Ständig im Fluss: Strömungsverlagerung an Filtern
Neue numerische Methoden zur Optimierung von Abscheidevorgängen
Kontinuierliche Wechselwirkungen zwischen Partikelanlagerung, lokaler Widerstandserhöhung und der damit verbundenen steten Verlagerung der transportierenden Strömung erschweren dem Ingenieur die Auslegung und Anordnung von Filterelementen. Ein neues Simulationstool hilft.
Strömungssimulationen (Computational Fluid Dynamics, CFD) werden bereits vielfach zur Auslegung von verfahrenstechnischen und chemischen Anlagen eingesetzt. Durch die Optimierung der Strömung werden beispielsweise Druckverluste erheblich reduziert, um den Anlagenwirkungsgrad zu erhöhen. Aggregate wie z. B. Wärmetauscher werden effizienter angeströmt oder es wird durch Simulationen eine höhere Prozessstabilität erreicht, die zu geringeren Ausfallzeiten einer Anlage führt. In verfahrenstechnischen Anlagen dominieren allerdings häufig Strömungen mit mehreren Phasen, sei es bei Flüssigkeit-Gas-Rührwerken mit freien Oberflächen, begasten Systemen wie Blasensäulen oder Partikel- bzw. Tropfentransport in Abscheidern oder Filtern. Mehrphasenanwendungen stellen besondere Anforderungen an die Simulationstechniken und sind darüber hinaus häufig sehr rechenintensiv.
Die Simulationen können aufgrund der komplexen Transportvorgänge oder unzureichender Kenntnis der genauen Eingangsparameter oft nicht direkt in die Praxis umgesetzt werden. Für einen gesicherten Einsatz von Simulationsverfahren in diesem Bereich sind meist spezielle Anpassungen der Lösungsverfahren an gezielte Fragestellungen und Aufgaben erforderlich. Besonders große Fortschritte in der Anwendungsspezialisierung („Customization“) von Berechnungsaufgaben wurden durch die Verfügbarkeit von Open Source CFD Codes mit leistungsstarken Mehrphasen-Basismodellen erzielt, die es erlauben, für bestimmte Anwendungen gezielt Modelle zu erweitern und die Löser auf spezielle Anforderungen hin zu optimieren. In diesem Zusammenhang wurde von der Firma DHCAE Tools eine spezielle Lösungsmöglichkeit für Filteranwendungen auf Basis der frei verfügbaren CFD-Toolbox OpenFOAM geschaffen.
Strömungsverlagerung in Filtern und Abscheidern
In vielen Prozessen mit Filtern treten trotz sehr unterschiedlichem Einsatzgebiet ähnliche Probleme und Fragestellungen bei der Auslegung auf. So ist z. B. sowohl bei der Filtration von Schwebpartikeln aus Wasser als auch bei Staubabscheidung in großen Filteranlagen mit Wechselwirkungen zwischen der Beladung des Filters und der transportierenden Strömung zu rechnen: Beim unbelasteten, sauberen Filter lagern sich Partikel bevorzugt auf den Bereichen der Filter ab, die anfangs besonders stark durchströmt werden. Haben sich an diesen Stellen aber Partikel abgelagert, so erhöht die abgelagerte Partikelmenge in diesen Zonen den lokalen Widerstand für die kontinuierliche, transportierende Strömung, und die Strömung verlagert sich zunehmend.
Mit dieser Verlagerung werden auch mehr Partikel in andere Filterbereiche transportiert. Offensichtlich hängt also die lokale Beladung des Filters während des Beladungszyklus von den Partikel- und Prozesseigenschaften wie Partikelgröße, Masse, Beladungszeit und damit verbundenen Rückwirkungen auf die Anströmkonfiguration ab. Sowohl für eine effiziente Auslegung für die Zu- und Abströmung von Filtern über den gesamten Beladungszyklus hinweg, als auch für die optimale Anordnung von Filtern in der Strömung sind somit für viele Abscheidungsanwendungen Modelle erforderlich, die diese dynamischen Widerstandsveränderungen und daraus resultierenden Strömungsverlagerungen beschreiben können.
