Anlagenbau & Prozesstechnik

Ü50 - Eine Langzeitstudie zu Reinraumbekleidung

21.03.2016 -

Wie verändert sich die Partikel­abgabe unterschiedlicher Reinraumtextilien?

Eine aus Anwendersicht immer wieder interessante Fragestellung lautet: Wie lange kann ich eine Reinraumbekleidung bedenkenlos nutzen, ohne Gefahr zu laufen, dass eine der wichtigsten Funktionseigenschaften, die Filtrationseffizienz, signifikant zurückgeht? Auch wenn diese Frage auf den ersten Blick recht einfach erscheint, so ist sie doch aus praktischer Sicht nur sehr schwer zu beantworten. Schon bei der Definition „Was ist eine signifikante Verschlechterung der Filtrationseigenschaften eines Reinraumtextils?“ wird es schwer, denn je nach Prozessanforderung beim Endanwender kann ein Verlust von 5 % kritisch sein, bei einem anderen Endanwender erst ein Verlust von mehr als 10 %. Die sogenannte Reinraumzwischenkleidung zählt nach wie vor zu den wichtigen Einflussfaktoren. Gibt diese Kleidung (die unter der Reinraumoberbekleidung getragen wird) nur sehr wenig Partikel ab, so kann ein Verlust von 5 % oder 10 % der Filtrationseigenschaft der Reinraumoberbekleidung möglicherweise weniger kritisch sein als befürchtet. Hinzu kommt auch noch das Thema Messtechnik und hier in erster Linie die Toleranzgrenzen bei derartigen Filtrationstests, die doch sehr stark schwanken können.

Begrenzte Einsatzdauer
Andererseits ist auch eine Reinraumoberbekleidung nicht unendlich haltbar und die mechanischen Beanspruchungen im Reinigungsprozess, insbesondere beim Trocknen und – sollte die Kleidung sterilisiert werden – im Sterilisationsprozess, sind erheblich. Nach 50 Reinigungszyklen sind unterschiedlichste Alterungserscheinungen in der Regel messtechnisch gut zu erkennen. Hierzu zählen z. B. die Verringerung der Weiterreißkraft bzw. das geringere Kraft-Dehnungsverhältnis. Somit verliert das Textil an Stabilität, was zur Folge hat, dass Faserbrüche eher wahrscheinlich sind als im Neuzustand. Die Luftdurchlässigkeit nimmt oftmals zu und in vielen Fällen einhergehend das Partikelrückhaltevermögen ab.
Die Veränderungen sind allgemein bekannt, helfen aber den Betreibern und Entscheidungsträgern eines Reinraumproduktionsbetriebes nicht wirklich weiter, wenn es um die Frage geht, wann die genutzte Reinraumbekleidung ausgetauscht/ersetzt werden sollte. Aufgrund der Komplexität dieser Frage (s. o.) ist es am Ende eine typische Risikoabschätzung, die wenn möglich auf einige fundierte Daten zurückgreifen sollte. Einen ersten Hinweis bieten sicherlich Angaben – so denn verfügbar – zum Partikelrückhaltevermögen als Vergleichsangaben im Originalzustand und nach bspw. 50 Dekontaminationszyklen. In vielen Fällen sind diese Werte aber nicht aussagekräftig genug, um schon allein darauf basierend eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Die deutlich praxisbezogenere, allerdings auch deutlich aufwendigere Body-Box-Messmethode bietet in dem Fall wesentlich aussagekräftigere Testergebnisse. Mithilfe der Body-Box-Messmethode ist es möglich, von einem Menschen tatsächlich abgegebene Verunreinigungen quantitativ zu erfassen und zu bewerten. Die Methode bietet die Möglichkeit, Partikelzahlen in Abhängigkeit zur jeweils getesteten Bekleidung, aber auch zu der jeweiligen Bewegungsintensität der Probanden zu ermitteln. Eine Person gibt selbstverständlich deutlich weniger Verunreinigungen in einer ruhenden Tätigkeit, bspw. stehend oder sitzend ab, als in einem bewegungsintensiveren Zustand, z. B. bei einer Gehbewegung, Armbewegung usw.

