VerSPARkuliert
Reinraumverbrauchsgüter, C-Artikel mit Gewicht!
Nach wie vor gilt die Fertigung unter kontrollierten Bedingungen (Reinraumbedingungen) in vielen Produktionsbetrieben als das „Herzstück" des eigenen Produktionsprozesses. Hierfür werden oftmals Millionenbeträge aufgebracht, um die technischen Voraussetzungen zu schaffen.
Betrachtet man die täglichen Unterhaltskosten einer Reinraumfertigung, so kann jeder abschätzen, wie wichtig es ist, dass dieser Produktionsprozess unter kontrollierten Bedingungen möglichst fehlerfrei, also mit geringsten Ausschussraten, funktionieren sollte. Umso verwunderlicher ist es, dass in den letzten Jahren an vielen Stellen die Tendenz zu erkennen ist, dass offensichtlich immer weniger Wert auf die täglichen „Verbrauchsgüter" in diesen Prozessen gelegt wird. Zu diesen Verbrauchsgütern zählen z. B. Tücher, Handschuhe, Kleidung usw. Dinge, die während der Fertigung täglich mehrmals ein- und ausgeschleust werden, die sich permanent in unmittelbarer Nähe zum eigenen Produkt befinden, zum Teil sogar produktberührend sind. Diese geringere „Wertschätzung" der Verbrauchsgüter kann mehrere Ursachen haben:
• 1. Fehlende anerkannte, allgemein gültige Standards und Prüfmethoden.
• 2. Die fehlende Zeit bei Mitarbeitern, sich mit unterschiedlichen Produkten unterschiedlicher Anbieter auseinanderzusetzen und diese für die jeweils eigenen Prozesse und Fertigungsanforderungen zu prüfen, zu qualifizieren und gegebenenfalls sogar anzupassen.
• 3. Die fehlende, zum Teil sogar negative Wertschätzung dieser Tätigkeiten bei Kollegen und eigenem Management.
In folgenden Ausführungen soll nun auf obige Punkte etwas detaillierter eingegangen werden. Ziel ist es an verschiedenen Stellen die Diskussion wieder in Gang zu bringen, dass diese mittlerweile oftmals bereits als C-Artikel kategorisierten Reinraumverbrauchsgüter wieder an Bedeutung gewinnen. Was nützt einem Reinraumbetreiber die effizienteste Filterdecke mit sehr hohen Luftwechselraten, wenn in der Fertigung zwar puderfreie, aber nicht ordnungsgemäß nachgereinigte Handschuhe benutzt und über diesen Artikel die eigenen Produkte kontinuierlich einem unkalkulierbaren hohen Kontaminationsrisiko ausgesetzt werden.
Standards / Prüfmethoden
Natürlich ist es aus Anwendersicht wünschenswert, dass am besten ein sogenanntes Reinraumprodukt einen Qualitätsstempel bekommt wie bspw. ein ISO5-Tuch, ein ISO4-Handschuh, ein ISO7-Reinraumkittel. Doch diese oftmals von verschiedenen Anbietern suggerierte qualitative Zuordnung zu den verschiedenen Luftreinheitsklassen ist so nicht möglich. Wie will man zum Beispiel die Reinigungseffizienz eines Tuches, die Passform eines Handschuhs bzw. ionische Belastung eines Handschuhs oder aber die Atmungsaktivität und somit den Tragekomfort einer Reinraumkleidung einer ISO-Klasse zuordnen? Begriffe wie „fusselfrei", „partikelarm", „puderfrei" sind nicht definiert und verwirren mehr als sie nützen. Hinzu kommt, dass Prüfungen zu dem ein oder anderen Kriterium weder national noch international wirklich normiert bzw. standardisiert sind. Somit können oftmals die Hersteller nach eigenem Ermessen testen und die Ergebnisse entsprechend interpretieren. Erschwerend wirkt sich aus, dass manche Prüfmethoden, die als „international standardisierter Tests" deklariert werden, einen deutlichen Praxisbezug vermissen lassen.
Einige Beispiele, die zeigen, wie schwierig das Thema augenblicklich für den Endanwender ist. Oftmals verbirgt sich hinter der Formulierung „Tuch ISO 5" oder „Class 100", dass nichts anderes gemacht wurde, als ein Tuch nach dem Fertigungsprozess unter besagten Bedingungen zu verpacken. Bei einigen Einwegbekleidungsartikeln wird ebenfalls mit dem Begriff „ISO5" geworben, wobei hier möglicherweise nur die Filtrationsleistung des Einwegartikels gemeint ist und an keiner Stelle erwähnt wird, dass dieses Einwegbekleidungsstück vielleicht von vornherein hochgradig kontaminiert wurde, weil es schlichtweg unter normalen Produktionsbedingungen in einer großen Industriehalle gefertigt wurde. Bei Dünnfilmhandschuhen wird auch oft mit dem Begriff „geeignet für ISO4 oder ISO5" geworben, weil der Handschuh nach Herstellermeinung dicht ist (sprich keine Löcher aufweist). Auch hier wird an keiner Stelle berücksichtigt, dass der Handschuh allein vom Produktionsprozess her, möglicherweise extrem mit Partikeln und Keimen kontaminiert seien kann.
Was kann der Anwender tun?
