Das M&A-Karussell dreht sich wieder
Nach der Rezession erwartet die Chemiebranche verstärkt Fusionen und Übernahmen
Die internationale Chemiebranche steht vor der nächsten Konsolidierungsrunde. Dies zeigte nicht nur die Offerte von Reliance Industries für die insolvente Lyondellbasell-Gruppe. Auch weitere Akteure aus dem Mittleren Osten, Asien - speziell China und Indien - und Russland werden bei dem zukünftigen M&A-Geschehen mit von der Partie sein. Dadurch wandern Chemie-Assets von West nach Ost.
Konzerne aus dem Persischen Golf arbeiten daran, ihren Kostenvorteil bei der Rohstoffversorgung (Erdöl und Erdgas) stärker auszuspielen. Dies gilt auch für das Kunststoffgeschäft und die Produktion anderer chemischer Zwischenprodukte. Eine weitere Konsolidierung ist insbesondere durch die Petrochemieakteure aus dem Mittleren Osten und Asien zu erwarten, da diese intendieren, z.B. im Kunststoffbereich, zusätzliche Produktionsstufen aufzubauen und ein verstärktes Interesse am Erwerb von Know-how, d.h. Technologie und globaler Marktpräsenz zeigen. Und am einfachsten und schnellsten lassen sich diese Ziele durch Akquisitionen erreichen.
In Folge könnten beispielsweise sowohl die britische Ineos-Gruppe als auch die zum Verkauf stehenden Styrol-Sparten von BASF und Dow ein Investment für arabische und asiatische Konzerne darstellen. Durch den Kauf der Petrochemiesparten von DSM und Veba Oel bereits Anfang des Jahrzehnts und den Kauf von GE Plastics im Jahr 2007 gilt Sabic hier als Vorreiter. Auch die arabische International Petroleum Investment Comp. (IPIC) ist bereits mehrheitlich an Borealis beteiligt und erwarb 2009 sowohl den kanadischen Chemiekonzern Nova als auch den deutschen Chemieanlagenbauer Ferrostaal. Zudem zeigt das Unternehmen aktuell Interesse an Bayer Materialscience.
Asiatische Unternehmen engagieren sich verstärkt im Westen
Auf der asiatischen Seite verkündete China National Chemical Corp. (CNCC) Interesse an dem Agrochemiegeschäft von Dow und die chinesische Yantai Wanhua sicherte sich 2009 über den Kauf von Schuldtiteln einen Minderheitsanteil beim taumelnden Kunststoffhersteller Borsodchem aus Ungarn. Sinochem plante die Übernahme des führenden australischen Agrochemieunternehmens Nufarm. Dies konnte jedoch durch die aktuelle 20%-Beteiligung des japanischen Chemiekonzerns Sumitomo Chemical an Nufarm verhindert werden. Die Japaner konnten dadurch nicht nur die Übernahme durch die Chinesen verhindern, sondern gleichzeitig auch ihr eigenes Geschäft mit Pflanzenschutzmitteln verstärken.
Private Equity-Beteiligungen sind ebenfalls bei den Unternehmen Cognis (Permira und GS Capital Partners), Süd-Chemie (One Equity Partners), Vinnolit und H.C. Starck (beide Advent International), Evonik (CVC), Oxxynova (Arques)und bei dem insolventen Unternehmen Dystar (Platinum Equity) zu finden. Das Unternehmen hatte bereits Ende 2009 einen Übernahmevertrag mit dem indischen Textilfarbenhersteller Kiri Dyes & Chemicals Ltd. unterzeichnet, der die Bildung einer Transfergesellschaft ermöglicht. Anfang Februar 2010 konnte Kiri die Finanzierung sicherstellen und damit den Wettbewerber um den Kauf von Dystar, den deutlich größeren chinesische Textilfarbenhersteller Hubei Chuyuan, aus dem Rennen werfen. Ein Blick auf die Chemiedistributionsunternehmen zeigt ebenso, dass sich eine Vielzahl im Besitz von Private Equity-Firmen befindet, beispielsweise Azelis (3i), Brenntag (BC Partners), IMCD (ABN Equity), Solvadis (Orlandao), Quaron (Bencis) und Univar (CVC).
Finanzinvestoren wollen sich von älteren Investments trennen
Es sind aber nicht nur die Beteiligungen von Private Equity-Gesellschaften an einem Industrieunternehmen oder die M&As zwischen Industrieunternehmen, die in den nächsten Jahren zu nehmen dürften. Auch „Secondaries", d.h. Verkäufe von einem Finanzinvestor zu einem anderen Finanzinvestor, könnten durchaus in Betracht gezogen werden. Zu einem haben sich einige Fonds mit Investments zurückgehalten und Milliarden eingesammelt. Dieses Geld steht jetzt für weitere Engagements zur Verfügung und will investiert werden. Gleichzeitig wird bei einigen Private Equity-Firmen der Druck für einen „Exit" wachsen, d.h. sich von älteren Engagements zu trennen. Zusätzlich wächst der Druck, die Kapitalgeber mit Ausschüttungen zu bedienen, sobald der Private Equity-Fond das Ende seiner Laufzeit erreicht. Der Verkauf und die Trennung von Portfoliogesellschaften sind somit nur noch eine Frage der Zeit. Hierbei könnte es vor allem zur Trennung von Beteiligungen kommen, die in den Jahren 2003 bis 2006 erworben wurden. Etwaige Unternehmen könnten für andere Beteiligungsgesellschaften in der gegenwärtigen Lage durchaus eine interessante Option sein. Dies insbesondere, wenn die Unternehmen bereits weitgehend entschuldet sind und in den vergangenen Jahren durch den vorherigen Private Equity-Besitzer transparente Reporting-Strukturen implementiert wurden. Für ein Engagement und Aufleben des M&A-Marktes in der Chemie spricht auch, dass mit einer Belebung der Geschäfte und einem erwarteten Ausklingen der Rezession für die nächsten Jahre auch wieder mit Wachstum zu rechnen ist.
Unverminderter Wettbewerbsdruck führt zu weiterer Konzentration des Marktes
Durch die erneute Nachfrage aus den asiatischen Märkten bleibt auch die EU-Chemieindustrie weiter Wachstumskurs. Innerhalb der EU wird insbesondere die Konzentration auf Spezialchemikalien bzw. Produkte mit höherer Wertschöpfung weiter ausgebaut und im Gegenzug die ertragsschwachen Sparten der Grundstoffchemie, wo möglich, weiter reduziert werden. Ausgewählte Produzenten aus dem Persischen Golf werden dort ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessern können. Die Produzenten in der EU werden beispielsweise durch die Erhöhung der Energieeffizienz vermehrt von Innovationstreibern profitieren können. Und Umweltschutz sowie Gesundheit werden nicht zuletzt auch durch die Reach-Verordnung immer wichtiger.
Finanzinvestoren werden sich von älteren Engagements trennen und asiatische Unternehmen werden sich verstärkt in Europa um Engagements bemühen. Um die Kostenstruktur zu verbessern und weiter wachsen zu können, dürfte sich der Konzentrationsprozess in der Branche somit insgesamt fortsetzen. Damit wird sich auch das M&A-Karusell - angetrieben sowohl von Industrieunternehmen als auch von Finanzinvestoren - in den nächsten Jahren wieder verstärkt drehen und die eine oder andere Überraschung bereithalten.