Rohstoffpreise sinken bis zur Erholung der Weltwirtschaft
05.09.2011 -
Über sechs Jahre lang stiegen die Preise für nahezu alle Rohstoffe in beängstigender Weise, bis im Spätsommer 2008 die weltweit eskalierte Finanzkrise eine Wirtschaftskrise auslöste und die Rohstoffpreise auf Talfahrt schickte. Wie hängen diese Ereignisse miteinander zusammen und wie wird es weitergehen? Ist die Rohstoffkrise vorerst überwunden? Was können wir aus den letzten Jahren für die Zukunft lernen? Die wichtigste Erkenntnis: Das Angebot an Rohstoffen ist aufgrund knapper Primärproduktionen nur wenig und vor allem nur langsam ausbaufähig. Die Preise werden daher vor allem durch die Nachfrage bestimmt, Spekulationen heizen die Preise in Zeiten hoher Nachfrage zusätzlich an. Sinkt die Nachfrage, kommt es in kurzer Zeit zu einem drastischen Preisverfall.
Preiswende 2002
Seit etwa 1980 waren die Preise für fast alle Rohstoffe kontinuierlich gefallen. Eine Folge: Investitionen in die Förderung und Primärproduktion von Rohstoffen blieben weitgehend aus, da sie sich aufgrund niedriger und weiter fallender Preise einfach nicht rechneten. Nachdem sich Asien von der Finanzkrise im Jahr 1998 erholt hatte, kehrte die Weltwirtschaft im Jahr 2001 zu ihren gewohnten Wachstumsraten zurück. Nach über 20 Jahren Preisverfall kam es im 2002 zur „Rohstoffpreiswende“: Insbesondere die Nachfrage nach Rohstoffen in den sogenannten BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China mit ihren rohstoffintensiven Industrien stieg stark an. Die Nachfrage trieb – verstärkt durch Spekulanten – die Preise bis zum ersten Halbjahr 2008 in bislang unbekannte Höhen. Bei den meisten Rohstoffen konnte in diesem Zeitraum die gestiegene Nachfrage nicht mit einem höheren Angebot ausgeglichen werden. Zum einen stellte man fest, dass bestimmte Lagerstätten an ihre geologischen Grenzen stoßen und sich die Fördermengen nicht mehr steigern ließen. Zum anderen zeigten sich die Defizite der vernachlässigten Investitionen in Förderung und Primärproduktion; allein beim Erdöl werden nach Schätzungen in den nächsten zehn Jahren ca. 500 Mrd. € benötigt, will man das Angebot auf dem heutigem Niveau halten. Nur bei den Agrarrohstoffen gelang es, innerhalb von ein bis zwei Jahren die Anbauflächen auszuweiten und die Erntemengen für die wichtigsten Kulturen erheblich zu steigern.
Die Preise bestimmt bekanntlich primär die Nachfrage. Da das Angebot, von wenigen Rohstoffen abgesehen, nur wenig erhöht werden kann, kann auch wenig Einfluss auf die Preisbildung genommen werden. Die letzten Jahre haben gezeigt, wie nah wir an einer kritischen Schwelle der Rohstoffversorgung stehen: Übersteigt die Nachfrage bestimmte Schwellen, kommt es zu extremen Rohstoff-Preisrallyes, die das Wachstum drosseln und eine Wirtschaftskrise auslösen können.
Rohstoffpreise 2008 und 2009
Die sich weltweit zuspitzende Finanzkrise im Spätsommer 2008 führte innerhalb weniger Wochen zu einer Abflachung der Weltkonjunktur bis hin zur Gefahr einer globalen Wirtschaftskrise. So spricht beispielsweise Dow Chemical offen von einer anstehenden Konjunkturkrise. „Wir werden wahrscheinlich den größten Teil von 2009 als eine weltweite Rezession erleben“, sagte Andrew Liveris, Chef des Chemiekonzerns. „Die globale Wirtschaft spürt jetzt voll die Auswirkungen derselben Probleme, die in den vergangenen Quartalen die USA geplagt haben“, sagte der Dow- Vorstandschef. „Diese Probleme sind durch die Kreditkrise verstärkt worden, was sich in sinkender Nachfrage niederschlägt – nicht nur in den USA, sondern in der ganzen Welt.“ Der aktuelle Verfall der Rohstoffpreise ist primär in dem Einbruch auf der Nachfrageseite begründet. Diese sinkende Nachfrage lässt die Preise purzeln. Die starken Zuwächse in China, Indien, Brasilien und Russland haben den Boom der Weltwirtschaft seit 2002 maßgeblich angetrieben – und sollen nun nach Hoffnung der Optimisten den Konjunkturabschwung abmildern. Sobald die Weltwirtschaft wieder Fahrt aufnimmt und zu den Wachstumsraten der letzten Jahre zurückkehrt, werden auch die Rohstoffpreise erneut stark anziehen und schon bald wieder das Niveau vom Frühjahr und Sommer 2008 erreichen. Wann das sein wird, ist schwer zu sagen. Die meisten Analysten sehen den Aufschwung frühestens Ende 2009 kommen. Sichere Vorhersagen sind über einen solchen Zeitraum jedoch kaum möglich, weshalb es ungewiss bleibt, wie lange die Rohstoffpreise relativ niedrig bleiben.
