Schnellere Chemie-Innovationen durch Partnerschaften
Start-ups forcieren die Wettbewerbsfähigkeit des Chemiestandorts Deutschland
CHEManager: Herr Bengs, wie hat sich das Umfeld für Chemie-Gründer in den vergangenen Jahren entwickelt?
Holger Bengs: Seit Mitte der 1990er Jahre kümmert sich ‚ganz Deutschland‘ um Biotech-Gründungen. Initiiert durch den BioRegio-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Jahr 1996 haben sich zahlreiche Biotechnologie-Initiativen etabliert und gute Rahmen- und Wachstumsbedingungen für junge Unternehmen der Branche geschaffen. Chemie-Gründungen standen dabei lange Zeit weniger im Fokus. Das hat sich seit etwa fünf Jahren geändert. Begonnen hat es mit dem Innovationsmotor Chemie, einem Workshop für Gründer, Forscher und Unternehmen an der Universität Frankfurt, initiiert durch den Verband der Chemischen Industrie und weitere Unterstützer.
Heute gibt es vielfältige Initiativen. Große Chemieunternehmen suchen die Nähe zu Start-ups und bieten Acceleratoren oder Inkubatoren an. Das Forum Start-up Chemie – in dem sich viele Stakeholder ehrenamtlich engagieren – nimmt an Fahrt auf. Der Bundesverband Deutsche Startups ist sehr aktiv rund um das Thema grüne Chemie. Das International Sustainable Chemistry Collaborativ Centre, kurz ISC3, forciert dieses Thema zudem auf internationaler Ebene. Und was die Finanzierungen von Chemie-Start-ups angeht, hat der High-Tech Gründerfonds Großes geleistet.
Es gibt also zahlreiche Akteure, die sich um Chemie-Start-ups kümmern. Gibt es auf der anderen Seite auch mehr Menschen in der Chemie, die Unternehmer werden wollen?
H. Bengs: Eine Gründerin oder einen Gründer gibt es nicht im 3D-Druck. Wir müssen die Entwicklung langfristig betrachten und auch gesellschaftlich einen Gründergeist in der Chemie entwickeln. Das braucht Zeit. Auch, weil der dritte Weg der Karriere für Chemiker, neben Industrie und öffentlichem Dienst, in der Ausbildung von der Schule über die Universität bis in den Beruf lange Zeit keine Rolle gespielt hat. Inzwischen machen sich immer mehr Lehrstühle um das Thema Gründung in der Chemie verdient, zum Beispiel die Hochschule Fresenius in Idstein (vgl. "Gründen als Experiment"), andere Lehrstühle der Wirtschaftschemie und darüber hinaus.
„Chemie-Gründungen standen lange Zeit weniger im Fokus.
Das hat sich seit etwa fünf Jahren geändert.“
Was raten Sie jungen Menschen, die ein Start-up gründen wollen?
H. Bengs: Informieren Sie sich, aber bitte nicht nur im Internet! Es gibt in Deutschland zahlreiche Möglichkeiten, mit Menschen, die schon Erfahrungen in der Praxis gemacht haben, in Kontakt zu kommen. Wer sich entschieden hat, ein Unternehmen zu gründen, ist gut beraten, an einem Businessplan-Wettbewerb teilzunehmen. Die gibt es regional, wie PlanB, einen bayerischen Wettbewerb für grüne, biobasierte Geschäftsideen, oder auch bundesweit: Der Science4Life Venture Cup hat gerade zum 21. Mal seine Sieger gekürt und ist eine etablierte und anerkannte Größe, wenn es um die Ausbildung und die Vernetzung von Gründern geht.
Fragt man Gründer in Chemie und Life Sciences nach Hürden, wird häufig die Finanzierung genannt. Zu Recht?
H. Bengs: Für mich ist das ein falscher Glaubenssatz. Es ist genügend Geld am Kapitalmarkt im Umlauf, das nach guten Ideen sucht, die Rendite versprechen. Der Finanzierung eines Start-ups sollte nichts im Wege stehen, wenn der Business Case stimmt. Hier sehe ich jedoch sehr hohen Nachholbedarf. Ich begutachte seit 1998 Businesspläne bei Science4Life. Viele davon sind Technologiepläne. Sie enthalten keine klaren Antworten auf die Fragen: Was ist unser Produkt, unsere Dienstleistung? Wer ist der Kunde? Wie funktioniert das Geschäftsmodell? Wie bringen wir unsere Innovation auf den Markt und wer finanziert uns in der Zwischenzeit? Wenn in einem Businessplan das Technologiekapitel das längste ist, dann stimmt etwas nicht.
