Logistik & Supply Chain

BVL-Chemielogistikforum: Partnerschaft, Digitalisierung und Energiekonzepte

Große Herausforderungen aber auch Möglichkeiten erwarten die Chemielogistik

24.10.2022 - Challenges and opportunities fort the chemical industry – lautete die Überschrift des BVL-Chemielogistikforums, das in diesem Jahr im belgischen Gent stattfand.

Die Fachtagung bestätigte, dass die gegenwärtigen Herausforderungen gewaltig sind – sowohl für die chemische Industrie als auch für die zugehörige Logistik. Sie zeigte aber auch, dass die Möglichkeiten, den Herausforderungen entgegenzutreten, zahlreich sind.

Beim letzten Forum Chemielogistik 2019 – noch vor der Coronapandemie und der Ukrainekrise – ging es thematisch um den effizienten Einsatz von Ressourcen also fast schon vorausschauend, auf das, was uns die Jahre danach erwarten sollte. 2022 hatte die Bundesvereinigung Logistik (BVL) die Chemielogistiker nun nach Gent in Belgien geladen, um die aktuellen und kommenden Herausforderungen für die Branche in Vorträgen und Diskussionen zu erörtern.

Am ersten Tag der zweitägigen Veranstaltung hatten die Teilnehmer Gelegenheit, an einer Führung durch das beeindruckend große Gefahrstofflager mit trimodalem Anschluss des Logistikunternehmens H.Essers teilzunehmen. Gleich im Anschluss an diese Tour bot sich die Gelegenheit einer kurzweiligen, informativen Schifffahrt entlang des Terneuzen-Gent-Kanals, an dem sich der North Sea Port länderübergreifend (Niederlande/Belgien) erstreckt und an dessen Ufern zahlreiche Industrie­unternehmen, u.a. aus der Chemie-, Stahl- und  Automobilindustrie, angesiedelt sind. In den kommenden Jahren soll sich das Gelände entlang des Kanals strukturell und vor allem mit Blick auf Kreislaufwirtschaft wandeln.

Nach diesen vielen, informativen Eindrücken fand der erste Abend seinen Ausklang in der festlichen Genter Oper bei einem lockeren Get-together.

Partnerschaften verbessern

Mit der nicht ganz ernst gemeinten Ankündigung, dass keiner den Saal verlassen dürfe, bevor nicht alle aufgeworfenen Fragen des Tages beantwortet und gelöst seien, begrüßte Klaus-Peter Jung, Miebach Consulting, das Auditorium. Jung war für den aus familiären Gründen verhinderten Christoph Meyer, BVL, als Moderator eingesprungen.

Den Start in den Forumstag machte Leo Kuetten, DuPont de Nemours mit seinem Vortrag „Current logis­tics challenges and the importance of strategic partnerships in volatile times”. Kuetten erinnerte zunächst an unvorhergesehene Ereignisse, die sich in den vergangenen Jahren äußerst ungünstig auf die weltweite Logistik ausgewirkt haben, wie der Eissturm in Texas im Februar 2020, die Blockade des Suezkanals im selben Jahr, die Zero-Covid-Anordnung in China und zuletzt und andauernd der Krieg in Südost-Europa. In Anbetracht all dieser widrigen Bedingungen sei ein solides Supplier-Relationship-Management unerlässlich, d.h. gegenseitiges Vertrauen und der Aufbau langlebiger Beziehungen, sowie lösungsorientiertes Handeln in Problemsituationen. Besonders wichtig, sei es hierbei, die Partner in alle kritischen Geschäftsprozesse miteinzubinden, betonte er abschließend.

