Biomasse – Rohstoff mit Zukunft?
Nachwachsende Rohstoffe: Der Einsatz kommt in der chemischen Industrie kommt nur schleppend voran
Während die Produktion von Biomasse für die energetische Nutzung als Kraft- oder Brennstoff in den vergangenen Jahren deutlich stieg, bleiben die Mengen, die als Rohstoff für Industrieproduktion dienen auf geringem Niveau. Rund 2,7 Mio. t nachwachsende Rohstoffe setzte die Chemiebranche in Deutschland im Jahr 2011 zur Herstellung ihrer Produkte ein. Der Verband der Chemischen Industrie prognostiziert einen Anstieg um 50% bis ins Jahr 2030. Dr. Andrea Gruß sprach über diese Entwicklung mit Michael Carus, Geschäftsführer des Nova-Instituts in Hürth bei Köln.
Welche Rolle spielt die stoffliche Nutzung von Biomasse in Deutschland?
M. Carus: In Deutschland werden etwa 2,3 Mio. ha für den Anbau von Biomasse genutzt, das sind rund 14% der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Auf diesen Flächen werden zu etwa 90% Energiepflanzen angebaut und nur zu 10% Pflanzen zur industriellen, stofflichen Nutzung. Das war früher anders: Ende der 1990er Jahre wurde doppelt so viel Biomasse stofflich genutzt wie energetisch. Während sich der Anbau von Energiepflanzen durch die Förderungen der EU verzehnfacht hat, stagniert die stoffliche Nutzung auf dem Niveau von 1995.
Wie bewerten Sie diesen Trend?
M. Carus: Die Prozesswege bei der energetischen Nutzung sind kurz: Ich stelle Holzpellets her und verbrenne sie. Wenn ich dagegen aus Biomasse Chemikalien oder Kunststoffe produziere, sind deutlich mehr Arbeitsschritte notwendig und es wird eine höhere Wertschöpfung erzielt. Studien kommen auf einen Faktor fünf bis zehn pro Tonne Biomasse für den Bruttoumsatz und die Bruttobeschäftigten bei der stofflichen im Vergleich zur energetischen Nutzung.
Wenn wir produzieren würden, was mehr Wert hat, müssten wir weniger subventionieren, um marktfähige Produkte zu erhalten. Dieses Dilemma haben die Verantwortlichen in Brüssel durchaus erkannt. Doch die Europäische Union kann aufgrund der unterschiedlichen Interessen ihrer Mitgliedsstaaten diesem Trend – der durch fehlgeleitete Subventionen verursacht wurde – nur langsam entgegenwirken.
Warum hat sich die Chemiebranche nicht früher und stärker für bessere Rahmenbedingungen für die Nutzung von Biomasse engagiert, wie zum Beispiel die Energiebranche?
M. Carus: Produzenten von Biogas, Strom oder Benzin können ihr Geschäft nicht einfach ins Ausland verlagern. Sie müssen diese Energieträger regional anbieten. Deshalb kämpft die Branche viel stärker für die Rahmenbedingungen in Europa. Die Chemieindustrie hingegen ist stark globalisiert. Sind die Rahmenbedingungen für Biomasse in Europa schlecht, verlagert sie ihre Investitionen ins Ausland, zum Beispiel in die USA, nach Kanada, Brasilien, Malaysia, Thailand oder China – Länder, in denen es bereits spezielle Fördermaßnahmen für bio-basierte Chemikalien und Kunststoffe gibt.
Fehlgeleitete Subventionen haben zur Stagnation der stofflichen Nutzung von Biomasse in Europa beigetragen. Welchen Beitrag leisten Nichregierungsorganisationen?