„Der Finanzierung eines Start-ups sollte nichts im Wege
stehen, wenn der Business Case stimmt."
Das heißt, keine erfolgreiche Gründung ohne einen guten Businessplan?
H. Bengs: Ja und nein. Sich über seine Geschäftsidee Gedanken zu machen und sie teilweise zu verschriftlichen, ist sicherlich zielführend. Ein Businessplan ist jedoch kein Muss. Es gibt auch Venture Capital, das auf Basis eines zehnseitigen Pitch Decks nach der Kawasaki-Methode investiert wird. Oder, um auf die Frage mit einem Zitat zu antworten: ‚Der Plan ist nichts, Planung ist alles.‘ Mit den richtigen Macherqualitäten kann man auch ohne Businessplan erfolgreich sein. Wer mehr darüber lernen möchte, dem empfehle ich die autorisierte Biografie über Steve Jobs.
Welche „Macherqualitäten“ sollte ein Gründer mitbringen?
H. Bengs: Ein Gründer braucht den unternehmerischen Mut, Risiken gezielt einzugehen und Entscheidungen – für oder auch gegen etwas – zu treffen. Darüber hinaus muss er Verkäufer sein, um ein Unternehmen zu führen.
Sie erwähnten eingangs das steigende Interesse von großen Chemieunternehmen an der Zusammenarbeit mit Start-ups. Worauf führen Sie dies zurück?
H. Bengs: Folgt man einer ZEW-Studie für den VCI hat die Innovationskraft in der Chemie Luft nach oben, was den Umsatz mit Produktneuheiten oder Prozessinnovationen betrifft. Hier könnten Unternehmen jeder Größe durch Kooperationen ihr Potenzial besser nutzen. Gefragt ist auch der Mittelstand. Die Zusammenarbeit etablierter Unternehmen mit Start-ups kann sich positiv auf die Innovationskraft der Chemiebranche auswirken. Denn die „jungen Wilden“ tragen mit ihrer Agilität, Flexibilität und Schnelligkeit maßgeblich dazu bei, eingefahrene Denkweisen aufzubrechen. Gleichzeitig haben die Etablierten die notwendige Erfahrung in der Umsetzung.
Dieses Potenzial für die Innovationskraft der Chemie zu heben, setzt jedoch eine erfolgreiche Zusammenarbeit beider Akteure voraus. Nach einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group sind jedoch nur die Hälfte der Großunternehmen und Start-ups zufrieden mit dem Verlauf einer Kooperation. Woran könnte das liegen?
H. Bengs: Ich halte 50 % für eine sehr gute Quote. Natürlich gibt es auf beiden Seiten noch Lernpotenzial. Große Unternehmen sind – auch wenn hier in den vergangenen Jahren ein großer Wandel stattgefunden hat – behäbige Schiffe mit etablierten Strukturen und Prozessen. Start-ups wiederum haben keine Zeit zu verschenken und möchten schnell passgenau Leute in einem Großunternehmen ansprechen. Verständlicherweise schmeckt es einem Gründer nicht, wenn eine Entscheidung lange dauert, weil zum Beispiel das zuständige Gremium beim Kooperationspartner nur alle paar Wochen tagt. Allerding sollte ein Start-up akzeptieren, dass es vorgegebene Strukturen in einem Unternehmen gibt und auch nicht jeder Handshake zu einem Auftrag führen muss. Gründer, die keine Erfahrung in der Verhandlung mit der Großindustrie haben, sollten sich hierzu beraten lassen und dafür ein Budget einplanen, genau wie für ihren Steuerberater oder Patentanwalt.
„Im Zentrum des European Chemistry Partnering steht derMit dem European Chemistry Partnering, ECP, haben Sie selbst eine Partnerbörse für Start-ups und Chemieunternehmen etabliert. Welche Idee steckt dahinter?
schnelle Austausch zwischen potenziellen Partnern.“
H. Bengs: Als wir vor einigen Jahren die Statistiken für unseren ersten Compass to Europe’s Innovative Chemical Companies zusammengetragen haben, waren wir überrascht über die Anzahl der Start-ups, auf die wir gestoßen sind. Dabei entstand die Idee, diese Menschen zusammenzubringen, damit sie sich kennenlernen, Partnerschaften eingehen und ihr Geschäft weiter entwickeln können. 2017 fand das erste European Chemistry Partnering mit 140 Teilnehmern in Frankfurt statt, eine Matching- und Pitching-Veranstaltung, die den inhaltlichen Austausch zwischen allen, die die Chemiewertschöpfung verändern, organisiert. Im Februar 2020 veranstalten wir das vierte European Chemistry Partnering am Chemiestandort Frankfurt. Wir erwarten über 1.000 Teilnehmer aus über 40 Nationen. Zusätzlich bieten wir seit zwei Jahren ein ECP Summer Summit an, dieses Jahr am 26. September bei Henkel in Düsseldorf.