Simulation von Filteranwendungen
Im Bereich der Strömungssimulation werden Partikelströmungen häufig mit sogenannten Euler-Lagrangeschen Ansätzen beschrieben. Dabei wird die kontinuierliche Strömung in einer ortsfesten Euler-Betrachtung bilanziert, die Partikelbewegung in einem mitbewegten Lagrangeschen System auf Basis der jeweilig einwirkenden Kräfte wie Widerstand, Trägheit oder Erdschwere berechnet. Im Rahmen des Modellierungswerkzeugs wird daher im ersten Schritt die transportierende Phase (dies kann z. B. Luft bei der Staubabscheidung oder Wasser bei der Wasserfiltration sein) durch den unbeladenen Filter berechnet. Im zweiten Schritt werden Partikel der kontinuierlichen Strömung zugefügt. Für den Partikeltransport kommt ein Parcel-Modell zum Einsatz. Dabei muss nicht jedes einzelne Partikel berechnet werden, sondern es wird eine statistisch ausreichend große Menge an Paketen („Parcel“) betrachtet, die jeweils ein Partikelcluster gemäß der definierten Partikelgrößenverteilung repräsentieren.
Auf Basis des Lagrangeschen Ansatzes werden die Trajektorien der Partikelpakete bis zu ihrer Endposition berechnet. Die Endposition kann die Abscheidung (Ablagerung) am Filter sein, Partikel können sich aber auch z. B. durch Erdschwere auf dem Boden ansammeln oder das Strömungsgebiet verlassen ohne sich am Filter abzulagern. Nach einer bestimmten Menge an injizierter Partikelmasse und damit Ablagerung von Partikeln auf dem Filter, wird die kontinuierliche Strömung unter Berücksichtigung der Widerstandserhöhung auf dem Filter neu berechnet. Die lokale Widerstandserhöhung am Filter ergibt sich aus der örtlich angelagerten Partikelmenge und einer hinterlegten Widerstandcharakteristik, die an einem Prüfstand des Filtergewebes individuell ermittelt werden kann. Dann werden wiederum Partikel dem Strömungsfeld hinzugefügt, die sich bedingt durch die Verlagerung der kontinuierlichen Strömung nun an anderen Orten ablagern. Dieser iterative Prozess zwischen Neuberechnung von kontinuierlicher Strömung und Wechselwirkung mit Partikeln wird solange wiederholt, bis die zu betrachtende Gesamtmasse an Partikeln aufgebracht wurde.
Damit ergibt sich eine kontinuierliche Beschreibung des gesamten Beladungsvorgangs mit den Wechselwirkungen auf das transportierende Strömungsfeld vom unbeladenen bis hin zum beladenen Filter vor der Abreinigung oder dem Austausch des Filtermediums. Dies erlaubt letztendlich bereits in der Planungsphase eine effiziente Auslegung des Filterprozesses oder einer Filteranlage, die zu
- optimierten Druckverlusten mit höherem energetischen Wirkungsgrad,
- einer besseren Ausnutzung des Filtermediums und
- einer stabileren Prozessführung über den gesamten Beladungsprozess führt.
Tool-Verifikation und Anwendungsfälle
Für die Erstellung des Berechnungswerkzeugs wurden umfangreiche Erweiterungen auf Basis der CFD-Toolbox OpenFOAM vorgenommen. Es wurden spezielle Randbedingungen erstellt, die es ermöglichen, an Flächenelementen Partikel anzulagern und den Widerstand für die kontinuierliche Strömung auf Basis von Darcy- oder Forchheimer-Ansätzen zu erhöhen. Es wurde eine Kopplungsprozedur zwischen Partikeltransport und kontinuierlicher Strömung entwickelt, die einen besonders recheneffizienten Partikeltransport ermöglicht und gleichzeitig vollständig parallel arbeitet, um moderne Mehrkern-CPUs auszunutzen. Die hier entwickelten Teil-Modelle wurden an Literaturbeispielen verifiziert. Hierzu diente die Arbeit von Michele Cagna [1]. Unter Laborbedingungen konnten hier die lokale Partikelverteilung, Widerstandserhöhung und Strömungsverlagerung sowohl numerisch als auch experimentell abgebildet werden. Der Druckanstieg bei der homogenen Partikelbeladung konnte exakt nachgebildet werden, so dass der Nachweis der richtigen Modellumsetzung erbracht werden konnte. Ebenso konnte die Partikelablagerung bei einer inhomogenen Partikelbeladung in der Simulation gut wiedergegeben werden.
