Hoher Schaden durch Betrüger und Spione
01.06.2013 -
Hoher Schaden durch Betrüger und Spione – PwC veröffentlicht Branchenstudie zur Wirtschaftskriminalität in der Chemie- und Pharmaindustrie
Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie investiert jährlich sehr hohe Beträge in Forschung und Entwicklung, um sich einen Wettbewerbsvorteil durch innovative Produkte zu sichern.
Das schnelle Kopieren dieser Produkte durch Produktpiraterie und Industriespionage kann diesen Wettbewerbsvorteil gefährden, wenn nicht sogar zerstören. Wie hoch ist das Risiko der Industriespionage für diese Branchen?
Vor welchen weiteren Delikten sollten sie sich schützen? Damit befasst sich die aktuelle Studie „Wirtschaftskriminalität in der Chemie- und Pharmabranche 2008" von Pricewaterhousecoopers (PwC).
Die internationale Wirtschafts- und Beratungsgesellschaft befragte in den vergangenen Monaten weltweit 303 Chemie- und Pharmaunternehmen, darunter 65 in Deutschland, zu ihren Erfahrungen mit Wirtschaftskriminalität.
Dr. Andrea Gruß sprach mit Dr. Volker Fitzner, Partner im Bereich Advisory bei PwC, über die ersten Ergebnisse der Analyse.
CHEManager: Herr Dr. Fitzner, inwieweit sind deutsche Unternehmen von Wirtschaftskriminalität betroffen?
Dr. V. Fitzner: PwC führt regelmäßig im Abstand von zwei Jahren eine branchenübergreifende Befragung zur Wirtschaftskriminalität durch.
An der letzten Analyse aus dem Jahr 2007 nahmen weltweit 5.428 Unternehmen teil, darunter 1.166 aus Deutschland. Die Studie ergab, dass knapp die Hälfte aller befragten deutschen Unternehmen von Wirtschaftskriminalität betroffen waren.
Dabei steigt das Risiko mit der Größe des Unternehmens deutlich an: Während nur 44 % der deutschen Unternehmen unter 200 Mitarbeitern über strafbare Vorfälle berichteten, waren dies bei Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern bereits 54 % und bei Großunternehmen mit über 5.000 Mitarbeitern 61 %.
Insgesamt bezifferte sich der Gesamtschaden aller befragten deutschen Unternehmen im Jahr 2007 auf 6 Mrd. €.
Aktuell haben Sie die Studie um eine branchespezifische Befragung in der Chemie- und Pharmaindustrie ergänzt. Mit welchem Ergebnis?
Dr. V. Fitzner: Nach den Angaben der Unternehmen schätzen wir in Deutschland den Gesamtschaden der beiden Branchen auf über 200 Mio. € pro Jahr. Dieser berechnet sich aus den jährlichen Verlusten durch Kriminalität von 196,9 Mio. € und rund 4,3 Mio. € Managementkosten, die aufgebracht werden müssen, um die Folgen der kriminellen Delikte zu bewältigen.
Der durchschnittliche Schaden betroffener Chemie- und Pharmaunternehmen betrug im Erhebungszeitraum 2,4 Mio. €.
Dies ist wie gesagt ein Durchschnittswert aller befragten Unternehmen, die Einzelschäden können sehr viel höher sein: 11 % der deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen waren von Schäden betroffen, die mehr als 10 Mio. € betrugen.
Der Blick sollte jedoch nicht nur auf die direkten finanziellen Folgen gerichtet sein. Mehr als die Hälfte der chemischen und pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland verzeichnen Intellectual Property Verletzungen, 3 % berichteten sogar über gravierende indirekte Schädigungen in diesem Bereich.
Mit welchen Delikten werden Unternehmen der Chemie- und Pharmabranche am häufigsten konfrontiert?
Dr. V. Fitzner: Die Delikte, die bei deutschen Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie vorherrschen, sind Betrug und Unterschlagung. Hiervon sind 21 % der Unternehmen betroffen.
