Bioinformatik – der Weg vom Gen zum besten Medikament
Qiagen unterstützt Forscher bei der Analyse und Interpretation komplexer genetischer Daten
Unser Code des Lebens - die DNA - zählt gut 3 Mrd. Buchstabenpaare. Wer ihn auslesen kann, erhält Zugriff auf einen enormen Datenschatz, aus dem sich ungezählte Fragen rund um unsere Gesundheit beantworten lassen. Dank moderner Technologien rückt diese Vision für Patienten und Ärzte zunehmend in den Bereich des Machbaren. Doch auf dem Weg zur klinischen Routine und zur personalisierten Medizin gibt es noch eine Reihe von Hemmnissen. Dr. Andrea Gruß befragte dazu Peer M. Schatz, CEO bei Qiagen, dem Spezialisten für molekulare Diagnostik .
CHEManager: Qiagen wurde vor 30 Jahren in Düsseldorf gegründet. Heute beschäftigt das Unternehmen rd. 4.000 Mitarbeiter in über 30 Ländern und erzielt einen Jahresumsatz von über 1,3 Mrd. US-$. Wer zählt heute zu den Kunden von Qiagen?
P.M. Schatz: Unsere Produkte sind überall dort fest verankert, wo es um die Gewinnung wertvoller molekularer Informationen aus biologischen Proben geht. Als wir anfingen, war dies noch stark auf die akademische Forschung beschränkt. Inzwischen haben die Nutzungsmöglichkeiten für unsere Technologien rapide zugenommen. Heute beliefern wir über 500.000 Kunden weltweit. Dazu gehören sowohl Universitäten und forschende Pharmafirmen als auch Kunden in den angewandten Testverfahren und der molekularen Diagnostik, in der wir inzwischen gut die Hälfte des Umsatzes erwirtschaften.
Wo sehen Sie aktuell die größten Wachstumsfelder für Ihr Unternehmen?
P.M. Schatz: Wir bewegen uns insgesamt in einem dynamischen Marktumfeld, das von mehreren Wachstumstreibern bestimmt wird. Dazu gehört zum einen die Bioinformatik, welcher durch die Verbreitung neuer Sequenzierungstechnologien der nächsten Generation eine immer größere Bedeutung zukommt. Zum anderen sehen wir, dass molekulare Tests zunehmend althergebrachte Verfahren verdrängen - so z.B. beim Nachweis auf latente Tuberkulose - oder gar komplett neue Anwendungen ermöglichen - wie etwa in der personalisierten Medizin. Daneben steigt der Kosten- und Effizienzdruck in vielen Labors, wodurch das Thema Automation weiter an Bedeutung gewinnt. Hinzu kommt das regionale Wachstum, denn in vielen Schwellenländern entwickelt sich der Markt erst noch.
Mit den Tests und Tools von Qiagen lassen sich unzählige Daten generieren, z.B. für die klinische Forschung. Werden diese bereits effizient genutzt?
P.M. Schatz: Die Analyse und Interpretation biologischer Daten entwickelt sich in der Tat zunehmend zu einer der wichtigsten Herausforderungen für unsere Kunden. Bereits dieses Jahr werden mehr biologische Daten generiert als in der gesamten Geschichte der Menschheit zuvor. Nächstes Jahr wird der Output bereits dem Inhalt von 1,5 Mrd. DVDs entsprechen. Aber rohe Daten an sich haben keinen Wert. Es kommt darauf an, welche Erkenntnisse sich daraus gewinnen lassen. Und die Analyse wird umso schwieriger, je komplexer Datensatz und Fragestellung sind. Viele Zusammenhänge zwischen unserer genetischen Ausstattung und ihrer biologischen Ausprägung sind ja noch kaum erforscht. Aber die Fortschritte, die wir beobachten, sind enorm. Es vergeht eigentlich keine Woche ohne neue Entdeckungen, die in vielen Fällen - denken Sie nur an die personalisierte Medizin - bereits in Routineanwendungen überführt wurden.
Wo sehen Sie die größten Hürden in der Bioinformatik?
P.M. Schatz: Die Bioinformatik ist noch ein recht junges Feld, das bislang von Open Source-Lösungen dominiert wird, insbesondere von selbst entwickelten Softwarelösungen. Für den klassischen akademischen Forscher, der im Labor beständig alle Parameter verändert und womöglich noch über einen bioinformatischen Hintergrund verfügt, ist das kein großes Problem. Im kommerziellen Umfeld - sei es in der Diagnostik oder pharmazeutischen Forschung - kommen solche Anwendungen aber sehr schnell an ihre Grenzen. Dort sind integrierte Lösungen gefragt, die für eine höhere Effizienz, Zuverlässigkeit und Nutzerfreundlichkeit stehen - gerade wenn die Software von Nicht-Informatikern produktiv genutzt werden soll. Es ist durchaus vergleichbar mit dem, was wir auch bei unseren Produkten für das klassische Nasslabor sehen: Je näher Sie an der Routineanwendung, an der klinischen Praxis dran sind, desto mehr kommt es auf die Robustheit und Standardisierung der Komponenten an.
