Neue Optionen für Großverbraucher
Die Veränderungen im Gasmarkt bieten Optimierungspotential
Die neue Thyssengas, Bilanzkreisnetzbetreiber und Anbieter integrierter Gaslogistikdienstleistungen, soll bald einen neuen Eigner haben. Die Neuausrichtung der Gesellschaft vollzieht sich in einer Zeit tief greifender struktureller Veränderungen im Gasmarkt. Industrielle Gasabnehmer können davon profitieren, indem sie ihre Marktrolle aktiv wahrnehmen.
Seit Juli 2009 steht der Name Thyssengas wieder für operative Aktivitäten im deutschen Gasmarkt. Mit der alten Duisburger Ferngasgesellschaft hat die neue Thyssengas allerdings nicht mehr viel gemeinsam. Das heute in Dortmund ansässige Unternehmen konzentriert sich ausschließlich auf Erdgaslogistik-Dienstleistungen. Die RWE-Tochter, mittlerweile eine voll funktionsfähige Gastransportgesellschaft, muss gemäß einer Vereinbarung mit der EU-Kommission an einen unabhängigen Investor veräußert werden.
Eigenständiges Erdgaslogistikunternehmen
Hintergrund: Die RWE in Essen hatte die „alte" Thyssengas Ende 2003 komplett übernommen und im Zuge der Entflechtung von Netz und Vertrieb (Unbundling) Anfang 2004 die RWE Transportnetz Gas gegründet, die seitdem den operativen Betrieb des Fernleitungsnetzes im RWE-Konzern verantwortete. Später hatte sich RWE zur Beilegung eines EU-Verfahrens bereit erklärt, die Gastransportgesellschaft zu einem voll funktionsfähigen Logistikunternehmen auszubauen und sich anschließend von ihr zu trennen. Da Thyssengas als Gesellschaft und bekannte Marke noch existierte, lag es nahe, die vorhandenen Strukturen für diesen Schritt nutzen. Die neue Thyssengas führt nicht nur die bisherigen Aktivitäten der RWE Transportnetz Gas fort, sondern ist auch Eigentümerin des 4.100 km langen Transportnetzes und aller für den Betrieb notwendigen Anlagen. Als Bilanzkreisnetzbetreiber koordiniert das Unternehmen ein L- und ein H-Gas-Marktgebiet.
Im Zuge der Neugliederung wurden rund 200 Mitarbeiter unter anderem aus den beiden RWE-Gesellschaften übernommen. Die neue Thyssengas hat rund 300 Mitarbeiter und verfügt über alle personellen und instrumentellen Ressourcen, die ein eigenständiges modernes Erdgas-Logistikunternehmen benötigt.
Höhere Schlagkraft durch Wegfall von Schnittstellen
Für die Kunden hat sich durch den Wechsel nichts Wesentliches verändert. Sie können Kapazitäten auf der neu gestalteten Internetplattform buchen. Verträge schließen sie nun mit Thyssengas. Durch die Neuausrichtung hat sich aber die Schlagkraft der Netzgesellschaft deutlich verbessert, da bei der Zusammenarbeit der technischen, logistischen und kaufmännischen Bereiche keine Unternehmensschnittstellen mehr überwunden werden müssen.
Die Neuausrichtung vollzieht sich in einem Logistikmarkt, der trotz Regulierung von dynamischen Veränderungen geprägt ist und zukünftig auch gute Chancen eröffnet. Thyssengas wird die Vermarktung von Erdgastransportkapazitäten zu einem umfassenden Portfolio von Logistikdienstleistungen ausbauen. Der heute eher eindimensionale Gastransport kann fragmentiert werden zu Kapazitätsprodukten, die beliebig kombinierbar sind. Logistik bedeutet, Speicher und verschiedene Transportwege einzubeziehen, möglicherweise sogar inklusive Verschiffung von verflüssigtem Erdgas (LNG). Allerdings muss die Politik dafür Anreize schaffen.
In einigen wichtigen Detailfragen erwartet die Branche noch Aufklärung und Festlegungen durch die Bundesnetzagentur. Beispielsweise liegt es auf der Hand, dass durch die Zusammenlegung von Marktgebieten Kosten entstehen, weil entweder zusätzliche Leitungen und Verdichter gebaut werden müssen oder physikalische Engpässe durch Handelsprodukte, wie z. B. Lastflusszusagen, überwunden werden müssen, wobei sehr schnell hohe zweistellige Millionen-Euro-Beträge erreicht werden. Die Bundesnetzagentur scheint momentan Kosten, die im Zusammenhang mit der funktionsfähigen Ausgestaltung zusammengelegter Marktgebiete entstehen, anzuerkennen. Damit wäre ein wesentliches Hemmnis der Zusammenlegung von Marktgebieten beseitigt. Thyssengas arbeitet aktiv mit an der weiteren Zusammenlegung von Marktgebieten, warnt aber auch davor, auf Biegen und Brechen alle Transportkapazitäten sofort uneingeschränkt zuordenbar zu machen. Die Schaffung einer uneingeschränkten Durchgängigkeit - die Akzeptanz dieser zukünftig steigenden Kosten durch die Bundesnetzagentur unterstellt - wird zu deutlich höheren Netzentgelten führen. Wünschenswert ist dann in jedem Fall, dass sich durch Wettbewerbseffekte auf der Commodityseite größere Preisvorteile einstellen, damit die Verbraucher auch in der Summe profitieren.
Mehr Handlungsspielraum: Exit-Kapazität selbst buchen
Für Unternehmen mit hohem Gasbedarf, wie sie in die Chemie- und Pharmaindustrie klassischerweise anzutreffen sind, eröffnen sich in der neuen Erdgaslogistikwelt der Thyssengas erweiterte attraktive Handlungsoptionen für Betriebe, die ihr Gas über eine vom Dortmunder Netzbetreiber eigens errichtete Leitung beziehen und somit einen eigenen Ausspeisepunkt (Exit) haben. In der Regel bucht der Erdgashändler diese Exit-Kapazität für seinen Kunden und berechnet Lieferung und Transport gemeinsam. Deutlich flexibler aufgestellt wäre ein solches Erdgas beziehendes Unternehmen, wenn es die Exit-Kapazität direkt beim Bilanzkreisnetzbetreiber bucht. Als Besitzer der Exit-Kapazität und Bilanzkreisverantwortlicher könnte es problemlos Lieferanten wechseln, hätte zudem unmittelbar Zugang zum virtuellen Handelspunkt im jeweiligen Thyssengas-Marktgebiet und könnte sich dort restriktionsfrei mit dem nötigen Gas eindecken oder auch überschüssige Mengen über den virtuellen Punkt in den Markt zurückgeben.
Ein neues Produkt sind unterbrechbare Einspeisekapazitäten an den Importpunkten und Übergängen zu anderen Marktgebieten, die mit bis zu 20 % Rabatt angeboten werden. Unterbrechbare Kapazitäten können für einen Tag oder bei Bedarf auch für mehrere Jahre gebucht werden. Eine interessante Alternative für Großkunden mit einem stetigen Erdgasbedarf, der am virtuellen Punkt eines anderen Marktgebietes oder an Handelsplätzen im Ausland gedeckt werden kann.
Eine weitere neue Transportmöglichkeit werden zukünftig unterbrechbare Kapazitäten im Gegenstromverfahren bieten. So können in Absprache mit der Thyssengas Erdgasmengen gegen die physische Flussrichtung in andere Marktgebiete oder zum Beispiel in die Niederlande transportiert werden. Diese Optionen werden voraussichtlich ab Mitte 2010 zur Verfügung stehen.
Optimierungspotentiale nutzen
Durch eine aktive Rolle bei der Gasbeschaffung und intelligente Strukturierung lassen sich erhebliche Optimierungspotentiale nutzen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Unternehmen über geschultes Personal mit Know-how und einschlägige Managementinstrumente verfügen oder sich eines kompetenten Dienstleisters bedienen.