M. Carus: NGOs können einen wichtigen Beitrag leisten – aber nicht alle sind wirklich an besseren Lösungen für die Industrie interessiert. NGOs haben in Europa oft einfach Recht. Auch wenn sie schlechte oder falsche Argumente bringen, werden diese von Politik und Öffentlichkeit ernst genommen. Das ist in zum Beispiel in den USA anders.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
M. Carus: Die Teller-Tank-Diskussion ist eines. Hier gibt es real nur wenige Konflikte. Sie werden herbeigeredet und hochgekocht. Um ein Beispiel zu nennen: Für die Produktion von Biopolymeren wird eine geringe Menge von wenigen 100.000 t Stärke eingesetzt. Dagegen werden 8 Mio. t Stärke für die Papierproduktion verbraucht. In einer Papiertüte ist oft mehr Stärke enthalten als in der Tüte aus Biokunststoff. Doch das interessiert viele NGO nicht, weil sie hiermit keine öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen können. Will dagegen ein kleiner, neuer Sektor Stärke nutzen, ist er plötzlich Schuld an dem Hunger der Welt. Das ist keine seriöse Diskussion.
Ein andere Punkt, der bei der Food-Diskussion zu berücksichtigen ist: Würde mehr Weizen in Kunststoffen eingesetzt, gäbe es weltweit mehr Anbaufläche für Weizen. Damit stiege auch die Versorgungssicherheit in Krisenzeiten, denn in der Krise würde der Weizen immer zuerst in die Lebensmittelproduktion fließen und nicht in die Energie- oder Chemieproduktion. Wenn die Industrie aber gar keinen Weizen nutzt, kann ich ihr diesen auch nicht abnehmen.
In Brasilien nutzt man diesen Effekt bereits. Wenn der Zucker knapp wird am Lebensmittelmarkt, wird die Quote für die Bioethanolproduktion innerhalb weniger Wochen gesenkt. Ist genügend Zucker vorhanden, steigt sie wieder. Die Brasilianer stabilisieren mit einer flexiblen Quote den Markt zwischen Food, Energy und Chemicals. Es geht also nicht darum, ob Quote oder nicht, sondern wie die Quote real angewendet wird. Starre Quoten über zehn oder mehr Jahre können den Markt eher negativ beeinflussen.
Starre Quoten gibt es zum Beispiel in Europa.
M. Carus: Genau. Hier sind die Quoten für die Landnutzung noch bis zum Jahr 2020 festgeschrieben: 20% des gesamten Energiebedarfs und 10% des Kraftstoffmarktes muss bindend mit erneuerbaren Energien gedeckt werden und das sind im Kraftstoffbereich vor allem Biokraftstoffe. Nach 2020 werden EU-Kommission und EU-Parlament diese Quoten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr aufrechterhalten. Die Mitgliedsstaaten werden selbst entscheiden, wie sie hier steuern wollen. Wir erwarten, dass Länder wie Holland, Belgien, Frankreich und Italien der stofflichen Nutzung sehr viel mehr Raum geben werden. Deutschland hingegen wird vermutlich die derzeitigen EU-Quoten national fortsetzen.
Bereits 2017 läuft das Quotensystem für Zuckerrüben aus. Dann können Bauern so viele Zuckerrüben produzieren wie sie wollen. Es gibt Studien, die einen deutlichen Anstieg der Zuckerrübenanbaufläche vorhersagen. Zucker wird billiger werden und im Überfluss vorhanden sein – von bis zu 4 Mio. t zusätzlichem Zucker ist die Rede. In Holland ist die Zuckerindustrie daher schon heute sehr interessiert daran, Zucker als Rohstoff zu nutzen, zum Beispiel für die Produktion von bio-basierte Polymeren wie z.B. Polylactiden, abgekürzt PLA.
Welche Bedeutung hat Biomasse als Rohstoff für die Chemieindustrie?
M. Carus: Große Chemiekonzerne haben in der Regel spezielle Sektoren bzw. Abteilungen, die Entwicklungen auf Basis von Biomasse vorantreiben und damit auch bereits Geld verdienen. Bayer MaterialScience wurde zum Beispiel im April mit einem Innovationspreis für den ersten Lackhärter aus Biomasse ausgezeichnet, Evonik stellt verschiedene Polyamide auf Basis von Rizinusöl her und BASF ist unter anderem bei bioabbaubaren Mulch-Folien sehr aktiv.
