Anlagenbau & Prozesstechnik

Reinraumreinigung: Oberflächenveränderungen nach der Reinigung in Reinräumen

20.04.2012 -

Kommt es durch eine falsche Anwendung von Reinigungsmitteln? Kommt es durch ungeeignetes Material? Wenn sich die Oberflächen von Materialien, Gerätschaften, Anlagen, Einrichtungen, Decken, Wänden und Fußböden verändern, so wird schnell nach einer Ursache gesucht.

Im Zusammenhang mit der Reinigung kann man auch von einem Schuldigen sprechen, der gesucht wird. Doch selbst wenn die Reinigung als Ursache ermittelt wurde, so steht noch nicht fest, ob es an der falschen Anwendung oder der falschen Vorgabe lag. Da die Schäden meistens in nicht unerheblicher Höhe anfallen, versucht zunächst jeder der Beteiligten, den Ball von sich zu schieben. Der Hersteller schiebt es auf die Anwendung, der Betreiber auf die Reinigungstruppe und schließlich die Reinigungstruppe auf die ungenauen Vorgaben. Dass der Schaden oftmals nicht unmittelbar nach der Anwendung auftritt, sondern schleichend, unterstützt alle Beteiligten bei der Abweisung des Problems. Der Betreiber bleibt meist auf seinem Schaden sitzen. Vertragswerke oder Geschäftsbedingungen sehen solche Fälle nicht vor. Gerade deshalb ist die Risikoeinschätzung zu Beginn einer Reinigungsvalidierung bzw. bei der Einführung eines Reinigungsplanes bzw. Reinigungskonzeptes unabdingbar. Jede Veränderung bestehender Konzepte sollte aus diesem Grund den ursprünglichen Prüfverfahren aus der Risikoanalyse unterzogen werden.

Oberflächenveränderungen
Unerwartete Veränderungen an Oberflächen äußern sich z. B. in

  • Abstumpfung: Die Integrität der äußersten Schicht eines Materials wird durch mechanische oder chemische Beanspruchung zunächst unansehnlich. Auffrischungen, z. B. die erneute Versiegelung eines Bodenbelages, können der weiteren Zerstörung des Materials vorbeugen.
  • Risse: Oberflächenbeschichtungen (Laminierung, Pulverbeschichtung, Versiegelung usw.) können durch verschiedene Einflüsse beschädigt werden. Sogenannte Haarrisse sind meist die ersten Anzeichen für einen beginnenden zerstörerischen Prozess. Scheinbar geringfügige Schäden an Oberflächen sind nicht nur optische Mängel, sie haben auch Auswirkungen für die darunterliegenden Materialien (z. B. Holz oder Verbundplatten bei Mobiliar, Metalle an Verstrebungen, Traversen, Gestellen).
  • Aufplatzen: Hier ist die Integrität der Oberfläche lokal zerstört, die Haftung am darunterliegenden Material ist bereits verlorengegangen. Es entstehen größere Risse, Löcher sowie Krater. Die weitere Zerstörung der Oberfläche und des darunter liegenden Materials ist meist nicht aufzuhalten.
  • Aufquellen: An schadhaften Oberflächen kann während der Reinigens Feuchtigkeit eindringen, das darunterliegende Material saugt sich mit Flüssigkeit voll, quillt auf und verformt sich. Die Volumenzunahme wiederum führt zu weiteren Belastungen der Oberflächenbeschichtung.
  • Verfärbungen: Nach dem Auftrag von Reinigungsmedien verändert sich die Oberfläche farblich. Dafür können Rückstände aus dem Reinigungsmedium selbst oder dessen Reaktionsprodukte (Oxidation) verantwortlich sein. Solche Verfärbungen können eventuell durch eine Sonderbehandlung unter Zusatz geeigneter Lösemittel entfernt werden. Verfärbungen können auch durch Interaktionen des Reinigungsmittels mit den darunterliegenden Materialien (Materialunverträglichkeiten) entstehen, in diesem Falle setzen sich die Verfärbungen bis in das Oberflächenmaterial fort und bleiben somit beständig sichtbar.
  • Verkrustungen: Diese entstehen, wenn zu viel Reinigungsflüssigkeit aufgetragen wird und keine Neutralisierung stattfindet. Bei glatten Flächen spricht man von Schichtenbildung. Verkrustungen hingegen sind häufig an Rändern, Kanten und Ecken sowie Rollen von Stühlen festzustellen.
  • Verklebungen: Diese entstehen, wenn sich das Reinigungsmittel auf Oberflächen ablegt und die Oberfläche nach dem Trocknen schmierig bzw. wachsartig ist. Man kann diese Wirkung bemerken, wenn beim Laufen oder Stehen die Sohlen am Boden (leicht) anhaften oder aber die Rollen von Stühlen nicht mehr richtig gleiten.
  • Schichtenbildung: Diese entsteht auf glatten Oberflächen, wenn zu viel Reinigungsflüssigkeit aufgetragen wird und keine Neutralisierung stattfindet.
  • Rost: Bei beschichteten Metalloberflächen sind Risse und Aufplatzungen in der äußeren Schicht Ursache für Rostbildungen. Auf Edelstahl kann Rostbildung einsetzen, wenn beim Reinigen zu nass aufgetragen wird bzw. die Restfeuchte in verwinkelten oder Innenkantenbereichen nicht vollständig beseitigt wird. Ein weiterer Grund ist die fehlende oder mangelhafte Neutralisierung insbesondere aggressiver Reinigungsmittel.
  • Ablagerungen: Diese entstehen entweder aus Rückständen des Herstellungsprozesses selbst oder aus Rückständen des Reinigungsmittels. Ursache ist fehlende oder mangelhafte Entfernung, d.h. das „Umverteilen" der Rückstände durch falsche Wisch- und Reinigungstechniken. Ablagerungen entstehen häufig nach großflächigem Aufsprühen von Reinigungsmitteln, die sich dann durch mangelhafte Wischtechnik oder in schwer erreichbaren Regionen an den Oberflächen ablagern.
  • Beim Einsatz geeigneter Reinigungsmittel im Reinraum ist deshalb sehr genau darauf zu achten, welche Wirkung erzielt werden soll. In den meisten Fällen reicht in ISO-Reinräumen die Anwendung von Wasser/Isopropanol-Gemisch. In Reinräumen mit mikrobiologischen Anforderungen ist in der Regel der Einsatz von Desinfektionsmitteln mit unterschiedlichen Wirksubstanzen erforderlich. Dabei ist zu beachten, dass diese sich nicht vollständig verflüchtigen und die Inhaltsstoffe, die auf die Oberflächen aufgetragen werden, nicht neutralisiert werden. Dies bedeutet oftmals einen Arbeitsschritt mehr, der aus Kostengründen bzw. aus Mangel an Zeit aber ausgelassen wird. Da der Anwender nicht unmittelbar eine Folge aus diesem Mangel in der Anwendung erkennt (die Oberflächen sind wie gewünscht optisch sauber und das mikrobiologische Ergebnis ist ebenfalls in Ordnung) ist man letztlich nicht verantwortlich, wenn eine Erscheinung auftritt, da man es ja schon immer so gemacht hat und noch nie etwas zu sehen war.

    Ein Fallbeispiel
    In einem Reinraumlabor traten bei Reinraummöbeln im Schleusenbereich Aufquellungen auf. Der Betreiber forderte den Hersteller eineinhalb Jahre nach Einbau auf, diese Schäden nachzubessern bzw. auszutauschen. Man betrachtete sich die Reinigungsanwendung und diese ließ nicht darauf zurückschließen, dass sie falsch wäre. Es wurde jedoch durch einen Gutachter festgestellt, dass Flüssigkeit durch die Nahtstellen, an der das Band aufgeklebt ist, eingedrungen ist. Dass diese Nahtstellen nicht ganz dicht sein müssen, ist bis zu einem gewissen Maß baulich zulässig. Flüssigkeit kann in jedem Fall eintreten. Da aber an diesen Kanten keine Flüssigkeit in großen Mengen eindringen kann, war es verwunderlich, wie das passieren konnte. Schließlich fanden die Beteiligten die Verlaufsspuren der Reinigungsflüssigkeiten im Innenbereich der Einrichtungen. Und zwar dort, wo nicht allzu oft gereinigt wurde. Daraus ließ sich schließen, dass man sehr viel Flüssigkeit auf die Schrankoberflächen aufgetragen hat, die schließlich auch in den Innenbereich eingedrungen ist. Da sich am unteren Ende der Türen große verklebte Ablauftropfen befanden, war klar, dass das leicht feuchte Wischen nicht stattgefunden hatte. Es stellte sich schließlich heraus, dass die Reinigung durch das Routinepersonal optimal funktionierte, jedoch die alle drei Monate extern bestellte Reinigungsfirma für die Grundreinigung dieses Verständnis nicht aufbrachte. Wie gesagt: die Auswirkungen kommen erst zeitversetzt zum Vorschein.
    Die Risikobetrachtung ist somit unerlässlich. Ist diese erst erstellt, können Herstellerangaben danach beurteilt werden. Offensichtliche Sicherheit (Optik, mikrobiologische und partikuläre Ergebnisse) lässt sich dadurch hintergründig betrachten.
    Dabei könnten weitere Oberflächen von Produkten und deren Gefährdungspotential in der Risikoanalyse aufgeführt werden, die in Reinräumen verbaut werden. Beispielsweise Brandmelder aus Kunststoff, Rohrleitungen, Blenden und Gehäuse, Verschraubungen, Schalter, Telefone, Bildschirme und vieles mehr.
    Die Anforderungen an das Gefährdungspotential und die Auswirkungen unterscheiden sich je nach Anwendung und Branche. Wenn bei einem Reinraumanwender der Automobilindustrie eine kritische Partikelgröße von 20 µ zulässig wäre, so ist das in der Halbleiterindustrie nahezu undenkbar. Das macht eine allgemein gültige Aussage schwierig und unterstreicht den individuellen Aufwand, den eine Risikoanalyse verursacht.
    Eine weitere Unterstützung bei der Betrachtung bietet das Schema in Tabelle 2.
    Bei der Fehlersuche helfen derartige Betrachtungen, um die Quelle einigermaßen eingrenzen zu können. Ist die Materialverträglichkeit zuvor nicht klar an den einzusetzenden Reinigungsmitteln definiert worden, erweitert sich die obige Tabelle erheblich.
    In der oben aufgeführten Tabelle ist ebenfalls davon auszugehen, dass der Einbau optimal erfolgte, d.h. Risse beim Festziehen von Schrauben bspw. nicht vorkommen. Gemeint sind vielmehr Risse, die durch den Gebrauch und die Belastungen auftreten. Selbstverständlich können auf Edelstahlflächen durch mechanische Beanspruchung Risse auf den Oberflächen entstehen. Diese sind ebenfalls nicht aufgeführt, so dass davon auszugehen ist, dass Reinigungsmittel grundsätzlich nicht zu Rissen führen und die Wischmittel sanft mit leichtem Druck über die Oberflächen gleiten. (Somit sind Scheuerschwämme und sandhaltige Reinigungsmittel aus der Betrachtung ausgeschlossen. Der Autor weist explizit auf diesen Zusammenhang hin, da diese Produkte keine Reinraum-Relevanz haben, dem Autor der Einsatz derartiger Materialien in Einzelfällen bei Anwendern jedoch bekannt ist.)

    Entwickeln eines Kontrollsystems
    Jeder Reinraumbetreiber sollte ein systematisches Kontrollsystem für die Reinigung aus den Ergebnissen der Risikobetrachtung heraus einrichten. Da zeitversetzt Erscheinungen auftreten können, ist es nützlich, nicht nur die Mittel und die Oberflächen zu betrachten, sondern auch die Anwendungsmethoden.
    Kontrollbeispiele:
  • Welche Reinigungsmittel werden vom Reinigungspersonal verwendet? Dazu ist der Lagerraum anzuschauen, um eventuell weitere Produkte außerhalb der Vorgaben zu identifizieren.
  • Wie sehen Ecken und Kanten aus? Bilden sich sichtbare Veränderungen?
  • Wie sieht es an den unteren Kanten von Einrichtungen und Anlagen aus? Sind dort Ablauftropfen bzw. „Nasen" zu erkennen? Wird zu viel Flüssigkeit aufgetragen?
  • Überprüfen von Kanten und Scharnieren nach Rückständen.

Wenn Reinraumbetreiber nicht in die Reinraum- und Reinigungseignung ihres Mobiliars, ihrer Anlagen und Geräte sowie in die verbauten Oberflächen investieren, tragen sie stets das Risiko, dass eine Reaktion auf Oberflächen auftreten kann. Um dieses Risiko zu minimieren ist es erforderlich, die angewendeten Mittel und Materialien genauestens auf die Verträglichkeit abzustimmen. Im Anschluss sollte eine zielgerichtete Schulung bzw. Einweisung des Reinigungspersonals über die anzuwendende Methode und die Einrichtung eines entsprechenden Kontrollsystems erfolgen.