Großanlagenbau muss flexibel agieren können
2016: Bestellungen sinken um drei Prozent auf 18,9 Milliarden Euro
Die von den Mitgliedern der VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau 2016 in Deutschland verbuchten Auftragseingänge lagen mit 18,9 Mrd. EUR um 3% unter dem Wert des Vorjahres und damit auf dem niedrigsten Stand seit 2004. Dies wirkte sich auch auf die Beschäftigtenzahl aus, die an den Inlandsstandorten um 2% auf 57.600 Mitarbeiter (2015: 58.800) zurückging. „Angesichts des herausfordernden Umfelds, das von niedrigen Rohstoffpreisen, Überkapazitäten, starkem Preis- und Wettbewerbsdruck sowie vielfältigen politischen und wirtschaftlichen Risiken geprägt ist, werten wir es als Zeichen hoher Wettbewerbsfähigkeit, dass der Großanlagenbau sich insgesamt nahezu stabil in seinen Märkten behaupten konnte“, sagte Jürgen Nowicki, Sprecher der Geschäftsleitung der Linde Engineering Division und Sprecher der VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau, anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen Lageberichts in Frankfurt am Main.
Im laufenden Jahr ist mit keiner Trendwende im Großanlagenbau zu rechnen. Laut einer aktuellen Mitgliederumfrage erwartet die überwiegende Mehrheit der Unternehmen bestenfalls stagnierende Umsätze sowie rückläufige Beschäftigtenzahlen im Inland. Nowicki: „Immerhin erhofft sich rund die Hälfte der Befragten leicht steigende Auftragseingänge.“
Richtungsweisende Schritte des Bundes in der Hermesdeckung
Im Großanlagenbau spielt die Absicherung der Exportgeschäfte durch die sogenannten Hermes-Deckungen eine wichtige Rolle. Der Bund hat jüngst Bestimmungen zur Deckungsfähigkeit ausländischer Lieferungen und Leistungen vereinfacht und den Genehmigungsprozess transparenter gestaltet, wenn die ausländischen Anteile 49% des abzusichernden Exportauftrags übersteigen. Dies war nach Ansicht des VDMA Großanlagenbaus ein wichtiger und richtiger Schritt. Allerdings, Märkte und Wertschöpfungsketten verändern sich und immer mehr, Ausschreibungen in Entwicklungs- und Schwellenländern sehen stärkere lokale Lieferanteile vor. Schon allein dadurch sind die an das OECD-Regelwerk gebundenen deutschen Anbieter gegenüber der asiatischen Konkurrenz im Nachteil, da die Absicherung lokaler Leistungen durch das OECD-Regelwerk stark beschränkt ist. Der Großanlagenbau fordert den Bund daher auf, sich auch in der kommenden Legislaturperiode für ein „Level Playing Field“, insbesondere für eine Ausweitung der Absicherung lokaler Kosten, einzusetzen.
Wachsendes Risiko von Doppelbesteuerungen
Ausgehend von einer hohen Exportquote von mehr als 80% ist das Projektgeschäft der Mitglieder des VDMA Großanlagenbaus von langen Montagetätigkeiten im Ausland geprägt. Aufgrund dessen müssen die Unternehmen zunehmend eine doppelte Besteuerung des anteiligen Betriebsstättengewinns verkraften – das heißt, derselbe Gewinn wird sowohl im Land der Auslandstätigkeit als auch in Deutschland besteuert. Gründe liegen häufig in fehlenden Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit den betroffenen Staaten, der fehlenden Harmonisierung der Gewinnermittlung und in der abnehmenden Vertragstreue bei vorliegenden DBAs. Gleichzeitig gewinnen die Märkte in Afrika an Bedeutung. Allerdings haben dort 54 Staaten 54 unterschiedliche, nicht ansatzweise harmonisierte Steuersysteme. Deutschland unterhält jedoch im Jahr 2017 lediglich mit zwölf afrikanischen Staaten ein Doppelbesteuerungsabkommen. Der VDMA Großanlagenbau plädiert deshalb für mehr solcher Abkommen sowie für praxisnahe Lösungen bei Doppelbesteuerungen.
Auslandsorders rückläufig – Megaprojekte in Ägypten und Russland
Im Ausland sanken die Bestellungen 2016 um 10% auf 15,2 Mrd. EUR (2015: 16,9 Mrd. EUR). Betroffen waren davon nahezu alle Regionen. Besonders deutlich war der Einbruch im Mittleren Osten, wo die Kunden des Anlagenbaus angesichts des niedrigen Ölpreises Investitionen zurückstellten. Doch auch in Schwellenländern wie etwa Brasilien, Indien und Mexiko war die Entwicklung enttäuschend. Immerhin stabilisierte sich die Nachfrage in den Industrieländern und im asiatisch-pazifischen Raum mit China als wichtigstem Markt. „Eine Reihe von Megaprojekten in Ägypten und Russland sorgte dafür, dass das Auslandsgeschäft nicht noch weiter schrumpfte. Gleichzeitig verharrte die Zahl der für den Großanlagenbau typischen und für die Auslastung der Unternehmen wichtigen Projekte in der Größenordnung von 125 bis 500 Millionen Euro auf niedrigem Niveau“, erläuterte Nowicki.
