Medizin mit Zukunft
Münchner Biotech-Cluster setzt auf die Entwicklung personalisierter Therapeutika
Das genetische Profil eines Menschen erzeugt sein individuelles Muster aus Zell- und Stoffwechselprodukten. Wird dieses Muster durch eine Krankheit verändert, entstehen dadurch weitere individuelle Kombinationen. Die Arzneimittel der Zukunft könnten besser auf Patientengruppen und ihre jeweiligen Krankheitsmuster zugeschnitten werden. Derart spezifische Medikamente samt passender Diagnostik werden unter dem Begriff personalisierte Medizin zusammengefasst. In München hat sich unter Leitung von Prof. Dr. Horst Domdey ein Spitzencluster zur Medizin der Zukunft formiert. Clara Steffens sprach für CHEManager mit dem Geschäftsführer von BioM Biotech Cluster Development zu aktuellen Entwicklungen.
CHEManger: Warum setzen Sie in der Münchner Biotech-Region den Fokus auf die personalisierte Medizin?
Prof. Dr. H. Domdey: Die Münchner Biotechnologie-Branche hat in den letzten Jahren einige Erfolge in der Medikamentenentwicklung verbuchen können: Medigene war deutschlandweit das erste - und lange das einzige - Biotech-Unternehmen, das Medikamente erfolgreich durch den Zulassungsprozess bekommen hat. Trion Pharma war 2009 erfolgreich mit dem ersten deutschen „Antikörper-Medikament" von bench-to-bedside, das von der Idee bis zur Zulassung an einem Standort entwickelt wurde. Die Genom- und Proteomforschung an den Münchner Forschungseinrichtungen sind exzellent, und die beiden Universitätskliniken haben eine internationale Spitzenstellung. Es lag also nahe, diese Kompetenzen stärker zu bündeln und die molekulare Medizin mit der Kompetenz der Therapeutika-Entwicklung der mittelständischen Biotech-Firmen am Standort zu verknüpfen.
Und davon profitieren künftig auch die Patienten?
Prof. Dr. H. Domdey: Das wird nicht sofort sein, und vielleicht noch nicht einmal sehr bald. Der Wissenszuwachs aus der Genomforschung ist jedoch so groß, dass Patienten in der Diagnostik schon sehr stark profitieren werden. Durch die stärkere Verknüpfung der Diagnostik, und damit der dort etablierten und weiterhin zu entdeckenden Biomarker für bestimmte Krankheitssituationen mit der Medikamentenentwicklung kann bereits heute in einigen Fällen eine bessere therapeutische Maßnahme ergriffen werden. Dies gilt es nun auf viel mehr Indikationen auszuweiten und mit neuen Medikamenten umzusetzen.
Wann werden es Entwicklungen aus Ihrem Spitzencluster bis zur Anwendung in der Klinik schaffen?
Prof. Dr. H. Domdey: Unsere Förderung läuft zwar über fünf Jahre, aber wir haben eher einen Zeitraum von zehn Jahren im Visier. In dieser Zeit sollen aus heute fünf zugelassenen Medikamenten 50 werden. Nicht alle werden von den Münchner Firmen selbst durch den Zulassungsprozess geführt, aber unsere Firmen werden in enger Partnerschaft mit der Pharmaindustrie durchaus in der Lage sein, für 50 Medikamente die entscheidende Grundlage zu liefern.
Das Spitzencluster arbeitet u.a. an eLearning-Instrumenten für Mediziner. Wird sich der Arztberuf in der personalisierten Medizin stark verändern?
Prof. Dr. H. Domdey: Der Arzt wird noch vielmehr zum Wissensmanager all der Informationen, die gerade für den molekularen Bereich durch die Biowissenschaften bereitgestellt werden: Er lässt Diagnosen durchführen und muss schließlich aus mehreren Handlungsoptionen auswählen. Er braucht also einen guten Überblick darüber, was die angebotenen Informationen für den therapeutischen Weg bedeuten. Die Ärzte müssen dafür noch besser im Bereich der Molekulargenetik und verwandter Disziplinen bewandert sein. Die Therapieentscheidung wird zukünftig zu einer echten Wissenschaft werden.
Welchen Nutzen hat die personalisierte Medizin für den Patienten?
Prof. Dr. H. Domdey: Viele Medikamente werden heute eingesetzt, ohne dass man vorher in das individuelle Patientenprofil auf molekularer Ebene schaut. Oft wird erst im dritten oder vierten Versuch eine Wirkung erzielt oder es entstehen durch falsche Medikationen schwere Nebenwirkungen. Falsche ärztliche Praxis gilt in den USA als vierthäufigste Todesursache. Das ist eine unglaublich hohe Zahl.
