AGAB-Lagebericht 2006: Deutscher Anlagenbau auf Wachstumskurs
04.04.2012 -
AGAB-Lagebericht 2006: Deutscher Anlagenbau auf Wachstumskurs
Mit einem Auftragseingang von 26,3 Mrd. € erzielten die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) 2006 das höchste Bestellvolumen seit Gründung der Organisation im Jahr 1969“, teilte Dieter Rosenthal, Sprecher der AGAB und Mitglied des Vorstands der SMS Demag, anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen Lageberichts in Frankfurt mit. In Relation zum Vorjahr (2005: 24,1 Mrd. €) liegt der Zuwachs bei 9 %. Der Chemieanlagenbau ist dabei mit einem Anteil von 10 % bzw. 2,661 Mrd. € der drittgrößte Sektor, an erster und zweiter Stelle stehen die Kraftwerke (34%) sowie die Hütten- und Walzwerke (12,4 %). Für das Jahr 2007 erwarten die deutschen Chemieanlagenbauer unter den überwiegend günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine anhaltend positive Geschäftsentwicklung. In allen anderen Anlagenbau-Sektoren sind die Erwartungen ebenfalls positiv.
Im AGAB sind 36 Großanlagenbauer organisiert, darunter eine Reihe von Chemieanlagenbauern wie Uhde, Linde Gas & Engineering, Lurgi, Zimmer, MAN Ferrostaal, ABB Lummus Global, Chemieanlagenbau Chemnitz, Linde-KCADresden, M+W Zander und Siemens A&D. Die Großanlagenbauer haben die Zahl ihrer in Deutschland fest angestellten Beschäftigten 2006 um ca. 4% auf rund 52.000 Mitarbeiter ausgebaut. Allerdings hält der Bedarf mit dem Angebot an qualifizierten Fachkräften derzeit nicht Schritt. Die “Fachkräftelücke” im Großanlagenbau soll sich derzeit im unteren vierstelligen Bereich bewegen.
„Auch die Ertragslage im Großanlagenbau hat sich verbessert“, erklärte der AGABS-precher. Im internationalen Vergleich entwickelte sich der deutsche Großanlagenbau 2006 erfolgreich und konnte Marktanteile hinzugewinnen. Dabei bauten insbesondere die im Kraftwerkssektor tätigen Firmen sowie Anbieter von elektrotechnischen Ausrüstungen ihre Weltmarktposition weiter aus.
Triebkräfte des Wachstums
Die anhaltend gute Nachfrage im Großanlagenbau ist auf das gleichzeitige Auftreten mehrerer Nachfrageimpulse zurückzuführen. Die wichtigsten Punkte sind nach den Worten Rosenthals:
- Der weltweite Energiebedarf stieg zwischen 2003 und 2005 mit durchschnittlichen Jahresraten von 3 – 4% stärker als im langjährigen Mittel. In der Folge erhöhten sich die Bestellungen für Kraftwerke deutlich.
- Weiterhin ist die aktuelle Entwicklung des Rohstoffmarktes ein wichtiger Impulsgeber. So haben zahlreiche Rohstoff besitzende Länder ihre üppigen Deviseneinnahmen zum Aufbau weiterverarbeitender Industrien genutzt und dabei auf deutsche Anbieter gesetzt.
- Bedingt durch hohe Rohstoffpreise verbesserte sich auch die Wirtschaftlichkeit von Explorations- oder Produktionsvorhaben, die sich bislang ökonomisch nicht gerechnet haben. z. B. der Abbau von Ölsandvorkommen oder die Nutzung von Kohle als Grundstoff in der chemischen Industrie. Hier konnten die AGAB-Firmen zahlreiche Aufträge verbuchen.
- Gleichzeitig haben Preissteigerungen für Öl und Gas die Suche nach alternativen Energiequellen in vielen Ländern der Erde beschleunigt. Bestellungen aus diesem Sektor bei deutschen Großanlagenbauern haben ebenfalls spürbar zum guten Auftragsergebnis des Jahres 2006 beigetragen.
- Robust war auch der Trend zu Investitionen in Regionen mit wachsender Grundstoffnachfrage. Die derzeit in China, Indien und Osteuropa entstehenden Produktionskapazitäten für Chemikalien, Stahl und Zement belegen das eindrucksvoll.
Chemieanlagen – Branchenbericht und Geschäftsaussichten
Im Folgenden gibt CHEManager aus dem Kapitel „Branchenberichte und Geschäftsaussichten“ des 59seitigen „Lagebericht 2006“ der AGAB das Kapitel „Chemieanlagen“ ungekürzt und im Wortlaut wieder:
„Der deutsche Chemieanlagenbau hat sich angesichts eines positiven gesamtwirtschaftlichen Umfeldes 2006 sehr gut entwickelt. Durch die anhaltend hohe Auslandsnachfrage ist der Auftragseingang des deutschen Chemieanlagenbaus um 8% auf 2,6 Mrd. € gestiegen und erreichte damit Rekordniveau. Erfreulich war auch der steigende Bedarf im Inland (395 Mio. € bzw. +13,8% gegenüber 2005). Nach mehreren Jahren zurückhaltender Investitionstätigkeit hat das Binnengeschäft mit dazu beigetragen, dass sich die Branche insgesamt ausgezeichnet behaupten konnte.