Nach den Häfen Rotterdam und Antwerpen sei der North Sea Port mittlerweile die Nummer drei in Europa, was die Wertschöpfung anbelangt, erläuterte Daan Schalck, North Sea Port, der Gastgeber für das diesjährige Chemielogistikforum, die heutige Rolle des Hafens. Es ginge nicht mehr alleine um eine Volumensteigerung, sondern um eine Wertschöpfung im Hafen. Er betonte, dass sich das Rohstoffgeschäft aufgrund vermehrter Kreislaufwirtschaft verändern werde und Wasserstoff auch ein Thema im Hafen werden würde. Er plädierte für bessere Partnerschaften, da sie die einzig sinnvolle Investition in die Zukunft seien, doch manchmal ginge es natürlich auch um Geld und Margen, betonte er mit einem Augenzwinkern.

 

„Das Rohstoffgeschäft wird sich aufgrund vermehrter Kreislaufwirtschaft verändern.“

 

Digitalisierung in der Praxis

Unter dem Titel „Hands on digitization in chemical logistics – insights on small and larger transformation projects” sprach Victor Kaupe, BASF Coatings, ganz konkrete Projekte an. Manuelle Prozesse wurden hierbei durch digitale Unterstützung vereinfacht, beschleunigt und am Ende auch kostengünstiger gestaltet. Dabei achtete man sehr stark darauf, die Belegschaft bei allen Schritten mit einzubinden. In diesen Projekten wurden bspw. IoT-Service-Buttons für die Intralogistik entwickelt oder Smart IBC Sensoren für die Füllstandsmessung von IBCs. Das Projekt „Gate end-to-end“ hatte z.B. zum Ziel, die Checklisten aller Lkw-Prozesse zu digitalisieren. Bei allen Projekten sei stets oberste Prämisse: Keep it simple.
Eine neue Studie, stellte Frank Jenner, Ernst & Young, vor. Um stabile Aussagen zu erhalten, wurde der Personenkreis für die Studie „DigiChem SurvEY 2022 – digital transformation in a global comparison” über den Befragungszeitraum möglichst gleich gehalten. Aus den umfangreichen Ergebnissen griff Jenner beispielhaft einige heraus. Bemerkenswert war z.B., dass im Asien/Pacific-Raum selbst kleine und mittlere Unternehmen sehr stark in die Digitalisierung investieren, um in den Weltmarkt zu gelangen. Das größte Hindernis für eine fortschreitende Digitalisierung sieht man im mittleren Osten in der mangelnden technischen Infrastruktur und in Europa am Mangel an qualifiziertem Personal.

Digitalisierung war auch Gegenstand der Diskussion zum Thema: „How far will data sharing impact on logistics and enable further digitization? – First-hand insights on motivation and pilot experiences with „Loady”.

Elzbieta Wiankowska, Chemovator, stellte zunächst die industrieweite Plattform „Loady“ vor, die dazu dient, Be- und Entladeanforderungen verlässlich zu kommunizieren. Dadurch lässt sich das komplette B2B Transportwesen, vom Frachteinkauf bis hin zur Lieferung, vereinfachen. An der Diskussion nahmen Carsten Felber, BASF Polyurethanes, Michael Koch, von Bertschi, Sebastian Tiede, Evonik Logistics Services, und Frederic Carrero Vila, BASF Espanola teil. Man war sich einig, dass sich Verladeprozesse über die Plattform einfacher managen lassen, insbesondere bei vielen unterschiedlichen Verladepunkten.

 

„Geopolitische Konflikte beherrschen den makroökonomischen Ausblick.“

 

Bausteine neuer Energiekonzepte

„Die Stahlproduktion wird in der Zukunft steigen und auch die CO2-Emissionen werden steigen“, so Wim van der Stricht, ArcelorMittal Corporate. In seinem Referat „Steel – Reshaping the circular economy” stellte er zwei Demonstrationsprojekte von ArcelorMittal vor, die aus vorgenannten Gründen eine CO2-neutrale Stahlproduktion unterstützen sollen. Im Torero-Projekt wird aus Holzabfällen Biokohle hergestellt, die anschließend im Reduktionsprozess zur Stahlherstellung eingesetzt werden soll. Im Steelanol-Projekt wird in entsprechenden Bioreaktoren aus Gichtgasen, die bei der Stahlproduktion anfallen, z.B. Ethanol gewonnen. Für beide Verfahren sollen entsprechende Anlagen noch in 2022 fertig gestellt sein.