Inland-Auftragseingang steigt von niedrigem Niveau
Im Inlandsgeschäft gab es vereinzelte Lichtblicke. Dennoch blieb das Niveau mit Bestellungen von 3,7 Mrd. EUR niedrig und lag um rund 1 Mrd. EUR unter dem langjährigen Durchschnitt (2007 bis 2016: 4,6 Mrd. EUR). Nach wie vor fehlen Großaufträge für thermische Kraftwerke. „Letztlich hat die Energiewende in Deutschland zu einem Strukturbruch bei der klassischen Stromerzeugung geführt, der den nahezu kompletten Wegfall des Kernmarktes nach sich zog“, kommentierte Nowicki die aktuelle Entwicklung.
Modulare Anlagen und mittlere Projektgrößen rücken in den Fokus
Im Großanlagenbau rücken mittlere Projektgrößen unter 100 Mio. EUR zunehmend in den Fokus. Getrieben wird diese Entwicklung auch von veränderten Kundenbedürfnissen. Die Käufer wünschen sich die Lieferung modularer Anlagen, die mit digitalen Schnittstellen ausgestattet sind und auf denen sich kleine Losgrößen flexibel herstellen lassen. Zu beobachten ist dieser Trend insbesondere in der Stahl- und in der Papierherstellung sowie in der Holzindustrie und der Energieerzeugung. Der Großanlagenbau reagiert auf die neuen Markterfordernisse, indem er die auf das Großprojektgeschäft ausgelegten Managementprozesse an die neuen Rahmenbedingungen anpasst. Nowicki: „Flexibilität und Reaktionsschnelligkeit sind in diesem Umfeld die neuen Trümpfe.“
Branche setzt auf Stärkung der EPC-Fähigkeit
Auch wenn die Nachfrage nach Megaanlagen tendenziell sinkt, bleibt die Übernahme der Gesamtverantwortung für Projekte – kurz EPC-Fähigkeit genannt – ganz oben auf der Agenda des Großanlagenbaus. Denn immer mehr Kunden fordern Komplettpakete und damit auch die Übernahme der Verantwortung für die Gesamtabwicklung. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau reagieren auf diesen Trend, indem sie ihre Kompetenzen im Risiko- und Projektmanagement, aber auch im Contract- und Claimsmanagement von hohem Niveau ausgehend weiter ausbauen.
Die Unternehmen stärken überdies ihr Wissen im Bau- und Montagemanagement. In diesem Zusammenhang nimmt vor allem das Thema HSE – also die Verantwortlichkeit des Anlagenbaus für Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter sowie für den Umweltschutz – an Bedeutung zu. Um den steigenden gesetzlichen Vorgaben und den umfangreichen Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden, hat der VDMA Großanlagenbau auch in diesem Bereich Personal und Wissen ausgebaut. „Schließlich umfasst der Verantwortungsbereich des Anlagenbaus speziell auf Baustellen neben dem eigenen Personal auch die Sicherheit der Mitarbeiter von Unterlieferanten sowie von freien Mitarbeitern. Diese Aufgabe nehmen wir sehr ernst“, erläuterte Nowicki.
2017: Optimismus dank Innovations- und Technologiestärke
Angesichts fehlender Wachstumsimpulse in vielen Industrie- und Schwellenländern bemüht sich die Branche derzeit um die Erschließung neuer Märkte in Afrika sowie in Süd- und Zentralasien. Darüber hinaus eröffnen sich dem Anlagenbau in den USA und im Iran gute Absatzchancen. „Der VDMA Großanlagenbau ist nach wie vor Innovations- und Technologieführer im globalen Markt. Eine hohe Service- und Ausbildungskompetenz sowie die Fähigkeit, Anlagen zu betreiben und sie mit digitaler Intelligenz auf- und nachzurüsten sind weitere spezifische Stärken der Branche. Insofern schauen die Unternehmen mit Optimismus in die Zukunft“, lautete das Fazit von Großanlagenbau-Sprecher Nowicki.
Die Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau ist die Interessenvertretung und das wichtigste Netzwerk Großanlagen bauender Unternehmen in Deutschland. Sie repräsentiert einen jährlichen Auftragseingang von rund 19 Mrd. EUR und 58.000 Beschäftigte im Inland. Mit einem Weltmarktanteil von 15% und mehr als 80% Exportquote üben die Unternehmen eine erhebliche Lokomotivwirkung auf die inländische Zulieferindustrie aus.