Welchen Nutzen kann Big Data für die klinische Forschung und die Medizin schaffen?
P.M. Schatz: Funktion und Wechselwirkung vieler Gene sind nur im Ansatz oder gar nicht erforscht. Unser Genom ist ungemein komplex. Jeder von uns trägt Hundertausende Genvarianten in sich. Wollen Forscher Antworten auf Fragen nach der Entstehung und neuen Therapien von Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer finden, so müssen sie die entschlüsselten Daten einzelner Patienten in einen größeren Kontext stellen. Genau das ist das große Versprechen von Big Data für die klinische Forschung und Praxis - das in vielen Fällen auch schon heute erfolgreich eingelöst wird.
Welche Chancen bietet die personalisierte Medizin?
P.M. Schatz: An der personalisierten Medizin lässt sich hervorragend ablesen, welchen enormen Nutzen die Bioinformatik und Molekularbiologie stiften können: Durch ein besseres Verständnis unserer Erbanlagen können Ärzte genauer denn je Prognosen über den Behandlungsverlauf aufstellen und die Therapie abstimmen. Zugleich wird die Entwicklung neuer Mittel beschleunigt und besser planbar, weil klinische Studien früh auf die passenden Patientengruppen ausgerichtet werden können. Davon profitieren alle Akteure im Gesundheitssystem, vor allem die Patienten. Auch können diese Ansätze die Kosten im Gesundheitssystem signifikant senken. Der Ansatz greift aktuell noch vor allem in der Onkologie, aber wir sehen ein reges Interesse auch in anderen Bereichen, wie etwa bei den Erkrankungen des Nervensystems oder bei Autoimmunerkrankungen.
Der Fortschritt in der personalisierten Medizin wird häufig im Kontext mit den steigenden Kosten im Gesundheitssystem diskutiert. Zu Recht?
P.M. Schatz: Die Diskussion ist nicht neu und dreht sich vor allem um die Kosten einiger personalisierter Medikamente. Das ist aber eine sehr isolierte Betrachtung, die außen vor lässt, dass die meisten Medikamente nur bei etwa der Hälfte der Bevölkerung wirken. Wenn Sie sich spezielle Bereiche wie die Onkologie anschauen ist die Bilanz mit einer Wirkungsquote von etwa 25 % sogar noch schlechter. Personalisierte Therapien mögen für sich genommen kostspieliger sein, kommen aber eben nur bei Patienten zum Einsatz, bei denen eine Wirkung angenommen werden kann. Studien zeigen, dass alleine bei der Behandlung von Darmkrebs auf diese Weise in Deutschland jährlich etwa 115 Mio. € eingespart werden könnten, in den USA sind es über 600 Mio. US-$. Die personalisierte Medizin senkt die Gesundheitskosten, sie erhöht sie nicht.
Wie stellt sich Qiagen auf, um von den beschriebenen Trends in der Bioinformatik und der personalisierten Medizin zu profitieren?
P.M. Schatz: Qiagen nimmt heute in beiden Bereichen eine weltweit führende Position ein. Wir erwirtschaften mit unseren Tests für die personalisierte Medizin jährlich bereits über 100 Mio. US-$ Umsatz, haben im Markt Tests für über 30 verschiedene Biomarker und 2013 eine Rekordzahl neuer Partnerschaften mit Pharmaunternehmen verzeichnet - die Pipeline ist also gut gefüllt. Auch in der Bioinformatik haben wir durch die Zukäufe von Ingenuity Systems und CLC Bio sowie eigene Entwicklungen eine weltweit führende Position erreicht. Wir können nicht nur die komplette Verarbeitung, Analyse und Interpretation biologischer Daten abdecken, sondern dies mit unseren Systemen für das Nasslabor kombinieren, so dass der Kunde von der Probe zur Erkenntnis eine Komplettlösung aus einer Hand erhält. Auch hier ist noch mehr zu erwarten: Wir haben erst kürzlich eine neue Softwarelösung speziell für die Krebsforschung auf den Markt gebracht und entwickeln derzeit die erste, speziell für klinische Labors entwickelte Software zur Interpretation von Sequenzierungsdaten. Die nächsten Monate und Jahre bleiben also spannend.
Welche Bedeutung hat dabei der Standort Deutschland für Ihre Wachstumsstrategie?
P.M. Schatz: Deutschland ist und bleibt ein zentraler Standort für Qiagen, auch wenn wir unsere Entwicklungskapazitäten global verteilt und unterschiedliche Exzellenzzentren gebildet haben. Deutschland ist aber zentral für die Entwicklung zahlreicher Grundlagentechnologien sowie die Integration der zahlreichen Einzelkomponenten in komplette Systeme, die den Kunden über den gesamten Arbeitsablauf unterstützen. Zudem bleibt Deutschland aufgrund der hier geleisteten Qualität ein wichtiger Produktionsstandort für Qiagen.
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