Gute Geschäfte im Nahen und Mittleren Osten
Ein traditionell wichtiger Absatzmarkt für den deutschen Chemieanlagenbau bleibt der Nahe und Mittlere Osten. Saudi- Arabien und Iran waren im Berichtszeitraum bedeutende Kundenländer, die verstärkt petrochemische Anlagen nachfragten. Die Golfstaaten verfolgen weiterhin das Ziel einer höheren lokalen Wertschöpfung, indem sie ihre Wirtschaftskraft durch Veredelung von Erdgas und Erdöl zu hochwertigen Chemie- und Petrochemieprodukten stärken. Hohe Rohstoffpreise treiben diesen Aufbau voran. Auch Länder Nordafrikas, darunter speziell Ägypten und Algerien, zielen in diese Richtung. Schon seit mehreren Jahren investiert die ägyptische Düngemittelindustrie massiv in den Ausbau ihrer Kapazitäten, wovon der deutsche Chemieanlagenbau nachhaltig profitiert hat.
Aufwärtstrend im Inland und in Europa hält an
In Deutschland blieb das gute Investitionsklima in der chemischen Industrie bestehen. So stiegen die von den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft im vergangenen Jahr akquirierten Inlands-Aufträge um 14% über das Niveau des Vorjahres. In vielen Bereichen wurden Modernisierungsmaßnahmen, Kapazitätserweiterungen und zum Teil Neuinvestitionen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und zur Standortsicherung durchgeführt. Insgesamt wuchs die deutsche Chemieproduktion 2006 um rund 3,5 %. Auch in der EU nahm sie eine positive Entwicklung und verzeichnete ein Produktionswachstum von über 2 %. Obwohl in den vergangenen Jahren wichtige Abnehmerbranchen ihre Produktion aus Kostengründen verstärkt ins Ausland, z. B. nach Asien, verlagert haben, war das Exportgeschäft aufgrund der großen weltweiten Nachfrage einer der wichtigsten Impulsgeber für die deutsche Chemieindustrie.
China bleibt wichtigster Markt in Asien
Starke Unterschiede in der Geschäftsentwicklung des Chemieanlagenbaus verzeichnen die asiatisch-pazifischen Märkte. China ist dabei unverändert der wichtigste Absatzmarkt für den deutschen Großanlagenbau im Allgemeinen und für den Chemieanlagenbau im Besonderen. Charakteristisch für das Chinageschäft ist die Forderung nach überdurchschnittlicher lokaler Wertschöpfung, ein außergewöhnlich harter Wettbewerb sowie der unbefriedigende Schutz geistiger Eigentumsrechte. Mit der weiter wachsenden Binnennachfrage wird China auch zukünftig Investitionen in allen Bereichen der Chemie und insbesondere auch der Petrochemie anziehen. Aufgrund der großen Kohlevorkommen besteht beispielsweise starkes Interesse, diese als Rohstoff für die Petrochemie zu nutzen. Deutsche Unternehmen konnten hier bereits erste Aufträge platzieren.
Auf der Angebotsseite konkurrieren chinesische Wettbewerber mittlerweile auch im Ausland verstärkt mit den internationalen Anlagenbauern, um – unterstützt durch staatliche Subventionen – in wichtige Referenzmärkte einzudringen.
Übrige asiatische Märkte mit Potential
Von den südostasiatischen Ländern haben vor allem Malaysia und Thailand Anlagen aus den Bereichen der organischen und anorganischen Chemie bestellt. Darüber hinaus haben sich Vietnam, Südkorea und Taiwan wiederum als wichtige Märkte für den deutschen Anlagenbau bestätigt.
Die indische Wirtschaft wächst weiterhin bemerkenswert. Politische Stabilität und ein gut funktionierender Finanzmarkt begünstigen die positive Entwicklung auch für das produzierende Gewerbe. Die Investitionen in die Infrastruktur und den Ausbau der chemischen Industrie des Landes sind im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. In den Bereichen der Polymer-, Feinund Spezial-Chemie hat die Produktion überproportional zugenommen. Trotz des starken internationalen Wettbewerbs ergeben sich für den deutschen Chemieanlagenbau gute Möglichkeiten für die Modernisierung bestehender und den Bau neuer Anlagen. Auch zukünftig verspricht Indien einer der interessantesten Wachstumsmärkte Asiens, und damit weltweit, zu bleiben.
In Japan rechnet man, getragen durch einen beträchtlichen innerasiatischen Handel, mit einer anhaltenden Konjunkturverbesserung. Allerdings zählen die japanischen Kontraktoren zu den stärksten Wettbewerbern der deutschen Anlagenbauer auf den internationalen Märkten.