Es gilt, den eigenen Produktionsprozess genau zu beschreiben / definieren und daraus das Anforderungsprofil an die verschiedenen Reinraumverbrauchsgüter abzuleiten. Darunter fallen dann auch Eigenschaften wie Antistatik, Chemikalienbeständigkeit gegenüber bestimmten Reinigungsflüssigkeiten, mögliche Aspekte aus dem Bereich persönliche Schutzausrüstung usw. Diese Anforderungen - zusammen mit den Anforderungen, was die Produktreinheit betrifft - ergeben dann insgesamt ein Anforderungsprofil in Abhängigkeit zum jeweiligen Prozess, der unter Reinraumbedingungen durchgeführt wird. Genau an diesem Punkt knüpft nun eine in Arbeit befindliche neue VDI-Richtlinie an. Es handelt sich hierbei um die VDI-Richtlinie 2083 Blatt 9.2, welche voraussichtlich in diesem Jahr noch als Gründruck veröffentlicht wird. Auch dort wird sinngemäß festgehalten, dass es grundsätzlich kein ISO5-Tuch, keinen ISO4-Handschuh und keine ISO7-Reinraumkleidung gibt, sehr wohl aber Anforderungen aus dem Bereich Reinheit in Bezug auf Oberflächenreinheit dieser Verbrauchsgüter oder Partikelabgabe unter Belastung vorhanden sind. Hinzu kommen die - wie oben beschrieben - „zusätzlichen Anforderungen" in Abhängigkeit zum jeweiligen Prozess.
Kaum Zeit für eigene Tests
Ein weiteres Manko, das in den letzten Jahren auch immer offensichtlicher wird ist, dass für eigene Praxistests, also Untersuchungen in der eigenen Fertigung unter Berücksichtigung der eigenen Produktionsprozesse, zu wenig Zeit zur Verfügung steht. Der sicherlich hohe Fertigungsdruck einerseits aber auch die Einschätzung der „Wichtigkeit" dieser Verbrauchsgüter ist vermutlich hierfür maßgeblich verantwortlich. Ohne diese eigenen Qualitätstests lässt sich aber in der Regel kaum ein neues Produkt einführen, was in letzter Konsequenz bedeutet, dass möglicherweise der technische Fortschritt, der auch bei solchen Produkten sicherlich stattfindet, an den eigenen Reinraumprozessen vorbeigeht. Somit verspielt der Anwender, möglicherweise an der einen oder anderen Stelle die Chance effizienter zu arbeiten, Qualitätssteigerungen zu erreichen und damit direkt oder indirekt Kosten zu sparen.
Die eigenen Tests sind aber für die Qualifizierung besagter Reinraumverbrauchsgüter noch aus einem weiteren Grund elementar wichtig. Es gibt individuelle prozessabhängige Anforderungen, die letztendlich nur der Anwender selber testen kann. Hierzu zählt zum Beispiel die Beständigkeit eines Verbrauchsartikel gegenüber einer bestimmten Chemikalie oder die Rauhigkeit bestimmter Oberflächen im Hinblick auf die Abriebsfestigkeit von Tüchern usw..
Wertigkeit dieser Tätigkeiten
Da viele der so genannten Reinraumverbrauchsgüter unmittelbare Auswirkung auf die Qualität und/oder Effizienz der eignen Reinraumprozesse haben, ist es ratsam, dass letztendlich die Prüfung, Freigabe und Überwachung dieser Verbrauchsgüter direkt der Produktionsleitung in Verbindung mit der Qualitätssicherung zugeordnet ist. Die mit diesen Aufgaben betrauten Personen sollten auch entsprechend geschult werden, um einerseits mit den vielen, zum Teil sehr unterschiedlichen, technischen Informationen der Anbieter umgehen zu können (siehe 1.) und zum anderen, um auch eigene Untersuchungen und Tests definieren und betreuen zu können (siehe 2.). Wichtig ist auch, dass diese Personen die entsprechende Unterstützung durch das „Management" bekommen. In vielen Fällen müssen völlig unterschiedliche Wünsche und Anforderungen auch im eigenen Betrieb betrachtet und in Einklang gebracht werden. Die eigenen Kolleginnen und Kollegen, die entsprechende Wünsche und Forderungen haben, der Einkauf, der das verständliche Ziel hat, wo immer es geht Kosten zu senken und natürlich die eigene Fertigung, die geringste mögliche Störungen fordert (weder durch ungewollte Kontamination etc. noch durch erhöhten Qualifizierungs- und Umstellungsaufwand). Diese Aufgabenstellung ähnelt an manchen Stellen bildlich gesprochen der „Quadratur des Kreises".
Fazit
Die Bedeutung der Verbrauchsgüter im täglichen Reinraumprozess darf keineswegs unterschätzt werden und eine Vielzahl von Anwendern sollte sich bewusst machen, dass falsche und/oder qualitativ nicht korrekte Verbrauchsgüter zu erheblichen Schäden im eigenen Produktionsbetrieb führen können. Beispiele aus der Praxis in den letzten Jahren haben gezeigt, dass derartige Verbrauchsgüter durchaus Schäden in sechsstelliger Euro-Höhe bewerkstelligen können. Umso wichtiger ist es, auf verschiedenen Ebenen dieser Bedeutung Rechnung zu tragen. Hierzu zählen unter anderem, dass Anwender und Hersteller sich auf praxisorientierte, neutrale Testmethoden einigen (und sie gegebenenfalls auch neu entwickeln) oder dass sich die Nutzer / Anwender die notwendige Zeit nehmen, die entsprechenden Tests unter Berücksichtigung der eigenen Prozessbedingungen vor Ort durchzuführen. Und zu guter letzt, dass dieser Produktgruppe sowohl von den Kunden als auch den Herstellern, nach innen wie nach außen, wieder die notwendige Bedeutung beigemessen wird.