Agilität liegt im Wesen der Organisation
Kolumne Perspektivenwechsel von Prof. Carsten Suntrop
Chemiestandort-Unternehmen sind hoch professionelle Industriedienstleistungs-Organisationen. Diese Organisationen managen ein komplexes Leistungsportfolio und können den (meist wenigen) Chemiestandort-Kunden eine vollumfängliche Produktions- und Innovations-Verfügbarkeit zur Verfügung stellen.
Die wachsende Dynamik und Komplexität der Umwelt macht jedoch an der Chemiestandort-Grenze keinen Halt. Das produktorientierte Denken in starren Geschäftssegment-Einheiten dominiert bei den Chemiestandort-Organisationen weiterhin und erschwert die Veränderung hin zu einem innovativen und serviceorientierten Dienstleistungsunternehmen. Zudem sind Prozesse und Strukturen oft von Bürokratie geprägt und die Organisationen agieren entsprechend langsam – so empfinden es zumindest Chemiestandort-Kunden in Befragungen und Reflexionen.
Insbesondere das Veränderungs- und Komplexitätsmanagement ist jedoch eine Kernfähigkeit für einen erfolgreichen Chemiestandort in Anbetracht der wechselnden Rahmenbedingungen (2015 höchste Anzahl von Übernahmen in der chemischen Industrie). Die Vorhersagbarkeit von Ereignissen ist schwieriger geworden ebenso wie eine klassische Langzeitplanung. Der Kunde befindet sich am Standort und wird als „logged-in“ betrachtet – er kann nicht weglaufen. Diese mentalen Fehlschlüsse und Herausforderungen im organisatorischen Verhalten wirken negativ auf die Service- und Innovations-Orientierung.
Wie kann darauf reagiert werden? Welcher Ansatz kann schnelleres, flexibleres Handeln ermöglichen? Der Schlüssel hierfür ist das Wesen und nicht die Handlung der Organisation.
Agil zu arbeiten ist eine Frage der Haltung, wie wir miteinander arbeiten. Eine agile Arbeitsweise bietet ein großes Potenzial für Chemiestandorte. Dabei ist die Notwendigkeit langfristiger Infrastruktur-Entscheidungen oder das hohe Maß an Verfahrens- und Prozesssicherheit im Umgang mit gefährlichen Stoffen nicht aus den Augen zu verlieren.
Um Schnelligkeit und Flexibilität zu ermöglichen wird u.a. eine iterative, zyklische Arbeitsweise und eine adaptive Planung benötigt. Kommunikation, das Übernehmen von Verantwortung durch jeden Mitarbeiter, Selbstorganisation, das Schaffen von Transparenz und eine ständige Verbesserung sind weitere wichtige Eigenschaften. Daneben steht die regelmäßige Interaktion und Zusammenarbeit mit dem Kunden im Vordergrund.
Agilität in Chemiestandort-Organisationen kann konkret bedeuten, in Querschnittteams die Herausforderungen des Standortkunden gemeinsam mit ihm anzugehen, also eher themen- und projektbezogen miteinander arbeiten anstatt fachbezogen. Agil könnte bedeuten, viel mehr Trial and Error zuzulassen und iterative Veränderungs- und Verbesserungsprojekte in der Realität (nicht im PowerPoint) zu erproben. Agil könnte auch einfach nur das Gespräch zwischen Führungskräften sein, wo das Bild geschärft wird, was unter Agilität und Schnelligkeit verstanden wird, wie sich der Kunde Agilität wünscht und wie das Verhalten in einigen Jahren aussehen sollte. Der Perspektivenwechsel würde sich (fast) automatisch einstellen.