Anlagenbau & Prozesstechnik

Kontamination in Reinräumen

Molekulare Verunreinigungen in reinen Räumen

13.07.2012 -

ReinRaumTechnik - Spricht man über Reinräume und reine Produktionsumgebungen, denkt man zu allererst an Partikel. Partikel stellen historisch das erste zu kontrollierende luftgetragene Kontaminationsrisiko dar. Vor allem durch Reibung und Verbrennungsprozesse werden Partikel generiert, welche an das Umgebungsmedium Luft abgegeben werden. Durch Luftkonvektion, Sedimentation, elektrostatische oder magnetische Effekte und Thermophorese werden die Partikel mit und durch das Medium Luft transportiert.
Durch die genannten Transportvorgänge können Partikel an prozesskritische Stellen gelangen und dort erheblichen Schaden verursachen. Falsche Belichtung bei Lithographieprozessen in der Halbleiterei oder ein heiß laufendes Lager durch ein kleines Korund-Partikel in der Lagerschale, die Liste der Schadensszenarien lässt sich beliebig fortsetzen. Durch entsprechende Luftfiltration und Luftführung kann eine extrem partikelreduzierte Umgebung geschaffen werden. Die aus dem partikulären Reduktionsgrad resultierenden Reinraumklassen sind allseits bekannt in der Richtlinie ISO 14644-1 international definiert (1).
Eine weitere luftgetragene Kontaminationsquelle, welche als Konsequenz eine reine Umgebung fordert, sind Bakterien und Pilzsporen. Pilze nutzen das Medium Luft direkt als Verbreitungsmedium ihrer Sporen. Bakterien, in der Luft meist an Partikel angelagert (2), können sich bei Kontakt mit einer Oberfläche mit den notwendigen Bedingungen für eine Keimvermehrung (Wunden, Lebensmittel, Atemwege,...) rasch vermehren und beträchtlichen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schaden verursachen. Im modernen Krankenhaus ähnelt deswegen der Operationssaal lüftungstechnisch einem Reinraum. Die verschiedenen Klassen werden in der Richtlinie DIN 1946-4 definiert (3). Auch die Sterilproduktion in der Pharmatechnik wird in reinen Produktionsumgebungen vorgenommen. Im EU-GMP Leitfaden Annex 1 werden die Grenzwerte für Partikel und Mikroorganismen für die verschiedenen GMP-Bereiche festgeschrieben (4).

Molekulare Kontaminationen
Wie sieht es jedoch mit dem Medium Luft an sich aus? Normale Umgebungsluft besteht aus 78 % Stickstoff, 21 % Sauerstoff, 0,9 % Argon und 0,035 % des treibhausaktiven Gases Kohlendioxid. Ebenfalls treibhausaktiv ist Wasserdampf, was in wechselnden Mengen vorliegt, im Mittel 0,4 % (5). Zusätzlich befinden sich in der Luft die Edelgase und weitere Spurengase, wie Methan, Wasserstoff, Stickoxide, Ozon, flüchtige organische Verbindungen (VOC) und viele weitere Substanzklassen. Aufgrund des Konzentrationsbereichs der Spurengase werden diese nicht in Prozent angegeben, sondern in ppbV (parts per billion by volume) oder pptV (parts per trillion by volume). In urbaner Umgebungsluft sind beispielsweise durchschnittlich 10 -100 ppbV VOC enthalten. Je nach Anforderung und Prozess sind entsprechende Teile der Spurengase unerwünscht und werden deshalb als Kontaminationsquelle definiert. Diese immer wichtiger werdende Kontaminationsquelle sind die nach ISO 14644-8 sogenannten luftgetragenen molekularen Kontaminationen (airborne molecular contaminations, AMC). Warum? Zum einen wird das stetige Zunehmen des „Sick building syndroms" von Personen in öffentlichen wie auch privaten Gebäuden diskutiert. Betroffene Menschen zeigen klinisch manifeste Krankheitsmuster wie Migräne oder Asthma, welche auf eine Umgebung, in der sich der Patient aufhält, jedoch anfänglich keiner definierten Ursache zurückzuführen ist. Diese kann nach Messungen unter anderem an stark erhöhten Anteil an flüchtigen organischen Verunreinigungen (VOC) der Umgebungsluft festgemacht werden (6).
Zum anderen steigen in der Halbleiterindustrie aufgrund stetig kleiner werdender Strukturbreiten auf den Wafern die Reinheitsanforderungen an die Produktionsumgebung stetig an. In Lithographieprozessen ist ein wachsendes Kontaminationsproblem das sogenannte „time dependent haze". Dabei bilden sich aus auf einem Wafer kondensierten molekularen Verbindungen aus der Luft Kristalle, welche wiederum in ihrer Form als Partikel Fehler während der Chipherstellung verursachen (7). Um schädliche Effekte durch AMC während des Produktionsprozesses unter Reinraumbedingungen auszuschließen, werden firmeninterne Grenzwerte definiert. Dafür bedarf es entsprechender AMC-kontrollierter Produktionsumgebungen. Die Richtlinie ISO 14644-8 definiert Reinraumklassen hinsichtlich der Belastung durch luftgetragene molekulare Verunreinigungen AMC (8). Die Klassen werden hierbei als dekadischer Logarithmus der Konzentration in Gramm pro Kubikmeter der betrachteten Kontaminantengruppe angegeben, beispielsweise als ISO-AMC = -7,8 (VOC).