Das klingt nach einer Erfolgsgeschichte. Was erwartet die Teilnehmer eines ECPs?
H. Bengs: Das European Chemistry Partnering hat eine klare Struktur. Ein Keynote Speaker setzt den Impuls für den Tag und erzeugt die richtige Stimmung. Anschließend finden dann verschiedene Formate parallel statt. Das Herz bilden die 20-minütigen Partnering-Gespräche. Die Termine kann jeder Teilnehmer im Vorfeld über eine internetbasierte Software selbst anfragen. Wird seine Anfrage bestätigt, entsteht ein One-on-One-Termin, etwa um 14 Uhr an Tisch 88. Parallel zu den Partnerings gibt es Kurzvorträge, wir nennen sie Pitches. Alle sechs Minuten. Damit niemand etwas verpasst, werden die Pitches aufgezeichnet und den Teilnehmern online zur Verfügung gestellt. Zusätzlich bieten wir Partnern und Sponsoren die Möglichkeit für Themenworkshops. Daneben gibt es eine Ausstellung. Aber, um es nochmal zu betonen: Im Zentrum des ECP steht der schnelle Austausch zwischen potenziellen Partnern und das Bilden einer vertrauensvollen Community.
Das ECP ist 2017 als Veranstaltung für die Vernetzung von Start-ups gestartet. Wofür steht es heute?
H. Bengs: Das ECP hat sich zum Industrie-Speed-Dating für Innovatoren und Entscheider entwickelt. Neben Start-ups, Mittelstand und Großunternehmen der Chemieindustrie treffen sich dort Investoren sowie qualifizierte Dienstleister der Branche. Mittlerweile ‚partnern‘ auch große Unternehmen untereinander. Im Februar haben ECP und ISC3 ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. Gemeinsam wollen wir international dazu beitragen, unseren Planeten nachhaltiger zu gestalten und Ressourcen zu schonen. Dazu braucht es neue Chemikalien und Materialien, neue Stoffströme und Geschäftsmodelle sowie effizientere Prozesse in der Chemie. Um Ideen hierzu in kurzer Zeit zu entwickeln, müssen Menschen zusammenkommen, virtuell und real. Das ECP leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
European Chemistry Partnering
European Chemistry Partnering (ECP) bietet Business Speed Dating für die chemische Industrie und ihre vielfältigen Anwenderbranchen, z. B. die Kunststoff-, Lebensmittel-, Bau-, Automotive-, Kosmetik-, Pharma-, Textil-, Konsumgüterindustrie. 97 % aller Produkte enthalten mind. einen chemischen Prozessschritt. Nachwachsende Rohstoffe, Enzyme, industrielle Biotechnologie, neue Verfahren, Produkte aus Reststoffen und Digitalisierung verändern derzeit die chemische Produktion und die gesamte Wertschöpfung dramatisch, von der Einkaufslogistik über die Produktion bis hin zu Marketing und Vertrieb. Das ECP hat sich zum Ziel gesetzt, die Innovativen und Kreativen der Branche zusammenzubringen. Termine: 2nd ECP Summer Summit 26. September 2019, Düsseldorf 4th European Chemistry Partnering 27. Februar 2020, Frankfurt am Main www.european-chemistry-partnering.com
ZUR PERSON
Holger Bengs begann 2002 als Berater und gründete 2010 das Beratungsunternehmen BCNP Consultants. 2015 initiierte er den Compass to Europe´s Innovative Chemical Companies und 2017 das European Chemistry Partnering. Zuvor war der promovierte Chemiker als Projektleiter bei Hoechst und als Geschäftsführer bei GoingPublic Media tätig. Bengs studierte Chemie in Hannover und Mainz sowie Betriebswirtschaft in Hagen. 2008 rief er die Stammtische der Vereinigung Chemie und Wirtschaft (VCW) der Gesellschaft Deutscher Chemiker ins Leben, die sich heute in über 20 Städten etabliert haben.