VCI Hessen: „Schwarz-Grün“ eine Chance geben
20.12.2013 -
Die chemische und pharmazeutische Industrie in Hessen hält den vorgelegten Koalitionsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen für ein Dokument mit Potential für eine nachhaltige Entwicklung Hessens. Die 108 Seiten lassen das ernsthafte Bemühen beider Partner erkennen, eine tragfähige Grundlage für ein zukunftsfestes Hessen zu schaffen. Der Vertrag zeige, „dass Kompromisse möglich seien, wenn beide Seiten Wahlkampf beendeten und sich intensiv mit den Sachthemen auseinandersetzten", so Bernd Reckmann, Vorsitzender des VCI Hessen.
In der Praxis müsse sich natürlich noch zeigen, was der Vertrag für das Regierungshandeln bedeuten werde. In den für Chemie und Pharma besonders wichtigen Kapiteln des Vertrages seien Chancen und Herausforderungen für das Land enthalten.
Das Bekenntnis der künftigen Koalitionspartner zu einer nachhaltigen Finanzpolitik sei zu begrüßen, so Reckmann. Das mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung und des ausgeglichenen Haushalts verknüpfte Vorhaben zur Effizienzsteigerung in der Verwaltung sei zu unterstützen. Auch die zeitnahe Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs sei notwendig. Es könne auf Dauer nicht hingenommen werden, dass Hessen zusätzlich erwirtschaftete Steuereinnahmen an andere Bundesländer und Stadtstaaten weiterreichen müsse, die es mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht ganz so ernst nehmen.
Das bildungspolitische Kapitel des Koalitionsvertrages sei ambitioniert. Die grundlegenden Orientierungslinien wie Modernisierung der Schulverwaltung durch stärkere Eigenverantwortung, Reform der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern und Stärkung der Berufsorientierung seien positiv. „Mit der vorgesehenen Stärkung der Bildungskooperationen rennen die Koalitionspartner bei der chemischen und pharmazeutischen Industrie offene Türen ein", so Gregor Disson, Geschäftsführer des VCI Hessen. Viele Beispiele von Kooperationen zur Stärkung des experimentellen Sachkundeunterrichts in der Grundschule und des Experimentalunterrichts in den weiterführenden Schulen könnten als Anknüpfungspunkte für eine breite Offensive zur Stärkung der naturwissenschaftlich/technischen Ausbildung an den Schulen genommen werden. Der angedachte „Pakt für den Nachmittag" mit einer Betreuungsgarantie für alle Grundschulkinder von 7.30 - 17.00 Uhr könnte - auf freiwilliger Basis - mit dem Anliegen der frühen naturwissenschaftlichen Bildung verknüpft werden. Schon heute investierten die Chemieverbände Hessen gemeinsam mit dem Förderwerk Fonds der Chemischen Industrie in Hessen über 50.000 € jährlich an Schulen des Landes, um den naturwissenschaftlichen Unterricht interessanter und attraktiver zu machen. In dieser Summe sind die vielfältigen Kooperationen unserer Mitgliedsunternehmen mit benachbarten Schulen noch gar nicht berücksichtigt. „Hilfreich wäre eine gemeinsame Offensive der neuen Landesregierung mit unserer Branche, um für mehr und qualitativ besseren naturwissenschaftlichen Unterricht an den Schulen zu sorgen. Der VCI Hessen reicht „Schwarz-Grün" die Hand zu einer erweiterten und systematischen Zusammenarbeit", so Bernd Reckmann. Wir fordern ab Grundschule kontinuierlichen naturwissenschaftlichen Unterricht, der an allen Schulformen und in allen Jahrgängen angeboten wird. Chemische Grundkenntnisse tragen zum Verständnis neuer Technologien bei, die den Wohlstand unserer Gesellschaft spiegeln. „Fachlich und methodisch-didaktisch bestens ausgebildete Lehrer sind Voraussetzung für gute Bildung. Mit der Nachhaltigkeitsinitiative Chemie³ verknüpft unsere Branche die Förderung der Zukunfts- und Bildungschancen junger Menschen, Ausbildung und Lebenslanges Lernen".
Der Chemieverband begrüßt den starken industriepolitischen Akzent im Koalitionsvertrag. Hessen hat als Pharmastandort Nr. 1 in Deutschland eine Position zu verteidigen. „Das klare Bekenntnis der neuen Koalitionspartner zu der erfolgreich gestarteten „Initiative Gesundheitsindustrie Hessen" und deren Potential zur Nutzung von Synergien mit anderen Initiativen ist das richtige Signal", so Gregor Disson, Geschäftsführer des VCI Hessen und Mitglied im Lenkungskreis dieser Initiative.
„Die chemische Industrie bekenne sich zur Umsetzung und Weiterentwicklung des Hessischen Energiegipfels, die CDU und Bündnis90/Die Grünen vereinbart haben. Allerdings müsse die Energiewende so umgesetzt werden, dass auch die energieintensive Industrie weiterhin wettbewerbsfähig in Deutschland und Hessen produzieren kann. Die Verlagerung von Investitionen ins Ausland aufgrund des ungebremsten Anstiegs der Energie- und Stromkosten müsse gestoppt werden", so Reckmann. Die kommende Landesregierung werde besonders auf europäischer Ebene das Bewusstsein für den Wert des Industriestandorts schärfen müssen. Europa werde insgesamt verlieren, wenn es die Regionen mit einem starken Industrieanteil an der Wertschöpfung schwäche. Vor diesem Hintergrund sei die ablehnende Haltung der künftigen Koalitionspartner zu Förderung von Schiefergas aus tieferen Gesteinsschichten enttäuschend.
Auch das Anliegen, Land- und Forstwirtschaft Hessens gentechnikfrei zu erhalten und das Vorhaben, dem europäischen Netzwerk „Gentechnikfreier Regionen" beizutreten, sei kritisch zu sehen. Biotechnologie und Gentechnik seien integrale Bestandteile des Produktionsprozesses in der Chemie- und Pharmaindustrie und haben auch hierzulande viele Innovationen befördert. Prominentes Beispiel ist die - ursprünglich von den Grünen in Hessen abgelehnte - Insulinherstellung in Höchst. Was in der pharmazeutischen Entwicklung und Produktion („rote Biotechnologie") und in der industriellen Anwendung („weiße Biotechnologie") richtig sei, könne in der Pflanzen-Biotechnologie nicht falsch sein. In diesem Bereich erwartet der VCI, dass alle ihre inzwischen widerlegten Vorurteile kritisch überprüfen und die Chancen zu einer nachhaltigen Entwicklung erkennen.