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BAVC: Die Luft wird dünner

11.05.2018 -

Die wirtschaftliche Situation der chemisch-pharmazeutischen Industrie im ersten Quartal 2018 ist weiterhin gut. Wie schon Ende des vergangenen Jahres ergeben sich auch in den ersten Monaten des Jahres 2018, jeweils verglichen mit den entsprechenden Monaten vom Jahresanfang 2017, Steigerungen bei Produktion und Umsatz von rund 7%. Gegenüber dem vierten Quartal 2017 zeigt sich jedoch kaum noch Wachstum. Auch einige weitere Indikatoren deuten auf eine Abschwächung hin.

Verdienste auf Spitzenniveau
Die Entgelte in der Branche lagen 2017 ebenfalls auf einem Spitzenniveau. Der durchschnittliche Bruttojahresverdienst aller Vollzeitbeschäftigten in der Branche betrug 67.408 EUR. Seit dem Beginn des Jahrzehnts ist dieser Wert um gut 21% gestiegen. Im Vergleich mit dem gesamten Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland, also allen Unternehmen der Industrie, liegt das Verdienstniveau der Chemie um 23% höher.

Betrachtet man nur die Tarifbeschäftigten in den Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie, lässt also Leitende Angestellte und höhere Führungskräfte außen vor, so lag das Einkommen im letzten Jahr im Durchschnitt bei gut 59.000 EUR (Vollzeit). Das Niveau der Tarifentgelte hat sich dabei in den letzten Jahren dynamisch entwickelt: Seit 2010 stiegen allein die tariflichen Tabellenwerte um 20,4%. Nicht verwunderlich, dass auch die Lohnstückkosten in diesem Zeitraum um stolze 22% nach oben geschossen sind.

Die Steigerungen der Entgelte seit 2010 übertreffen damit die Entwicklung der anderen Kennziffern der Branche deutlich - trotz der wirtschaftlichen Dynamik in 2017. Der Umsatz stieg seit Beginn des Jahrzehnts von 171 Mrd. EUR auf 195 Mrd. EUR, also um 14%. Die Produktion konnte um 7% ausgeweitet werden; die Produktivität lag trotz positiver Entwicklung im Jahresverlauf 2017 weiter um fast 2% unter dem Ausgangswert von 2010. Die wirtschaftliche Entwicklung der Branche hat 2017 also nur einen Teil dessen nachgeholt, was die Verdienste der Beschäftigten in den Vorjahren an Dynamik bereits vorweggenommen hatten.

Arbeitskosten und Wettbewerbsfähigkeit
Auch in den Betrieben der kapitalintensiven Chemie-Industrie spielen die Arbeitskosten für die Wettbewerbsfähigkeit weiterhin eine entscheidende Rolle. Der Anteil der Arbeitskosten am Umsatz ist je nach hergestellten Produkten sehr unterschiedlich. In vier von zehn Betrieben in den Chemie-Arbeitgeberverbänden liegt er aber über 25%.

Mit gut 60% arbeitet die große Mehrheit der Beschäftigten in Betrieben, in denen dieser Anteil bei über 20% liegt. Steigerungen der Arbeitskosten haben somit direkte Auswirkungen auf die Ertragssituation und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Und die Chemie-Arbeitskosten liegen im internationalen Vergleich weiterhin in der Spitzengruppe. Nach den aktuellen Daten aus 2016 lagen sie nur in Belgien leicht über denen in Deutschland. Im Vergleich zu allen anderen Ländern musste Deutschland einen Arbeitskostennachteil ausgleichen.

Dynamik schwindet
Ein genauerer Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung der chemisch-pharmazeutischen Industrie offenbart: Die hohe Dynamik hat vor allem im Sommer und Herbst 2017 stattgefunden. Seitdem befinden sich die wichtigen Daten zwar weiterhin auf dem im vierten Quartal des letzten Jahres erreichten hohen Niveau, aber sie stagnieren. Sie entwickeln sich nicht mehr weiter nach oben. So stieg die Produktion - in arbeitstäglich- und saisonbereinigter Betrachtung - von Juni bis November 2017 praktisch von Monat zu Monat um insgesamt 6% an. Von November 2017 bis Februar 2018 ergab sich jedoch keinerlei weitere Steigerung mehr. Die auch zum Jahresbeginn 2018 ausgewiesenen Steigerungsraten ergeben sich nur noch aus dem Vergleich mit den entsprechenden Monaten vom Jahresanfang 2017 - und damit mit den Werten vor der dynamischen Entwicklung im Sommer und Herbst 2017.

Offensichtlich war die vergleichsweise hohe Dynamik der Entwicklung im zweiten Halbjahr 2017 eine Sondersituation. Zum Jahresanfang 2018 hingegen ist die wirtschaftliche Unsicherheit wieder gewachsen; zudem sind in einigen Bereichen Kapazitätsgrenzen erreicht, die weiteres Wachstum schwierig machen. Es spricht vieles dafür, dass die Branche selbst in Zeiten einer grundsätzlich positiven Wirtschaftslage wieder auf den moderateren Wachstumspfad einschwenkt, auf dem sie sich seit 2010 befunden hat - schon weil sich an ihrer grundsätzlichen Position und den Herausforderungen für die deutsche chemisch-pharmazeutische Industrie im internationalen Wettbewerb keine nachhaltigen Veränderungen ergeben haben.

Unsicherheit nimmt zu
Die weitere Entwicklung im Jahresverlauf wird somit voraussichtlich von geringeren Zuwächsen geprägt sein - auch wenn sich statistisch bedingt im Vergleich mit der ersten Jahreshälfte 2017 noch eine Zeit lang positive Daten ergeben werden. Für eine verhaltenere Entwicklung spricht auch die zuletzt wieder deutlich gestiegene wirtschaftliche und politische Unsicherheit. Diese spiegelt sich in einer Vielzahl von Indikatoren wider: Der ZEW-Index, der die Stimmung unter Finanzinvestoren abbildet, fiel im April um 13,3 Punkte auf einen Wert von minus 8,2 - den niedrigsten seit Ende 2012. Er liegt damit unter dem langjährigen Durchschnitt. Der „policy uncertainty index“ der gleichnamigen Forschungsgruppe hatte zum Jahreswechsel 2017/18 den tiefsten Stand seit Ende 2015 erreicht - und ist seitdem von 109 auf über 150 Punkte angestiegen. Gleichzeitig fiel der ifo-Geschäftsklimaindex für die deutsche Industrie von Januar bis April um sieben Punkte und liegt unter dem Wert vom April 2017.

In ihrem jüngst veröffentlichten Frühjahrsgutachten gehen die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute zwar für 2018 weiterhin von einem soliden Wachstum von 2,2% aus. Zugleich warnen sie aber auch vor einer deutlich nachlassenden Dynamik schon im Jahresverlauf und prognostizieren, dass den Unternehmen zunehmend ein stärkerer Wind entgegenwehen wird. Auf Deutschland bezogen werden kurzfristig Risiken vor allem in Engpässen bei Fachkräften, punktuellen Überhitzungen und dem Erreichen von Kapazitätsgrenzen gesehen. Auf globaler Ebene spielen hier neben der politischen Situation in vielen Weltregionen vor allem beginnende Handelskonflikte eine Rolle, die die bisher positive Entwicklung der Weltwirtschaft in Frage stellen.