Markt- und Margenerfolg durch Unmet Needs-Analyse
Wie gelingt Chemieunternehmen der Spagat zwischen Standardisierung und Differenzierung?
In einer Studie, die die Managementberatung Homburg & Partner im April 2011 unter 57 Entscheidungsträgern aus Marketing & Vertrieb in der chemischen Industrie durchgeführt hat, vermuten 81 % der Befragten im eigenen Unternehmen schlummerndes und ungenutztes Differenzierungspotenzial. Etwa 50 % der befragten Entscheidungsträger des H&P Chemie Monitor räumen zudem ein, dass die im Unternehmen schlummernden Potenziale entweder aufgrund begrenzter Personalkapazitäten oder aufgrund der Komplexität der Aufgabe noch nicht gehoben werden konnten.
Insbesondere in der momentanen Situation, in der sich der Aufschwung in der chemischen Industrie anhaltend bemerkbar macht, kommt es auf eine Differenzierung zum Wettbewerb an, wenn ein dauerhafter Markterfolg erzielt werden soll. Um sich mit seinen Produkten mittel- und langfristig vom Wettbewerb abheben zu können, müssen Unternehmen Differenzierungspotenziale gezielt suchen und wahrnehmen - allein schon aus strategischer Sicht.
Differenzierung über den gesamten Produktlebenszyklus
Im Rahmen des Lebenszyklus durchläuft jedes Produkt grundsätzlich drei Phasen der Differenzierung zum Wettbewerb.
In Phase 1 können Alleinstellungsmerkmale über das Produkt selbst und seine Eigenschaften erreicht werden.
In Phase 2 sind produktseitige Differenzierungsmöglichkeiten ausgereizt, weil mit zunehmender Lebensdauer immer mehr Wettbewerber das gleiche oder ein ähnliches Produkt anbieten. Nun konzentriert sich die Differenzierung auf zusätzliche Dienstleistungen rund um das Produkt.
In Phase 3 des Lebenszyklus spielen die Kunden die wichtigste Rolle. Sie verlangen ein Standardprodukt, d.h. alle für sie relevanten Muss-Kriterien müssen erfüllt sein.
In über 100 Studien, die Homburg & Partner in der chemischen Industrie in den letzten zehn Jahren durchgeführt hat, kristallisieren sich vier zentrale Kaufkriterien heraus. Die Nummer 1 ist (fast) immer ein als fair empfundenes Preis-Leistungs-Verhältnis. Auf Rang 2 bis 4 folgen in der Regel Produktqualität, Verfügbarkeit der Produkte und das marktübliche Serviceangebot. Anders ausgedrückt: Die Kunden verlangen eine schnellstmögliche Lieferung ihres Produkts mit den entsprechenden Eigenschaften zur bestmöglichen Qualität und das zu einem als fair empfundenen Preis.
Alle Anbieter stehen nun vor einer Herausforderung: Wie können sie die Marktbedürfnisse nach Standardisierung bedienen und sich gleichzeitig trotzdem vom Wettbewerb differenzieren, damit sie den Vorzug gegenüber der Konkurrenz erhalten? Die entscheidende Frage ist also: Wie gelingt der Spagat zwischen Standardisierung und Differenzierung?
Spagat zwischen Standardisierung und Differenzierung
Es gibt hier mehrere Methoden: Zunächst kann dies über eine Markenstrategie, über ein eigenes Vertriebsmodell, ein eigenes Preismodell oder letztlich auch über die handelnden Personen versucht werden. Eine sehr schnell umsetzbare Methode ist jedoch die Analyse von „Unmet Needs" (unerfüllte Bedürfnisse der Kunden).
Die Analyse von Unmet Needs ist der schnellste und einfachste Startpunkt für eine Differenzierung zu den Mitbewerbern im Markt, wenn keine herausragenden produkt- und serviceseitigen Vorteile mehr vorhanden sind. Die Grundidee der Unmet Needs-Analyse ist: Jeder Kontaktpunkt in der Wertkette der Kunden, d.h. jede Funktion, die mit dem entsprechenden Produkt in Berührung kommt, wird analysiert.
Kontaktpunkte sind neben Einkauf natürlich das Management, aber eben auch Forschung & Entwicklung, Produktion oder Marketing & Vertrieb. Jede Funktion äußert andere Wünsche und Ansprüche an das angebotene Gesamtpaket. Dies impliziert für die Verhandlungssituation natürlich, dass je nach Entscheider andere Argumente in den Vordergrund der Verhandlung gerückt werden müssen. Beispiele, wie über Unmet Needs eine Differenzierung zum Wettbewerb gelingen kann, sind:
- Modifikation der Produktverpackung
- Unterstützung der Marketingaktivitäten der Kunden
- Unterstützung der Kunden mit lokalen Servicelaboren
Diese Beispiele machen deutlich: Die Differenzierung zum Wettbewerb erstreckt sich auf Gebiete, die mit dem ursprünglichen Produkt gar nichts mehr zu tun haben. Die Unmet Needs-Analyse rückt also „weichere" Kaufkriterien in den Blickpunkt, unerlässliche harte Kaufkriterien bzw. Grundvoraussetzungen wie Verfügbarkeit und Qualität (siehe oben) werden als gegeben vorausgesetzt und spielen in der Differenzierung und der Argumentation gegenüber dem Kunden keine Rolle mehr. Alle Musskriterien müssen abgedeckt und angeboten werden - es gelingt die „Differenzierung auf dem letzten Meter".
Implikationen aus Management-Sicht
Letztlich ergeben sich durch die Differenzierung auf dem letzten Meter und den dadurch folgenden Alleinstellungsmerkmalen zum Wettbewerb drei entscheidende Vorteile:
- Man erhält die Möglichkeit, ein Preispremium durchzusetzen und damit die spezifische Marge zu verbessern. Kunden werden immer den Preis bezahlen, den sie als fair und gerecht empfinden. Wenn es also gelingt, eine Differenzierungsmöglichkeit von z.B. Extra-Services im Rahmen von Unmet Needs zu erreichen, dann lässt sich dieser zusätzliche Service auch bepreisen, zumindest solange, bis der Wettbewerb diesen Service auch anbietet.
- Durch das systematische Einbeziehen der Erwartungen und Wünsche der Kunden wird die Kundenorientierung erhöht und intern mehr Transparenz über die Erwartungen und Bedürfnisse der einzelnen Kunden oder Kundensegmente geschaffen. Dementsprechend kann das Produkt-/Serviceportfolio angepasst und optimal an den Markt- und Kundenbedürfnissen ausgerichtet werden.
- Man weiß nach einer Unmet Needs-Analyse genau, welche Vorteile des Angebots dem Kunden kommuniziert werden müssen. Dementsprechend kann die Verhandlungsvorbereitung individueller und effizienter gesteuert werden. Argumente können genau passend aufbereitet und die Ziele der Verhandlung können effizienter erreicht werden.
Für alle Unternehmen - gleich in welcher Phase des Lebenszyklus sich die entsprechenden Produkte befinden - ist die Kenntnis der Kundenbedürfnisse, d.h. deren systematische Analyse, im höchsten Maße relevant. Denn sie stellt eine erfolgversprechende Möglichkeit dar, sich mittel- und langfristig vom Wettbewerb abzuheben und damit künftigen Markt- und Margenerfolg zu sichern.
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