Lateinamerika: Petrochemieprojekte in Planung
2006 hat sich der wirtschaftliche Aufschwung in den meisten Ländern Lateinamerikas fortgesetzt. Von den hohen Öl- und Gaspreisen profitierten dabei besonders die Volkswirtschaften von Venezuela, Mexiko, Brasilien sowie Trinidad und Tobago. In diesen Ländern sollen mehrere große Petrochemieprojekte realisiert werden. Für den deutschen Chemieanlagenbau eröffnen sich hierdurch immer wieder Auftragschancen. Dies führte im vergangenen Jahr wiederum zu einem beträchtlichen Auftragseingang aus dem Inselstaat Trinidad und Tobago. In Venezuela belastet die verstärkte Staatskontrolle der Öl- und Energiewirtschaft jedoch den Rohstoffmarkt und das inländische Investitionsklima.
Osteuropa: Polen und Russland bedeutende Märkte
Die Bestellungen deutscher Chemieanlagen aus Osteuropa und der GUS haben 2006 ein Fünf-Jahres-Hoch erreicht. Der beachtliche Auftragseingang aus Polen ist dabei durch die EU-Osterweiterung im Jahr 2004 begünstigt worden. Aber auch das Wachstum der russischen Wirtschaft, speziell des Chemiesektors, hat sich 2006 in den Auftragsbüchern niedergeschlagen. In einigen Industriezweigen wurden dringend notwendige Modernisierungen und Kapazitätserweiterungen durchgeführt. In weiten Bereichen der Chemieindustrie ist mit ähnlichen Investitionen zu rechnen. Auch in anderen Ländern Osteuropas und Zentralasiens ist eine Belebung der Projektaktivität festzustellen.
Neue Einsatzstoffe in der chemischen Industrie
Der deutsche Anlagenbau beschäftigt sich zunehmend mit möglichen Alternativen zum Erdöl als Rohstoff für die Chemie und Petrochemie. Zu nennen sind hier Erdgas, Kohle und Biomasse. Dabei geht es unter anderem auch um die Erzeugung alternativer Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen, wie z. B. von Bioethanol und Biodiesel. Ein hoher Ölpreis macht auch alternative Verfahren wirtschaftlich, die bisher ökonomisch im Abseits standen. Wachstumsmärkte für Anlagen zur Herstellung von Biokraftstoffen liegen in Europa, den USA und Asien. Die außerhalb der Nahrungsmittelerzeugung für nachwachsende Rohstoffe verfügbare Agrarfläche setzt dieser Entwicklung jedoch Grenzen.
Erdgas wird für den Energiemarkt und als Chemierohstoff immer wichtiger. Die weltweite Nachfrage nach Erdgaszerlegungs- und -verflüssigungsanlagen steigt weiter. Kohle gewinnt als Rohstoff für die Chemieindustrie in kohlereichen Ländern, wie zum Beispiel in China, eine zunehmende Bedeutung. Der deutsche Chemieanlagenbau verfügt über langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der Kohlechemie und bietet zahlreiche kohlebasierte Verfahren zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen an.
Weiterhin wachsende Anlagenkapazitäten
Der Trend zu Mega-Anlagen, die zum größten Teil schlüsselfertig zu errichten sind, bestimmen weiterhin die gesamte Branche. Die deutschen Chemieanlagenbauer haben den gesteigerten Kapazitätsanforderungen frühzeitig durch innovative Verfahrenslösungen Rechnung getragen und sind in den verschiedenen Marktsegmenten (zum Beispiel Ethylen, Propylen, Wasserstoff, Sauerstoff, Ammoniak, Methanol, Chlor, PVC, HDPE und LDPE) weltweit führend.
Positiver Ausblick auf 2007
Anfang 2007 bleibt das globale Wirtschaftsklima freundlich. Führende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute gehen für das gesamte Kalenderjahr 2007 von einem etwas geringeren Wachstum der Weltwirtschaft und einem gebremsten Wirtschaftsaufschwung in der Eurozone aus. Die USA, die weltgrößte Volkswirtschaft, rechnet trotz eines energiepreisbedingten Kaufkraftentzugs weiterhin mit einem realen Produktionswachstum. Auch das Verbrauchervertrauen in den USA, ein wichtiger Index für die Konjunkturerwartungen, stieg Anfang des Jahres deutlich. Ferner führt die anhaltend hohe Nachfrage nach Öl und Gas zu Einnahmeüberschüssen in den Förderländern, die zum großen Teil neu investiert werden. Die weltpolitischen Risiken sind allerdings nur zum Teil geringer geworden. Wieder steigende Energiepreise könnten die gute Konjunkturentwicklung dämpfen. Darüber hinaus wirkt sich die Stärke des € nach wie vor belastend auf den Export aus.
Unter diesen überwiegend günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erwartet der deutsche Chemieanlagenbau für das Jahr 2007 eine anhaltend positive Geschäftsentwicklung. Dabei ist die grundlegende Stärke des deutschen Anlagenbaus in den Bereichen Projekt- und Risikomanagement sowie globaler Projektabwicklung von großem Nutzen. Außerdem ist seine Innovationskraft mit entscheidend für die Verteidigung einer Spitzenposition im internationalen Wettbewerb.“