Versuchsaufbau und -durchführung
Gemeinsam mit einem global agierenden Kunden, der an verschiedenen Standorten Reinräume unterschiedlicher Reinheitsklassen betreibt, wurden über eine mehrjährige Langzeitstudie verschiedene Reinraumoberbekleidungstextilien unter gleichen Bedingungen miteinander verglichen. Neben den konstanten Bedingungen innerhalb der Body-Box galt es auch sicherzustellen, dass die jeweils getestete Reinraumoberbekleidung aus unterschiedlichen Reinraumgeweben in puncto Schnitt und Passform gleich ausgeführt waren und grundsätzlich nur Messergebnisse gleicher Probanden miteinander verglichen wurden. Das einheitliche Bekleidungssystem für diese Vergleichsstudie war wie folgt festgelegt: Vollschutzhaube plus Overall sowie Reinraumüberziehstiefel. Dazu ein hochwertiger dreilagiger reinraumtauglicher Einwegmundschutz mit hoher Filtrationseffizienz sowie reinraumtaugliche Nitrilhandschuhe. Unter dem Overall wurde ein leichter Jogging­anzug aus Baumwolle getragen, der normale Straßenbekleidung simulieren sollte. Unter der Vollschutzhaube wurde einheitlich eine Vlieseinweghaube als „Vorfilter“ getragen.
Für alle getesteten Reinraumtextilien wurden zunächst einmal die Messwerte im Neuzustand (nach 1– 3 Reinigungszyklen) ermittelt und danach mit den gleichen Bekleidungselementen die Werte im „Gebrauchtzustand“ nach 50 –53 Reinigungszyklen. Pro Testreihe, d.h. Reinraumbekleidung aus Material XY im Neuzustand oder später im Gebrauchtzustand, wurden mindestens 10 Einzelmessungen durchgeführt, um die bei solchen Messungen üblichen sehr hohen Schwankungsbreiten entsprechend mitteln zu können. Die durchschnittlichen Messergebnisse für die in der Studie ausgewählten Textilien sind für die zur Beurteilung herangezogenen Partikelgrößen 0,5 µm und größer bzw. 5 µm und größer in Tabelle 1 zusammengefasst. Um die zum Teil doch sehr signifikanten Veränderungen der Partikelabgaben im Gebrauchtzustand deutlicher hervorzuheben, sind diese in Tabelle 2 prozentual aufgeführt. Besonders interessant hierbei waren die Textilien, die trotz fünfzigmaliger Dekontamination insgesamt besser abschnitten, also weniger Partikel abgegeben haben, als im Neuzustand. Diese Werte sind farblich markiert hervorgehoben. In den Grafiken 1 und 2 wurden die Ergebnisse in Form von Balkendiagrammen veranschaulicht. Gerade die grafischen Darstellungen zeigen die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Reinraumgeweben, die allesamt gemäß Herstellerangaben für den Einsatz in hochwertigen Reinraumklassen, also ISO 5 und besser, ausdrücklich empfohlen werden.

Optimierungsansatz
Die im Rahmen diese Studie ermittelten Messwerte und die daraus gewonnenen Erkenntnisse führten letztendlich dazu, das Bekleidungssystem (insbesondere den Overall) zu modifizieren. Dabei wurden auch die Mitarbeiterbelange, also Tragekomforteigenschaften, miteinbezogen. Die Reinraumbekleidung aus Gewebe G zeigte bei den Tests in der Body-Box die besten Ergebnisse und zählte zu der Bekleidung, die auch nach 50 Dekontaminationszyklen sehr gut abschnitt. Allerdings weist das Reinraumgewebe G im Vergleich zu den anderen Textilien auch keine besonders guten Eigenschaften im Hinblick auf die Atmungsaktivität aus. Ein möglicher Lösungsansatz, Filtrationseigenschaft plus verbesserte Atmungsaktivität zu kombinieren, indem man die Frontseite des Overalls aus dem dichteren Stoff fertigt und die Rückseite aus einem atmungsaktiveren Reinraumtextil, ist naheliegend, wurde aber bis dato noch nicht genauer untersucht. Diese Kombination aus den Textilien G und F bildete den vorläufigen Abschluss der gemeinsamen Studie und dient nun als Entscheidungsgrundlage für einen möglicherweise größeren Trageversuch an einem der Endanwender-Standorte.

Abschlussbetrachtungen
Die sehr umfangreiche Studie zeigt eindrucksvoll auf, wie unterschiedlich sich Reinraumtextilien in der Praxis bewähren können, obwohl sie gemäß Spezifikation (Datenblatt) als annähernd gleichwertig eingestuft werden. Schon im Neuzustand sind grundsätzliche Unterschiede erkennbar, die sich zum Teil verstärkt haben, die sich aber auch bei dem ein oder anderen Textil umgekehrt haben. Die pauschale Annahme, dass mit über 50 Reinigungszyklen die Effizienz einer Reinraumbekleidung nachweisbar zurückgeht, ist aufgrund der vorliegenden Messwerte zumindest teilweise widerlegt. Für die Interpretationen, warum sich das eine Textil im Hinblick auf die Filtrationseigenschaften eher verschlechtert und das andere sich eher verbessert hat, bieten sich unterschiedliche Argumentationsketten an. Einerseits könnten vermehrter Faserbruch oder aber die gestiegene Luftdurchlässigkeit durch Rückgang der mittels Kalandrierung erreichten Gewebeeigenschaften Gründe für die Erhöhung der Partikelzahlen sein. Andererseits ist eine Art Verfilzungseffekt denkbar oder aber auch eine Reduzierung des Pumpeffektes, die als Begründung für die geringere Partikelabgabe dienen könnte. Letztendlich obliegt es dem Endanwender (dem Entscheider), das Anforderungsprofil an die Reinraumbekleidung so abzustimmen, dass die eigenen Prozessanforderungen (im Reinraumbetrieb) gesichert über einen definierten Zeitraum erfüllt werden. Die in dieser Studie ermittelten Messwerte für die 2-Materialien-Kombination sind ein weiterer Beleg dafür, dass eine auf den Prozess abgestimmte/optimierte Lösung in Abweichung zu den oftmals geforderten Standardsystemen erhebliche Verbesserungspotenziale mit sich bringen können. In dem Fall eine verbesserte Filtrationseffizienz über einen längeren Einsatzzeitraum.

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