Gemessen am Umsatz des Gesamtkonzerns entfällt auf diese Produkte aber in der Regel nur ein kleiner Anteil von vielleicht 5%. In der Gesamtfirmenstrategie spielt Biomasse daher meist keine bedeutende Rolle. Es gibt keine erklärten Unternehmensziele wie: Wir wollen den Anteil an Bioprodukten von 5% auf 10% erhöhen. Die geringe Bedeutung der Biomasse mag auch ein weiterer Grund dafür sein, dass sich die Branche bislang nicht stärker für bessere Rahmenbedingungen der Biomassenutzung engagiert hat.
Die erdölbasierte Chemie zeichnet sich durch eine hohe Rohstoffeffizienz aus. Gilt das auch für den Einsatz nachwachsender Rohstoffe? Wie viel der ursprünglich eingesetzten Biomasse landet im Endprodukt?
M. Carus: Grundsätzlich gibt es verschiedene Wege, nachwachsende Rohstoffe stofflich zu nutzen. Abhängig davon liegt der Anteil der Biomasse, die im Produkt landet, bei 5% bis 100%. Wir entwickeln hierzu gerade eine Kennzahl, die „Biomass Utilization Efficiency“, kurz BUE. Je geringer die Kennzahl, desto ineffizienter ist die Biomassenutzung und desto größer die Anbaufläche, die benötigt wird.
Wenn sie pflanzliche Rohstoffe „klein hacken“, um den Kohlenstoffanteil als Input für bestehende petrochemische Raffinerieprozessketten zu nutzen, liegt der Anteil der Biomasse im Endprodukt in der Regel unter 30%, denn Sie verlieren auf diese Weise den Sauerstoff und Wasserstoff, der in pflanzlichen Rohstoffen, aber nicht oder nur gering im Erdöl oder Erdgas enthalten ist.
Ein Beispiel: Sie können aus Zucker Polylactide, also Polymilchsäuren herstellen oder sie wandeln Zucker zunächst in Ethanol und Ethylen um und stellen darüber Polyethylen her. Für letzteres benötigen Sie eine doppelt so große Anbaufläche an Zuckerrohr.
Wie wird sich die Bedeutung von Kohlenstoffdioxid als Rohstoff entwickeln?
M. Carus: Es ist viel Energie notwendig, um Kohlestoffdioxid chemisch umzusetzen und aus CO2 und Wasserstoff Methan herzustellen. Doch die CO2-Direktnutzung schreitet mit riesigen Schritten voran und wird künftig große Teile der Biomasse ersetzen. Vor allem im Bereich von kleinen Kohlenstoffketten für die Chemie, vor allem aber für der Kraftstoffproduktion. Das Dresdner Unternehmen Sunfire arbeitet beispielweise daran, durch eine Hochtemperatur-Dampfelektrolyse und Fischer-Tropsch aus Wasserstoff und CO2 unterschiedliche Kraftstoffe herzustellen. Entwicklern in den USA ist dies bereits über eine fotokatalytische Reaktion gelungen. Sie kündigen Benzin für 3 Cent pro Liter an, hergestellt aus CO2. Das britisch-holländische Unternehmen Joule meldet vor wenigen Wochen eine 200-Mio.-USD-Investition in New Mexiko in den Bau einer Ethanol-Produktion auf Basis von CO2, ohne Biomasse.
Spätestens in 20 Jahren wird sich die chemische Industrie in Bezug auf ihre Syntheseprozesse neu aufstellen müssen. Eine spannende Zukunft.
Kontakt
Nova-Institut GmbH
Leyboldstraße 16
50354 Hürth
Deutschland
+49 (0) 2233 460 14 00
+49 (0) 2233 460 14 01