Die Entwicklung einer passenden Diagnostik kostet aber auch Geld.
Prof. Dr. H. Domdey: Dass ist mir bewusst, doch die personalisierte Medizin ist auch ein wichtiger Weg, um Kosten zu reduzieren. Nehmen Sie folgendes Beispiel: Eine Behandlung mit dem Brustkrebsmedikament kostet jährlich zwischen 30.000 und 50.000 €. Das ist ein typischer Preis für eine personalisierte Therapie. Aber was hätte es gekostet, wenn ich erst x andere Medikamente und Behandlungsformen ausprobiert hätte? Wenn die Patientin durch eine schwere Nebenwirkung weiteren Schaden genommen hätte und kostenintensiv behandelt werden müsste?
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Biotech- und Pharmaindustrie?
Prof. Dr. H. Domdey: In unserem Spitzencluster hat sich die Pharmaindustrie mit eigenen Anträgen zurückgehalten. Sie wartet eher die ersten Entwicklungsschritte ab und lizenziert dann ein. Die Pharmaindustrie veredelt also eher die Produkte und schaltet sich in einer Phase ein, zu der die Erfolgschancen schon relativ groß sind. Die Biotechnologie wird dadurch zu einer Zulieferindustrie, ohne die die Pipelines der Pharmaindustrie auszutrocknen drohen. Biotech-Unternehmen produzieren heute, was die Pharmaindustrie haben möchte. Mit dem Lizenzverkauf können sie weitere Forschungsprojekte vorangetrieben werden. Das ist ein gutes Modell.
Zudem sind es in unserem Förderkonzept hauptsächlich die Biotech-Unternehmen, die die wichtigen Projekte für einen Standort mit den lokalen Forschungs- und klinischen Einrichtungen durchführen. Pharmafirmen agieren dagegen global und sind nur im Einzelfall zu einer Kooperation an einem bestimmten Standort zu bewegen.
Inwieweit trägt der Lizenzverkauf zur Finanzierung von Biotech-Unternehmen bei?
Prof. Dr. H. Domdey: Derzeit sehe ich keine andere Möglichkeit der Finanzierung, wenn ich auf den aktuellen Stand der Firmengründungen blicke: Es gibt aktuell keine Neugründungen in der reinen Medikamentenentwicklung, sondern es gründen sich fast nur Service-Unternehmen. Die langfristige und zugleich frühe Finanzierung ist der Flaschenhals.
Unternehmen, die bereits bestehen, müssen entweder eine hervorragende Technologieplattform im Angebot haben, um eigene Entwicklungsprogramme finanzieren zu können - wie etwa Morphosys -, oder an der Börse notiert sein und Kapitalerhöhungen durchbekommen, wie 4SC oder Wilex. Oder sie müssen mit einer innovativen Medikamentenidee interessante Partnerunternehmen für große Pharmafirmen darstellen, um im Geschäft zu bleiben, so wie Micromet.
Könnte sich dies in Zukunft wieder ändern?
Prof. Dr. H. Domdey: Wir wollen insbesondere die Finanzierungslücke am Startpunkt von Innovationen überbrücken und daher einen Sidecar-Seedfonds auflegen, der in einem Zeitraum von drei Jahren insgesamt 5 Mio. € und damit ausreichend Kapital für eine Anfangsentwicklung zur Verfügung stellt. Das genügt in einigen Fällen für eine präklinische Entwicklung, vielleicht sogar bis zur klinischen Entwicklung. Wir hoffen hier auf die nächste Generation an Unternehmern und auch Gründungen.
In Ihrer Vision 2020 wollen Sie sich zu einem „International Center of Excellence in Personalized Medicine and Targeted Therapies" entwickeln. Wie wollen Sie dies erreichen?
Prof. Dr. H. Domdey: München ist in der Forschung international bekannt. In Europa spielen wir mit unseren Biotech-Firmen in der Champions-League, zumindest im Halbfinale. Auf globaler Investoren- und Industriekooperationsebene müssen wir uns jedoch wieder stärker ins Gespräch bringen. Wir müssen und werden daher sehr viel stärker international agieren, und werden z.B. Ende Juni nach Japan reisen, um gezielt Investoren anzusprechen. Das gleiche gilt für die USA. Wir müssen dort mehr vor Ort sein - eine Anzeige in ‚Nature‘ zieht keine Investoren mehr an.
Ein ergänzendes Interview finden Sie im aktuellen Online Magazin wissen + konzepte - Kommunikation für Forschung, Technik und Medizin.