Auf Produktpiraterie und Industriespionage entfallen 18 % der Fälle und von Korruption sind 11 % betroffen.
Seltener dagegen als Unternehmen anderer Branchen berichtet die Chemie- und Pharmaindustrie von Betrugs- und Geldwäschedelikten.
Welche Delikte verursachen den finanziell größten Schaden?
Dr. V. Fitzner: Produktpiraterie und Industriespionage. Fast jedes fünfte Unternehmen wurde in den vergangenen zwei Jahren dadurch geschädigt. In zwei Dritteln der Fälle stammten die Täter aus dem Ausland: 50 % davon aus China sowie 38 % aus anderen asiatischen Ländern.
Insbesondere für mittelständische Unternehmen können diese Schäden erheblich sein. Im Durchschnitt erlitten die Unternehmen im Erhebungszeitraum allein durch diese Deliktarten finanzielle Verluste von 1,5 Mio. €.
Allerdings überstiegen die Schäden in dieser Branche im internationalen Vergleich die deutscher Unternehmen erheblich.
7,8 Mio. € verloren westeuropäische Chemie- und Pharmaunternehmen, wozu noch zusätzlich 1,3 Mio. € Managementkosten kamen.
Diese hohe Differenz innerhalb Westeuropas lässt vermuten, dass deutsche Unternehmen wahrscheinlich zu wenige schadensintensive Delikte aufdecken.
Auf welchem Wege werden die Delikte entdeckt?
Dr. V. Fitzner: Rund zwei Drittel der Wirtschaftsdelikte gegen westeuropäische oder deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen wurden ohne explizite Kontrollen eher zufällig durch unternehmensinterne oder -externe Hinweisgeber aufgedeckt.
Besonders häufig wurden Ermittlungen durch Hinweise aus dem eigenen Unternehmen ausgelöst, in Westeuropa bei 49 % aller Fälle.
Worauf führen Sie dies zurück?
Dr. V. Fitzner: Dies kann mehrere Gründe haben, zum einen die hohe öffentliche Wahrnehmung des Themas Wirtschaftskriminalität. Diese kann in Deutschland stärker ausgeprägt sein als in anderen Ländern.
Das deutsche Ergebnis könnte jedoch auch ein Indikator für ein zu schwach entwickeltes Kontrollumfeld oder fehlendes Hinweisgebersystem sein.
Dies würde auch das Ergebnis erklären, warum Unternehmen hierzulande zahlenmäßig weniger betroffen sind als im internationalen Vergleich.
Auf welche Kontroll- und Präventionsmaßnahmen setzen die Unternehmen?
Dr. V. Fitzner: In Deutschland haben 36 % der Chemie- und Pharmaunternehmen ein Hinweisgebersystem implementiert. In Westeuropa sind es 38 % und weltweit immerhin 46 % der befragten Unternehmen. Abgesehen von der noch zu geringen Verbreitung von Hinweisgebersystemen und Anti-Korruptions-Programmen sind in der Chemie- und Pharmabranche auffallend wenige Compliance-Systeme implementiert.
Nur jedes zweite deutsche Unternehmen verfügt über ein Compliance-Programm, während in Westeuropa mit 60 % und auch weltweit mit 61 % deutlich mehr Chemie und Pharmaunternehmen ihre Präventionsarbeit durch ein Compliance-Programm unterstützen.
Hier sehen Sie also Handlungsbedarf?
Dr. V. Fitzner: Ja, im internationalen Branchenvergleich zeigt sich, dass deutsche Unternehmen bei der Kriminalitätsbekämpfung Nachholbedarf haben. Die Unternehmen verfügen im Durchschnitt über weniger Kontroll- und Präventionsmaßnahmen.
Zwar sind ethische Richtlinien in den deutschen Unternehmen ähnlich stark verbreitet wie im westeuropäischen oder weltweiten Vergleich, aber nach unseren Ergebnissen erweist sich gerade die Kombination von ethischen Richtlinien und einem Compliance-Programm als besonders wirksam zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität.