Anlagenbau & Prozesstechnik

Qualifizierung von Reinräumen - Teil 1

Ein ReinRaumTechnik-Tutorial in vier Teilen

18.07.2012 -

ReinRaumTechnik - Die Qualifizierung von Anlagen der Reinraumtechnik ist eine aufwändige Nagelprobe, bei der es für die Betriebe um alles geht. Für viele von ihnen ist der Nachweis der Fähigkeit, die saubere Produktion im Reinraum tatsächlich zu beherrschen, keine freiwillige Kür, sondern notwendige Pflicht.

In der Pharmabranche ist die Qualifizierung die Voraussetzung dafür, dass überhaupt produziert werden darf. Mit dem regulären Betrieb darf nämlich erst begonnen werden, nachdem die Geeignetheit der Räume festgestellt wurde. Mit anderen Worten: nach der „Qualifizierung". Im ReinRaum Tutorial „Qualifizierung von Reinräumen" erläutert Prof. Gernod Dittel die Richtlinien und Maßnahmen zur Qualifizierung. Teil 1 beschäftigt sich mit der Erstqualifizierung und den Formen der Qualifizierung. In den kommenden Ausgaben der ReinRaumTechnik erfahren Sie mehr über die Erstellung des Masterplans und des Lastenhefts (Teil 2), die Qualifizierungsphasen DQ, IQ, OQ, PQ (Teil 3) und die Themen Änderungskontrolle, Requalifizierung und Abnahmeinspektion (Teil 4).
Teil 1:
Maßnahmen zur Erstqualifizierung
In der maßgeblichen EG-Richtlinie 2003/94 zur Herstellungspraxis für Humanarzneimittel heißt es: „Der Hersteller stellt sicher, dass die Herstellungsvorgänge in Übereinstimmung mit der Guten Herstellungspraxis und der Herstellungsgenehmigung durchgeführt werden." Dazu gehört, dass „Räumlichkeiten und Ausrüstungen zur Verwendung für hinsichtlich der Produktqualität kritische Herstellungsvorgänge ... auf ihre Eignung hin überprüft (Qualifizierung) und validiert" werden. Die EG-Richtlinie wurde zusammen mit weiteren europäischen Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt, und zwar in Form der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV).
Für die Details der Qualifizierung ist der auf der EG-Richtlinie aufbauende Leitfaden für die Gute Herstellungspraxis (EU-GMP-Leitfaden) entscheidend. Dieser wird regelmäßig von der EU-Kommission aktualisiert. Ebenfalls sind zu beachten:
Normen wie die „EN ISO 14644 Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche", vor allem bezüglich der messtechnischen Ab-nahmemessungen,
Richtlinien wie die „VDI 2083 Reinraumtechnik", die ebenfalls detailliert auf die Messtechnik eingeht,
Empfehlungen wie der Aide-mémoire, der den Inspektoren der Bundesländer als Anhaltspunkt für die Durchführung eines Audits dient , und
Leitlinien der International Society for Pharma­ceutical Engineering (ISPE).
Ziel der Qualifizierung einer Reinraumtechnischen Anlage ist der Nachweis, dass diese den normativen und benutzerspezifischen Anforderungen entsprechend geplant, gebaut und in Betrieb genommen wurde. Unter Reinraumtechnische Anlage ist die Reinraumhülle mit Einbauten, die Lüftungsgeräte samt Kanalsystem und Einbauten sowie die Mess-, Steuer- und Regelungstechnik zu verstehen.
Inwiefern neben der Reinraumtechnischen Anlage weitere Anlagen, Systeme und Komponenten qualifiziert werden sollten, oder ob diese nur gemäß der GEP (Good Engineering Practice) und nach Stand der Technik geplant, erstellt und abgenommen werden, wird im „ISPE Baseline Guide Volume 5" erläutert. Dort wird zwischen Systemen mit drei Wirkungsstufen auf die Produktqualität („Direct Impact", „Indirect Impact", „No Impact") unterschieden (Impact Assessment). Dadurch können die kritischen Komponenten erkannt und der Qualifizierungsumfang frühzeitig festgelegt werden.