Atempause nutzen
Allerdings sollte man die aktuelle Verschnaufpause dazu nutzen, das Angebot an Rohstoffen auszubauen, neue Förderstätten zu erschließen und neue Primärproduktionen wie Raffinerien zu errichten, um beim nächsten Aufschwung den Anstieg der Rohstoffpreise abpuffern zu können. Aber genau dieses antizyklische Reagieren fällt in der aktuellen Situation schwer. Den Rohstoffkonzernen brechen die Einnahmen und Überschüsse weg und aufgrund der Finanzmarktkrise sind Kredite nur schwer zu bekommen. Beides lähmt bereits jetzt die Erschließung neuer Förderstätten. So wurden vor wenigen Tagen Großprojekte zur Erschließung neuer Erdölfelder in Russland, Brasilien und einigen afrikanischen Ländern auf Eis gelegt – sie sind aktuell einfach nicht mehr finanzierbar. Sollte es im Jahr 2009 nicht gelingen, das Angebot an fossilen und mineralischen Rohstoffen zu stabilisieren oder besser auszubauen, könnte der nächste Wirtschaftsaufschwung zu noch stärkeren Preisrallyes führen als in den letzten sechs Jahren und damit die nächste Krise heraufbeschwören.
Option Agrarrohstoffe
Unternehmen der Chemie- und Kunststoffindustrie sollten das Jahr 2009 nutzen, um ihre Rohstoffbasis neu auszurichten und sich so auf den nächsten Preisanstieg vorzubereiten. Gefragt ist ein umfassendes Rohstoff-Management, das sowohl neue Technologien wie z. B. die Industrielle Biotechnologie als auch Agrarrohstoffe einbeziehen sollte. Rohstoffe vom Acker und aus dem Forst bieten interessante Chancen – aber auch Risiken. Vorteilhaft ist, dass sich die Agrarflächen weltweit noch erheblich ausdehnen lassen, vermutlich um einige 100 Mio. ha. Somit kann die Produktion sowohl für Nahrungs- und Futtermittel als auch für industrielle Rohstoffe noch deutlich gesteigert werden. Gleichzeitig bietet die sich rasch entwickelnde Biotechnologie zahlreiche Ansätze, Agrarrohstoffe produktiv und in größerem Stil einzusetzen. Aktuell liegt der Anteil der Agrarrohstoffe am Input der deutschen Chemischen Industrie bei ca. 11 % – dieser Anteil kann durchaus auf 20 % gesteigert werden. Agrarrohstoffe stellen damit eine interessante Option für die Rohstoffdiversifizierung der Industrie dar.
Nicht eben zuträglich für den verstärkten Einsatz nachwachsender Rohstoffe ist die oft auf Stammtisch- Niveau geführte „biofuels & food“- Diskussion, häufig mit den Schlagworten „Teller, Trog und Tank“, die eine erhebliche öffentliche und politische Wirkung hat. Manche gut gemeinte ethisch-moralische Argumentation führt leicht in die Irre, beispielsweise die Forderung, dass Food-Pflanzen nicht für die Industrie genutzt werden dürften, solange Menschen hungern. Dabei wird übersehen, dass Ursache des wachsenden Hungerproblems nicht die Tatsache ist, dass es zu wenig Nahrungsmittel gibt. Vielmehr haben die Hungernden vor allem aus finanziellen Gründen keinen Zugang zu den Nahrungsmitteln. Auf Flächen, die für die Food- und Feed-Produktion nicht benötigt werden, Food- Pflanzen für industrielle Zwecke anzubauen, kann durchaus sinnvoll sein, wenn diese Pflanzen, bedingt durch jahrzehntelange Züchtung, besonders effizient sind und damit die Fläche optimal nutzen. Industriepflanzen können somit in ländlichen Räumen Einkommen schaffen, die der Bevölkerung den finanziellen Zugang zu Nahrungsmitteln ermöglichen. Gefragt ist hier eine sachliche und fundierte Diskussion mit dem Ziel eines umfassenden Ressourcenmanagements, das auch die Nutzung der Koppel- und Nebenprodukte einbezieht. Hier geeignet Stellung zu beziehen und Einfluss zu nehmen, kann für die zukünftige Rohstoffversorgung von entscheidender Bedeutung sein.
Der Internationale Kongress „Rohstoffwende & Biowerkstoffe“ (www. rohstoffwende.de) am 3. und 4. Dezember im Kölner Maritim Hotel wird sich mit diesem Thema befassen. Zwei Tage lang geht es um die Frage: „Was können Agrarrohstoffe zukünftig leisten?“ – eine zentrale Frage für Entscheidungsträger in der chemischen Industrie.
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Dipl.-Phys. Michael Carus, Geschäftsführer
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