Mit seinem Vortrag „Waste-based biofuels outlook: sourcing, location and technology” ging Giovanni Gianni, Cargill zunächst auf das Für und Wider einer Nutzung von Nahrungsmittelpflanzen wie Raps für Bio-Kraftstoffe und die hierfür geltende RED (Renewable Energy Directive) ein. Die Nutzung von Bioabfällen ist aus humanitären Gründen allerdings vorzuziehen, doch sei die Logistik hierfür wesentlich komplizierter. Vielfach verstünden auch lokale Politiker weder die Konzepte noch die Vorteile. Er stellte das Cargill-Bauprojekt einer Fabrik zur Herstellung von Biodiesel aus flüssigen Öl- und Fettabfällen vor. „Abfall ist das neue Gold”, formulierte er einen gängigen Slogan um.

„Wasserstoff wird weltweit am meisten genutzt in der Gent-Region“, statuierte André Jurres, VoltH2 Operating gleich zu Beginn seines Referats „Green hydrogen – the missing link”. Es seien neue Ansätze zur Energiegewinnung nötig, das zeige nicht nur die momentane Gasknappheit. Da aber Wind- und Solarenergie nicht stetig sind, sei Energiespeicherung unumgänglich. Mit erneuerbaren Energien gewonnener Wasserstoff, der dann grüner Wasserstoff genannt wird, sei hierfür die naheliegendste Lösung. Wasserstoff hat gerade für die chemische Industrie große Bedeutung in der Ethanol- und Ammoniak-Synthese, als Prozessheizquelle sowie im Bereich Power to X. Seine abschließende Empfehlung: Weniger Energie verbrauchen ist die Parole.

 

Digitalisierung im Chemikalientransport

Für eine Verbesserung der Logistiktransportabfertigung steht Trusted Carrier (TC). Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) hat hierfür ein offenes, universelles Interface zwischen Industrie und Transportpartnern geschaffen. Dirk Saile, BGL, stellte in seinem Vortrag „The BGL initiative for an open, universal interface between industry and transport partners” die Initiative vor, die zunächst in der chemischen Industrie (CTC) implementiert wurde. Die bisherigen Abfertigungsverfahren seien sehr zeitaufwendig, da zunächst alle Transportdaten auf Konformität geprüft werden müssten und erst dann physisch ins Chemieunternehmen eingefahren werden könnte. TC liefere hier alle Daten – digital und geprüft – so dass komplett digital abgefertigt werden könne. Besonders die Abfertigung von Gefahrgut sei dadurch vereinfacht und verkürzt (s. hierzu CHEManager 2/2022, S. 22).

Die Lage bleibt angespannt

Mit sehr düsteren Aussichten konfrontierte Hans Dewachter, KBC Group das Auditorium in seinem “Global macroeconomic outlook“ zum Abschluss des Forumstages: „Geopolitische Konflikte beherrschen den makroökonomischen Ausblick.“ Die negative Situation in Bezug auf Lieferketten aber auch der Nachfrageschock scheinen sich zu manifestieren. So habe China mit einem Immobilien- aber auch mit einem Covidschock zu kämpfen. Es gäbe weltweit zudem bereits genügend Probleme zu lösen wie die Klimathematik oder das Bevölkerungswachstum. Die Inflation weite sich aus und werde für längere Zeit hoch bleiben, besonders im Energie-abhängigen, europäischen Wirtschaftsraum. Stagflation bleibe der makroökonomische Ausblick.

Nach diesen trüben Aussichten verabschiedete Anne Suhling von der BVL die Teilnehmer des Forums mit einem hoffnungsvollen: „Bessere Zeiten werden kommen.“

Autorin: Sonja Andres, CHEManager

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