Es gibt zwei Möglichkeiten, eine Qualifizierung durchzuführen. Die erste ist eine prospektive Qualifizierung. Diese folgt im Wesentlichen dem in Abbildung 1 dargestellten Verlauf und wird parallel zur Planung, Realisierung und Abnahme durchgeführt. Die zweite Möglichkeit, die retrospektive Qualifizierung, ist nur für bereits in Betrieb befindliche, bisher nicht qualifizierte Anlagen anwendbar. Dabei sollen die Dokumentation der Anlagen aktualisiert und der Nachweis erbracht werden, dass die geforderten Spezifikationen erfüllt werden. Hierbei ist eine Risikoanalyse sehr nützlich, um kritische Punkte und Problemstellungen zu erkennen. Häufig werden zur retrospektiven Qualifizierung von Reinraumtechnischen Anlagen bereits erhobene historische Daten wie Herstellungsprotokolle oder messtechnische Aufzeichnungen verwendet. Für beide Qualifizierungsarten, prospektiv und retrospektiv, ist der erste Schritt immer die Erstellung eines Qualifizierungsmasterplans. Lesen Sie hierzu mehr in Folge 2 des ReinRaumTechnik Tutorials in der kommenden Ausgabe.
Kosten einer Qualifizierung
Viele Firmen verfügen nicht über die nötigen Ressourcen oder die nötigen Kompetenzen, um die Qualifizierung einer Reinraumtechnischen Anlage durchzuführen. Darum werden häufig externe Dienstleister herangezogen. Oft wird auch der zeitliche Aufwand für eine ausführliche Qualifizierung unterschätzt: Erfahrungsgemäß muss mit einigen 100 Stunden Arbeit gerechnet werden. Wird die Durchführung durch einen externen Dienstleister übernommen, kann der Bauherr durch den möglichen Know-how-Transfer sehr profitieren.
Der hohe Arbeitsaufwand und der Know-how-Transfer haben aber auch ihren Preis. In Abbildung 2 ist dargestellt, wie sich der Preis für die Qualifizierung pro Quadratmeter Reinraum mit zunehmender Reinraumgröße verändert. Die einzelnen Punkte um den Graph stehen für höhere Kosten oder niedrigere Kosten bei einem Reinraum gegebener Größe. Diese Schwankungen hängen zusammen mit der Komplexität der Anlage, der Art der Qualifizierung (retrospektiv oder prospektiv) sowie der Anzahl der Qualifizierungsstufen und der zu qualifizierenden Räume und Klimageräte.
Dieser Graph ist eine Erkenntnis aus einigen in der Vergangenheit durchgeführten Projekten eines Anbieters von Qualifizierungstätigkeiten. Wie sich zeigt, steigen die Kosten pro Quadratmeter an, je kleiner der Reinraum ist. Dies liegt daran, dass ein gewisser Grundaufwand immer gegeben ist, unabhängig von der Größe des Reinraums. Mit zunehmender Reinraumgröße fällt der Preis für die Qualifizierung pro Quadratmeter Reinraum.
Unterm Strich lässt sich daraus folgendes Fazit ziehen - gerade für kleine und mittelständische Anwender der Reinraumtechnik: Der Prozess der Qualifizierung insgesamt ist sicherheitskritisch, sehr zeitaufwändig und zudem kostenintensiv. Firmen ohne ausreichende Ressourcen sind darum gut beraten, einen externen Dienstleister mit der Qualifizierung zu beauftragen.
Teil 2 von „Die Qualifizierung von Reinräumen" lesen Sie in der kommenden Ausgabe ReinRaumTechnik 03/2012 mit Erscheinungs­termin am 04. September 2012.
Literaturverzeichnis: 1- 9

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