Die Gesamtmodellierung mit der Kopplung zur kontinuierlichen Strömung wurde in einer realtechnischen Demonstrationsanlage für die Luftreinhaltung validiert. Hierzu wurden an einer Versuchsanlage der Firma Lühr, Stadthagen, Experimente durchgeführt. Durch Messung des dynamischen Drucks an 10 der 60 Schlauchfilter in der Anlage wurde die relative Durchströmungsgeschwindigkeit und deren Änderung über den Beladungszyklus der Filter hinweg ermittelt. Die Filter waren in einem Block mit 6*10 Filtern angeordnet (s. Abb. 2), wobei sich einige Messpositionen im Inneren des Filterblocks befanden, andere am Rand.
Die Messungen der Filterströmungen zeigten, dass sich die äußeren Filter offensichtlich zuerst mit Partikeln zusetzten. Der Widerstand der äußeren Filter erhöhte sich zuerst, und die Gasströmung verlagerte sich in den Innenbereich des Filterblocks, so dass die Strömungsgeschwindigkeiten der äußeren Filter mit zunehmender Partikelbeladung fallende Tendenz aufwiesen, die inneren Filter hingegen eine steigende Tendenz.
Als Eingabedaten in die Simulation wurde im ersten Schritt am Einzelversuchsstand die Filtercharakteristik eines einzelnen Schlauchfilters in Abhängigkeit der Beladung und Strömungsgeschwindigkeit ermittelt. Damit wurde der gesamte Simulationsprozess, ausgehend von der kontinuierlichen Strömung in der Filteranlage, sukzessiver Partikelzugabe und ständiger Neuberechnung der kontinuierlichen Strömung aufgrund der veränderten Widerstandsverhältnisse an den 60 Filtern abgebildet: Sowohl die steigenden Tendenzen der Strömungsgeschwindigkeit in den inneren Filterelementen als auch die fallenden Geschwindigkeitsverläufe in den äußeren Filtern konnten reproduziert werden und damit die kontinuierliche Strömungsverlagerung nachgewiesen werden. Abb.2 zeigt dazu die Simulationsergebnisse zur Partikelanlagerung, wobei dunkelgrün eingefärbte Bereiche eine hohe Beladung der Filter anzeigen, hell eingefärbte eine niedrige Beladung. Eine Detailansicht auf die (stark vergrößerten) zuletzt abgelagerten Partikel und die Stromlinien ist in Abb. 3 dargestellt. Die gesamte Anlage mit 60 Schlauchfiltern wurde hierbei auf einer typischen Workstation-Architektur in wenigen Tagen berechnet, für umfangreiche Berechnungsmodelle steht ebenfalls eine Cloud-Implementierung des Filter-Lösers zur Verfügung.
Universell einsetzbar
Die Modellierung mit einem Euler-Lagrangeschen Ansatz erlaubt einen breiten Einsatz des Berechnungswerkzeugs sowohl für Gas- als auch für Flüssigsysteme mit Feststoffpartikeln. Erweiterungen auf zusätzliche Kraftfelder, die auf die Partikel wirken und deren Bahnkurven beeinflussen können, sind leicht umsetzbar. Die Implementierung auf Basis von Open Source Lösern macht das Berechnungswerkzeug besonders kosteneffizient und flexibel auf verschiedenen Rechnern einsetzbar, da keine Lizenzgebühren oder Lizenzmanagementsysteme für die Lösung anfallen. Der gesamte Löser kann innerhalb eines vollständigen graphischen User-Interfaces mit CFD gerechter Vernetzung, CAD basiertem Case-Setup, Monitoring und Postprozessing verwendet werden. Damit können auch andere generelle CFD Probleme mit und ohne Wärmetransport, Mehrphasenanwendungen wie z. B. Rührsysteme mit freien Oberflächen oder auch strukturmechanische Berechnungen auf Basis von Open Source Lösertechnologie durchgeführt werden.