 Mio. t Kunststoffabfall nahezu vollständig stofflich (46 %) oder energetisch (53 %) verwertet werden – ist der Gesamtgrad der Zirkularität noch gering: Im Jahr 2014 betrug er ca. 17 %. Die Chemieindustrie kann mit ihren Technologien, Produkten und Geschäftsmodellen wesentlich dazu beitragen, die Entwicklung vor­anzutreiben und weitere Stoffkreisläufe zu schließen. Das Konzept einer zirkulären Wirtschaft, wie es die Autoren der aktuellen VCI-Studie verstehen, reicht dabei weit über klassisches Rohstoff-Recycling hinaus. 
 

Chemie im Umbruch

Deshalb habe man auch bewusst den Begriff der Kreislaufwirtschaft vermieden, der oft mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz des deutschen Abfallrechts in Verbindung gebracht wird. Zirkuläre Wirtschaft umfasst alle Beiträge zur Schonung von Ressourcen. Dazu zählen neben klassischem Recycling auch Aktivitäten, um die Ressourceneffizienz in allen Stufen der Wertschöpfungskette zu steigern oder die Lebensdauer von Pro­dukten und Komponenten zu erhöhen und somit den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. All dies wird die Produktportfolios, Wertschöpfungsstrukturen und Geschäftsmodelle der Chemieindustrie maßgeblich verändern. Nach Angaben des VCI besitzt die Branche hier eine Reihe strategischer Optionen für die Zukunft: Hochleistungswerkstoffe, um den Ressourcenverbrauch bei den Kunden zu reduzieren, verstärkter Einsatz nachwachsender Rohstoffe und biologisch abbaubarer Produkte, Gewinnung von Basischemikalien in Bioraffinerien, Nutzung von Abfall als Rohstoff („Waste-to-Chemicals“) und von Stromüberschüssen zur Herstellung von Chemikalien („Power-to-X“) sowie die Verwertung von CO2 als Rohstoff. Viele der Techniken haben bereits Marktreife erlangt, doch der Markt lässt wegen höherer Kosten im Vergleich zu den konventionellen ­Methoden noch auf sich warten. „Der Weg hin zu umfassendem zirkulären Wirtschaften erfordert einen langen Atem von den Unternehmen. Sie haben zwar bereits Pilotanlagen für solche Lösungen aufgebaut – aber wirtschaftlich lassen sich heutzutage die wenigsten dieser Anlagen betreiben“, sagte Bock.
 

Chemieindustrie investiert 1 Mrd. EUR in die Digitalisierung

Zwar werde die chemische Indus­trie immer eine Branche bleiben, die mit Stoffen und Materialien arbeite und dieses klassische Chemiegeschäft werde auch künftig bestand haben, sagte Bock, betonte aber zugleich die Bedeutung neuer, digitaler Geschäftsmodelle für die Branche, z. B. im Bereich der modernen Landwirtschaft oder des Gesundheitswesens: „Indem wir künftig digitale Massendaten nutzen, kann unsere Branche ihre Rolle in den Wertschöpfungsketten erweitern und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Die Verknüpfung von digitalen Dienstleistungen mit Produkten der Chemie- und Pharmaindustrie ist der Schlüssel für zusätzliche Wertschöpfung.“ Um dieses Potenzial zu heben, planen deutsche Chemieunternehmen in den nächsten drei bis fünf Jahren über 1 Mrd. EUR in Digitalisierungsprojekte und neue digitale Geschäftsmodelle zu investieren.
 

Chemie 4.0 – eine Chance für den Mittelstand

Die strategische Bedeutung der ­Digitalisierung ist im chemisch-pharmazeutischen Mittelstand angekommen. Dies ergab eine Umfrage unter 124 mittelständische Unternehmen, die Deloitte im Rahmen der Studie umsetzte: Mehr als die Hälfte der befragten Führungskräfte gab an, sich intensiv mit den Auswirkungen zu beschäftigen. Die Thematik ist dabei positiv besetzt, überwiegend werden Chancen gesehen. Das bestätigte auch Henrik Follmann, Vorsitzender des Ausschusses Selbständiger Unternehmer im VCI: „Digitale Prozesse und Betriebsmodelle gehören bereits heute schon zum Alltag vieler Mittelständler in der Chemie.“ Dieser Trend wird sich fortsetzen, denn die Hälfte der Unternehmen plant umfangreiche Investitionen in die Digitalisierung ihrer Prozesse und Geschäftsabläufe. Auch digitale Geschäftsmodelle stehen bei vielen Mittelständlern auf der Agenda: Rund 40 % planen, in den kommenden Jahren digitale Geschäftsmodelle einzuführen, so das Ergebnis der Umfrage. „Das zukünftige Geschäftsumfeld eröffnet gerade dem Mittelstand neue Möglichkeiten, da in Zukunft weniger die Größe als Flexibilität und Geschwindigkeit eine entscheidende Rolle in den ökonomischen Netzwerken spielen werden“, sagte Follmann. Die neuen Chancen wollen die Unternehmen vor allem durch Innovationen nutzen. Um bei der Komplexität der Veränderungen ihre Innovationskraft zusätzlich steigern zu können, setzen die kleinen und mittleren Unternehmen zunehmend auf Kooperationen. Drei Viertel arbeiten bei lnnovationsprojekten eng mit Lieferanten, Kunden, Hochschulen oder Forschungsinstituten zusammen.

Hier finden Sie die Kurzfassung und hier die Langfassung der Studie „Chemie 4.0 - Wachstum durch Innovation in einer Welt im Umbruch“.

 

Kontakt

VCI - Verband der Chemischen Industrie e.V

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