Anlagenbau & Prozesstechnik

Die neue VDI-Richtlinie 2083, Blatt 9.2

18.02.2015 -

So oder in ähnlicher Form landen immer wieder Anfragen von Endanwendern bei den verschiedenen Herstellern und Anbietern für Reinraumbekleidung. Die korrekte Antwort sollte lauten: „Die gibt es nicht." Diese gewissenhafte und ehrliche Antwort löst in der Regel beim Kunden große Verwirrung aus und der Anfragende verweist dann meistens darauf, dass doch Anbieter XY genau damit wirbt. Die folgenden Ausführungen sollen dazu beitragen, diese Thematik, „Reinraumkleidung zertifiziert gemäß ISO-Luftreinheitsklassen", etwas genauer zu beleuchten.

Wurde bisher aufgrund nicht vorhandener Richtlinien und Normen manch plakativer Werbe­aussage Tür und Tor geöffnet, so gibt es nun seit Oktober 2014 die neue VDI-Richtlinie 2083, Blatt 9.2, erschienen als Gründruck, die sich unter anderem mit genau dieser Thematik auseinandersetzt. Obwohl schon vor dem Erscheinen dieser neuen Richtlinie an verschiedensten Stellen immer wieder darauf hingewiesen worden ist, dass es keine ISO-zertifizierte Reinraumkleidung geben kann (weil es keine ISO-Normen für Reinraumbekleidung gibt), wurde oftmals sowohl auf Anbieter- als auch auf Kundenseite von sogenannter ISO-5-Kleidung, von ISO-7-Kleidung usw. gesprochen. Bei genauerem hinterfragen solcher Aussagen, wurde den Anwendern erst bewusst, dass der Begriff ISO-X-Bekleidung absolut irreführend und für den Entscheidungsprozess hin zu einem geeignetem Bekleidungs­system wenig hilfreich ist.

Die Qualifizierung von Reinraumbekleidung
Also was steckt hinter diesem „plakativen Slogan" ISO-5-Bekleidung oder ISO-7-Bekleidung? Im Grunde ist auch diese Fragestellung recht einfach zu beantworten, betrachtet man nur und ausschließlich die reinen Reinraumanforderungen. Der Anwender erwartet ein definiertes Partikelrückhaltevermögen, ein hohes und beständiges Abriebverhalten und dass die Kleidung - egal, ob Einweg oder Mehrweg - in einem definierten Sauberkeitszustand (auch wieder rein partikulär betrachtet) angeliefert wird. Fasst man diese Punkte noch enger zusammen, so könnte man es wie folgt formulieren: „Was gibt Bekleidung X insgesamt an Partikeln ab?" Aber genau an dem Punkt wird es schon recht schwierig und die Komplexität der Thematik wird offensichtlich. Denn jetzt gilt es Dinge zusätzlich zu betrachten wie bspw. die Effizienz der Reinraumwäscherei, also des Dekontaminationsprozesses bei Mehrwegkleidung. Es gilt zu betrachten, dass in der Regel Einwegbekleidung gar nicht vorgereinigt wird, sprich alles, was während des Produktionsprozesses auf der Einwegkleidung landet, wird ungefiltert in den Reinraum eingeschleust. Auch die Kleidung, die unter der Reinraumbekleidung getragen wird, spielt eine wesentliche Rolle, denn von da könnten sehr viele Partikel stammen, die - auf welchem Wege auch immer - den Reinraumprozess gefährden. Eine relativ gute Messmethodik zum Thema „Was gibt ein Bekleidungssystem XY im täglichen Gebrauch an partikulären Verunreinigungen ab?" ist der sogenannte Body-Box-Test, auf den ebenfalls die neue Richtlinie VDI 2083, Blatt 9.2 entsprechend verweist.

Tragekomfort und Effizienz
Zu einem Bekleidungssystem für den Einsatz in kontrollierten Bereichen zählen aber noch ganz andere wesentliche Faktoren. In erster Linie sind hier die Tragekomforteigenschaften aufzuführen. Wird ein Bekleidungssystem kategorisch abgelehnt (aufgrund mangelhafter Tragekomforteigenschaften), so wurde bereits nachgewiesen, dass die Effizienz der Leistungen im Reinraum sinkt, dass die Fehlerhäufigkeit steigt, die Bekleidung gegebenenfalls gar nicht korrekt getragen wird usw. Nur wie will man Tragekomforteigenschaften mit ISO-Luftreinheitsklassen in Verbindung bringen? Auch andere ganz typische Anforderungen an ein Bekleidungssystem wie z. B. ESD-Eigenschaften, antimikrobielle Funktionalität, gegebenenfalls sogar Schutzeigenschaften im Hinblick auf PSA-Anforderungen usw. sind Kriterien, die ebenfalls nicht mit ISO-Luftreinheitsklassen abzubilden sind.