Kontrollierte Umgebungsbedingungen
Die meisten sich aktuell in Betrieb befindlichen Reinräume reduzieren ausschließlich partikuläre Kontaminationen nach den entsprechenden Vorgaben. Durch raumlufttechnische Systemlösungen mit Vor- und endständiger Feinstfiltration basierend auf Glasfaserflies- oder PTFE-Filtern können Reinraumklassen von ISO 1 oder besser erreicht werden. Eine laminare Strömungsführung verhindert eine Querkontamination durch aufgewirbelte Partikel oder Keime. Diese hochreinen Räume haben jedoch ein oft nicht beachtetes Manko: Sie reduzieren ausschließlich Partikel, jedoch nicht gasförmige Verbindungen, welche die Luft als Medium kontaminieren. Anders gesprochen: Wenn der neu gebaute Reinraum mit hervorragender Partikelfiltrationstechnik in der Zuluftfahne einer Kompostieranlage steht, braucht man sich nicht wundern, dass es innen genauso riecht wie außen. Der Raum ist ja „nur" partikulär rein!

AMC-reduzierte Reinräume
Gegenüber klassischen Reinraumlösungen mit ausschließlicher Partikelfiltration ist ein Reinraumkonzept mit reduzierter Belastung an luftgetragenen molekularen Verunreinigungen weitaus komplexer in der Planung und Ausführung. Zuerst gilt es, die zu kontrollierenden Kontaminationen festzulegen und zu klassifizieren. Handelt es sich bei den zu kontrollierenden AMC um flüchtige organische Verunreinigungen, die sogenannten VOC? Handelt es sich um Chlorwasserstoff? Handelt es sich um Schwefelwasserstoff? Jede AMC-Stoffklasse bedarf einer gesonderten Filtrationstechnik, welche in den Zuluft- und Umluftkanal eingesetzt werden kann.

Filtrationstechniken für VOC
Aktivkohlefilter filtrieren effektiv flüchtige organische Verbindungen. Eine Filtereffizienz von 90 % ist hierbei ein realistischer Anhaltspunkt für die Filtereffizienz von Aktivkohlefiltern bezüglich VOC. Wenn man diesen Wert der partikulären Filtereffizienz von 99,9995% eines HEPA U15 Filter gegenüberstellt, sieht man deutlich das Problem: mit einer ausgeklügelten Filtrationstechnik alleine kann man einen sehr guten VOC-reduzierten Reinraum nicht realisieren. Eine saubere Zuluft ist immens wichtig als gute Ausgangsbasis für einen VOC-reduzierten Reinraum. Deshalb muss schon in der Konzeptionsphase der spätere Standort genauestens unter die Lupe genommen werden: was ist die vorherrschende Frischluftrichtung? Gibt es eventuelle problematische Abluftfahnen aus Verkehr und Industrie? Wo installiert man am besten den Zuluftkanal im Gebäude? Als weiterführende Literatur ist hier auf die grundlegend überarbeitete Neuauflage des Buches „Reinraumtechnik" des Springer Verlags, insbesondere das Kapitel über spezielle Kontaminationsquellen verwiesen (9).
Materialauswahl
Aufgrund energetischer Einsparmaßnahmen wird der Anteil der zu temperierenden und be-/entfeuchtenden Zuluft generell so gering als möglich gehalten. Somit stammen die meisten AMC/VOC, welche es zu kontrollieren gilt, aus dem betrachteten System Umluftklimatechnik/Reinraum. Folgende Komponenten sind dabei unter anderem zu betrachten:

  • Baumaterialen (Böden, Wände, Dichtungsstoffe, Filtermedien, Lüftungskanäle,...)
  • Bekleidung (Handschuhe, Anzüge, Mundschutz, Schuhe,...)
  • Faktor Mensch
  • Verpackungsmaterialien (Folien, Transportboxen,...)
  • Maschinenkomponenten (Gehäuse, Schmiermittel, Dichtungen,...)
  • Reinigungsmedien (Detergenzien, Reinigungstücher,...)
  • Diese Komponenten sind dabei meist auf wenige Materialklassen zurückzuführen. Beispielhaft sind wenige Vertreter aufgeführt:
  • Kunststoffe (Polypropylen, Teflon, Polycarbonat,...)
  • Elastomere (Silikone, Kautschuk,...)
  • Metalle (Edelstahl, Aluminium, Bunt­metalle,...)
  • Flüssigkeiten (Isopropanol, Aceton,...)
  • Anorganische nichtmetallische Werkstoffe (Keramik, Glas,...)

Wird schon bei der Materialauswahl darauf geachtet, ausschließlich wenig VOC-emittierende Produkte zu verwenden, wird die spätere Reinraumbelastung an VOC deutlich geringer ausfallen. Auch erhöht sich die Standzeit der Aktivkohlefilter, welche nur eine begrenzte Kapazität besitzen. Ob die Filter schon nach einem halben Jahr oder erst nach zwei Jahren ausgetauscht werden müssen, ist ein deutlicher monetärer Faktor! Langfristig günstiger ist es, die gesamten Materialemissionen im Vergleich zu herkömmlichen Materialien zu reduzieren, anstatt kostspielige VOC-Filtrationstechniken einzusetzen.

Ausgasung aus Materialien - Mess- und Klassifizierungsverfahren
In vorausgehender Literatur und der neuen Richtlinie VDI 2083 Blatt 17 wird ein einheitliches Verfahren zur Messung und anschließenden vergleichbaren Klassifizierung von Materialien hinsichtlich deren VOC-Ausgasungseigenschaften beschreiben (10) (11) (7) (12) (13). Dabei wird eine repräsentative Materialprobe nach definierter Ablagerung mittels Mikrokammer beprobt, die Ausgasungsprodukte gesammelt und qualitativ-quantitativ bestimmt (14) (15). Nach der Ermittlung der oberflächenspezifischen Emissionsrate des Materials SER wird diese in eine einheitliche Material-Klassifizierungszahl überführt. Diese Zahl ermögliche eine vergleichende Materialauswahl hinsichtlich der Ausgasung an VOC. Ein Überblick über durchgeführte Materialklassifizierungen ist unter der Rubrik „Ausgasung" in der Datenbank www.cleanmanufacturing.fraunhofer.de öffentlich einsehbar.
Neben der meist durchgeführten Bestimmung an Ausgasung von VOC können auch Ausgasungen von in wässriger Lösung ionisch reagierender Verbindungen (bspw. Chlorwasserstoff oder Ammoniak) und vielen weiteren Verbindungen und Verbindungsklassen vorgenommen werden. Grundlage dabei ist immer die Mikrokammermessung und Sammlung der Ausgasungsprodukte auf einen spezifischen Adsorber.

ISO-AMC-Klassifizierung von Rein­räumen
Die Klassifizierung eines Reinraums nach ISO 14644-8 wird zweistufig vorgenommen. Zuerst werden die zu messende Verbindung oder Verbindungsklasse bestimmt. Diese wird auf einem geeigneten Adsorber gesammelt. Danach wird die gesammelte Masse der gesuchten Verbindungs(-klasse) analytisch quantifiziert. Die bestimmte Masse wird in Relation des analysierten Luftvolumens gesetzt, was wiederum direkt den Klassifizierungswert ergibt. Wird beispielsweise die Klassifizierung an VOC nach ISO 14644-8 gefordert, eignet sich als Adsorbens Tenax TA in passivierten Edelstahlröhrchen. Mit Hilfe einer tragbaren Probenahmepumpe wird ein bestimmtes Volumen der zu vermessendenReinraumluft über den Adsorber gezogen. Die anschließende Analyse mittels Thermodesorptions-Gaschromatographie/Massenspektroskopie (TD-GC/MS) ergibt eine Gesamtmasse an VOC von beispielsweise 10 µg. Wurden 10 Liter Reinraumluft analysiert, resultiert daraus eine ISO-AMC-Klasse (VOC)
= - 3 als eine realistische Klassifizierung nach ISO 14644-8 für einen Reinraum in urbaner industrieller Umgebung. Diese Messungen wie auch die Bestimmung der Ausgasungs-Materialklasse werden vom Fraunhofer IPA angeboten.
Literatur auf Anfrage beim Autor erhältlich.

 

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