VDI 2083, Blatt 9.2
Genau an dieser Stelle setzt auch die neue Richtlinie 2083, Blatt 9.2 an. Ein Produkt wie Reinraumbekleidung (die gleichen Aussagen gelten natürlich auch für andere Verbrauchsgüter wie Tücher, Handschuhe usw.) sollte keinesfalls nur an einem Parameter festgemacht, sprich definiert werden. Von Anwenderseite aus gilt es - aufgrund der eigenen Prozessbedingungen im kontrollierten Bereich - Anforderungen an die jeweiligen Verbrauchsgüter zu definieren, die diese erfüllen müssen. Die sogenannten Reinraumanforderungen, die sich nur auf die partikuläre Verunreinigung, verursacht durch ein Verbrauchsgut, konzentrieren, sind dabei nur ein Bestandteil. Die pauschale Aussage „Dies ist ein ISO-5-Bekleidungsstück oder ein ISO-7-Reinraumtuch oder ein ISO-6-Handschuh" usw. werden in der neuen Richtlinie als nicht brauchbar eingestuft und somit letztendlich abgelehnt. Neben dem sogenannten prozessorientierten Ansatz, also das Erstellen eines Anforderungsprofils bspw. an ein Bekleidungsstück für den Einsatz in kontrollierten Bereichen, bietet die neue Richtlinie auch an vielen Stellen konkrete Empfehlungen. Zum Beispiel was zeichnet ein Reinraumtextil im Hinblick auf Tragekomfort, Rückhaltevermögen, Abriebfestigkeit usw. aus.

Das Anforderungsprofil
Nachdem der Anwender für seinen Prozess ein grobes Anforderungsprofil an das Reinraumbekleidungssystem definiert hat, kann er nun unter Zuhilfenahme dieser neuen Richtlinie die jeweiligen Anbieter durchaus konkreter anfragen und umgekehrt die Anbieter wesentlich konkreter beratend auf die Anforderungen des jeweiligen Kunden und seiner Prozesse eingehen.
Zusammenfassend gilt für Reinraumbekleidung folgendes:
Eine pauschale Aussage „Dies ist Reinraumbekleidung zertifiziert für die Luftreinheitsklasse ISO X (ISO 14644-1)" gibt es nicht. Bestenfalls können Anbieter Empfehlungen aussprechen, basierend auf bestimmten Produkteigenschaften (die selbstverständlich auch konkret nachgewiesen werden müssen). Entsprechenden Erfahrungswerten aus der Vergangenheit, dass ein bestimmtes Textil oder ein bestimmtes Bekleidungsstück im Hinblick auf das Partikelemissionsverhalten in einer bestimmten Reinheitsumgebung unter definierten Bedingungen normalerweise eingesetzt werden kann fließen mit in diese Empfehlungen ein. Eine Zertifizierung gemäß ISO XY ist überhaupt nicht möglich, da es bis heute hierzu keine verbindlichen allgemein anerkannten Prüfmethoden gibt.
Mit der neuen Richtlinie VDI 2083, Blatt 9.2 gibt es erstmals sowohl für Anwender als auch für Anbieter ein Regelwerk, das sich dieser Thematik angenommen hat und zum Teil auch konkrete Empfehlungen hinsichtlich einiger wesentlicher Produkteigenschaften ausspricht.
Anwender sind aufgefordert, bei der Definition ihres Reinraumbekleidungssystems zunächst einmal ein Anforderungsprofil (eine Art Anforderungsmatrix) zu erstellen, basierend auf den eigenen Prozessen im jeweiligen Reinraum. Hierzu zählen Eigenschaften wie selbstverständlich das Partikelrückhalte­vermögen und die Abriebfestigkeit, aber auch Tragekomfortaspekte, mögliche antistatische Anforderungen, Schutzeigenschaften allgemeiner Art usw. Hinzu kommen aber auch Parameter wie Handhabbarkeit, Passform, Design, Logistik, Verfügbarkeit usw.
Aussagen zu Produkteigenschaften sind von Anwenderseite aus kritisch zu hinterfragen bzw. von Anbieterseite aus entsprechend zu belegen. Das heißt, Prüfmethoden, die die Grundlage solcher Aussagen bilden, sind zu benennen. Sie sollten nachvollziehbar und reproduzierbar sein; sie sollten, wenn möglich, einen hohen Praxisbezug haben; und sie sollten selbstverständlich auch Alter­ungseffekte mit abbilden, sollte ein Produkt wie bspw. die Reinraummehrwegbekleidung mehrfach eingesetzt werden.

Fazit
Reinraumbekleidung ist nach wie vor der einzige und somit auch der wichtigste Filter zwischen dem Reinraumprozess, also dem Produkt, welches geschützt werden soll, und der größten Kontaminationsquelle im Reinraum, dem Menschen. Die Reinraumbekleidung spielt folglich eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung der Reinheitsbedingungen in einem kontrollierten Bereich, unabhängig davon, ob es sich hierbei um einen Reinraum der Klasse ISO 5, ISO 7 oder ISO 8 handelt oder um Hygienezonen A, B, C oder D.

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